Serbiens Basketballer gegen Finnland: Die erste große EM-Überraschung

Svetislav Pesic hat in seiner ewigen Karriere als Basketballcoach schon viele Hände nach Spielschluss geschüttelt. Er tut dies meist kaugummikauend mit einem kurzen Nicken, mal fällt es ihm schwerer, mal leichter. So ein Leben als Trainerlegende hält ja allerlei Aufs und Abs bereit, da trägt man die Dinge mit Fassung. Aber diesmal, in der riesigen Arena von Riga, wirkte der 76-Jährige beinahe resigniert beim Handshake mit dem finnischen Kollegen Lassi Tuovi. Pesic hatte erleben müssen, wie sein serbisches Nationalteam, eine Ansammlung von internationalen Größen, wieder mal auf unerklärliche Weise zusammengeschrumpft war.
Aus im EM-Achtelfinale gegen Außenseiter Finnland, erneut kein Titel für den großen Favoriten, ein 86:92 von enormer Tragweite, weinende serbische Fans auf der Tribüne. Das saß selbst beim Altmeister, der doch eigentlich alles gesehen zu haben glaubte. Als er und seine Jungs sich verausgabt vom Parkett schleppten, hatte dieses Turnier seine erste, mächtige Überraschung.

Das qualvolle Achtelfinale des DBB-Teams gegen Portugal erinnert an eine Wegmarke auf dem Weg zum WM-Titel 2023. Maodo Lo gibt diesmal den Lebenretter, weil er besonders in festgefahrenen Momenten seine Qualitäten hat.
Denn dass Serbien mit all dem Talent seiner Auswahl, mit Centerzauberer Nikola Jokic (dessen 33 Punkte nicht reichten), wie schon bei der vorigen EM so früh scheitert, wirbelt im Tableau einiges durcheinander. Plötzlich wirkt auch der deutsche Pfad in ein mögliches EM-Finale geebneter, denn Serbien im Halbfinale, das wäre dann schon happig geworden – wobei: Vielleicht wird es nun gegen diese Finnen happig. Die sind nämlich laut Pesic „ein fantastisches Team, sie haben es wirklich verdient“, das Viertelfinale zu erreichen.
Man habe diesen Gegner, den das DBB-Team in der Gruppenphase übrigens deutlich überrannte, nicht unterschätzt, erklärte Pesic zerknirscht auf der Pressekonferenz. „Das Spiel wurde am offensiven Brett entschieden“, fand er. Dauernd bekamen die Jungs aus dem Norden nach Fehlwürfen zweite Chancen, ständig flog von irgendwo her Lauri Markkanen ins Bild oder Mikael Jantunen oder jener 18-jährige Schlaks mit den Wuschelhaaren, den bei dieser EM alle „Slim Jesus“ nennen, Miikka Muurinen. „Es war ein tolles Spiel und wenn jemand glaubt, dass wir das Spiel auf die leichte Schulter genommen haben, das war nicht der Fall“, rechtfertigte sich Pesic.

Dass der Vorwurf des Larifari bei den Serben im Raum steht, ist zumindest nicht ganz aus dem Nirwana der Expertenanalyse gegriffen. Zu oft hatte die aktuelle Generation um NBA-gestählte Profis wie Jokic (Denver Nuggets), Youngster Nikola Jovic (Miami Heat) oder den in Europa jahrelang dominanten Dirigenten Vasilije Micic (zuletzt Phoenix Suns) in entscheidenden Situationen nicht ihr Können gezeigt. WM-Silber gab’s 2023, als im Endspiel von Manila die Deutschen am Ende davonzogen, Olympiabronze sorgte in Paris 2024 im gleichen Duell für etwas Linderung in Serbien. Aber die eigentliche Bestimmung dieser Gruppe Hochbegabter ist seit Pesics Rückkehr ins Amt des Nationaltrainers ein Titel. So wie 2002, als er das damalige Jugoslawien zum Gewinn der Weltmeisterschaft führte.
Serbiens Basketball-Nationalteam war Favorit bei dieser EM, doch dann zeigte sich, dass viele Spieler nicht fit sindAber seinerzeit hatte er, anders als jetzt, vermutlich durchweg fitte Basketballer zur Verfügung. Kapitän Bogdan Bogdanovic fiel zu Turnierbeginn mit einem Muskelfaserriss aus, seine Ruhe und Führung war nicht zu ersetzen. Und der Rest? War physisch nicht auf der Höhe, wie sich in der entscheidenden Spielphase des Thrillers gegen Finnland erwies. Als deren NBA-Muskeltyp Lauri Markkanen (29 Zähler, acht Rebounds) und der frühere Deutschland-Legionär Elias Valtonen (Tübingen, Rostock) die Partie übernahmen, wankten die Serben nur noch wie ermattete Everestbesteiger. Der Berg war zu hoch. „Wir können nach Entschuldigungen suchen, aber die Realität ist, dass wir für so ein Turnier in besserer körperlicher Verfassung sein müssen“, bemängelte Pesic. „Viele Spieler hatten mit Verletzungen zu kämpfen, dazu ging bei uns ein Virus um.“
Was Pesic nicht erwähnte: Dass auch er als derart dekorierter Coach es nicht vermochte, seinem Team Inspiration mitzugeben. Mehr als „alle Bälle zum 2,16-Meter-Mann Jokic“ war an taktischen Kniffen nicht zu sehen. Mit 76 Jahren ist Pesic im gehobenen Traineralter. Serbische Medien spekulieren bereits über mögliche Nachfolger.
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