0:2 in der Slowakei: Wäre der deutsche Fussballbund ein Klub, hätte es Konsequenzen für Trainer Nagelsmann


Wäre der Deutsche Fussball-Bund (DFB) ein halbwegs professionell geführter Verein und keine behäbige Fussballbehörde, dann würde nach so einem Abend über den Trainer Julian Nagelsmann gesprochen werden, nach diesem 0:2 gegen die Slowakei im ersten Qualifikationsspiel auf dem Weg zur Weltmeisterschaft im kommenden Jahr. Und sehr wahrscheinlich würden Konsequenzen gezogen werden. Denn es war nicht bloss die Niederlage an sich gegen den Aussenseiter Slowakei, die irritierte.
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Es war die Art und Weise, wie die Mannschaft auftrat, wie sie sich weigerte, das Spiel anzunehmen gegen einen Gegner, der auf den ersten Blick gar nicht furchterregend wirkte, der aber dem deutschen Team in jeder Phase des Spiels überlegen war. Das ist mehr als ein Augenblicksversagen. Vielmehr ist es Ausdruck der grössten Krise, die der deutsche Fussball seit langem erlebt hat.
Der Trainer beklagt fehlende EmotionalitätFür den Trainer war es die dritte Niederlage in Serie, die sechste insgesamt. Nagelsmann zeigte sich nach dem Schlusspfiff ratlos. Er habe keine Erklärung dafür, wie es denn zu dieser Lage gekommen sei, er wolle auch nicht in die taktischen Details gehen. Aber er bemängelte, dass seine Mannschaft keine Emotionalität gezeigt habe, ganz anders als die Slowaken, die sich selbst den grösseren Willen bescheinigten. Emotionalität, so der Trainer, sei dafür verantwortlich, dass es im DFB-Pokal immer wieder zu grossen Überraschungen komme, dass plötzlich Favoriten ins Wanken geraten, ja dass am Ende ein Drittligist im Finale steht. Man könnte auch sagen: Wille übertrumpft Können. Genau das geschah an diesem Abend in Bratislava.
Bloss ist Nagelsmann der Einzige, der eine plausible Antwort auf die Frage nach dem fehlenden Willen geben könnte. Und vielleicht hat sie sehr viel mehr mit seiner Person zu tun, als es den Verbandsoberen lieb ist. Denn der Trainer Nagelsmann denkt gerne gross. Kurz nach seinem Antritt als Nachfolger von Hansi Flick vor bald zwei Jahren stellte er seinen Landsleuten den Gewinn des Titels an der EM im eigenen Land in Aussicht. Geklappt hat es nicht, Deutschland kam lediglich unter die letzten acht.
Auch die Nations League im Sommer wollte Nagelsmann mit seinem Team gewinnen, um auf diese Weise Selbstvertrauen für die Weltmeisterschaft in den USA zu tanken. Die Unternehmung endete mit zwei Niederlagen. Karl-Heinz Rummenigge, der langjährige Vorstandschef des FC Bayern, empfahl Nagelsmann in einem Interview, er möge sich besser in Zurückhaltung üben. Nagelsmann wiederum sah sich jüngst auf einer Pressekonferenz bemüssigt, auf diese Kritik einzugehen – mit der Verspätung von zweieinhalb Monaten.
Nagelsmann redet gern und vielDabei hat Nagelsmann durchaus Fürsprecher. Die «Süddeutsche Zeitung» sekundierte eifrig: «Zum Glück hat er sich die freie Rede und die strittige eigene Meinung (gepaart mit einer Dosis Selbstherrlichkeit) nicht abgewöhnt.»
Ein derart kontroverses Auftreten wirkt indes besser, wenn die Ergebnisse überzeugen. Nagelsmann vermittelt vielmehr den Eindruck eines doch immer noch recht jungen Trainers, der sich gerne selber reden hört, nicht nur über den Fussball, sondern auch über Gott und die Welt. An der Europameisterschaft sah er sich bemüssigt, über den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu referieren – nach einem Aus im Viertelfinale, nicht nach einem Turniersieg.
Ungeschickter als Nagelsmann kann man kaum kommunizieren. Zumal der Eindruck von Kritikern wie Rummenigge keineswegs im luftleeren Raum entstanden ist. Schliesslich war Nagelsmann Trainer beim FC Bayern München, wo er einen recht zwiespältigen Eindruck hinterliess. Zwar wird niemand bestreiten, dass der Coach seine Qualitäten hat, aber manchem pulsierenden Auftritt steht auf der anderen Seite eine unerklärliche Laxheit gegenüber.
Der Assistent Sandro Wagner verliess den DFBAls Nagelsmann mit seinem Team gegen Leverkusen verlor, verabschiedete er sich in ein langes Wochenende – es war das Ende seines Münchner Engagements. Nun hat ein Fussball-Nationaltrainer im Gegensatz zu seinen Vereinskollegen eine relativ komfortables Verhältnis von Arbeit und Freizeit. Und Nagelsmann scheint darauf besonderen Wert zu legen. Als in diesem Sommer die deutsche U21-Nationalmannschaft an der Europameisterschaft brillierte, bequemte sich der Coach erst zum Final ins Stadion.
Es ist nicht das einzige Detail, das Fragen aufwirft. Sandro Wagner, der beim letzten Turnier Assistent von Nagelsmann war, hat sich vom Nationalteam verabschiedet und eine Stelle als Cheftrainer beim nicht unbedingt glamourösen FC Augsburg angetreten. Die Entscheidung überraschte. Denn die Aussicht, mit einem traditionsreichen Nationalteam wie Deutschland eine Weltmeisterschaft zu bestreiten, wirkt vorderhand attraktiv, erst recht, wenn man es mit der täglichen Arbeit in einem Mittelklasse-Klub vergleicht.
Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass Wagner Zweifel an den Erfolgsaussichten des Unternehmens Weltmeisterschaft unter der Federführung Nagelsmanns hatte. Mit dem Eindrücken des Spiels in Bratislava wäre er damit nicht alleine.
nzz.ch