Stefan Küng steht vor dem Abschied bei FDJ – der Radprofi könnte zum Schweizer Team Tudor wechseln


Jean-Christophe Bott / Keystone
Kaum ein anderer Radprofi ist so konstant unterwegs wie Stefan Küng. An Zeitfahren und Pflasterstein-Classiques erreicht er mit eindrücklicher Zuverlässigkeit Spitzenplatzierungen; schwache Tage sind bei ihm selten. Und doch wartet er auch mit 31 Jahren weiterhin auf den ganz grossen Triumph – eine Goldmedaille an Weltmeisterschaften oder den Sieg an einem Monument.
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Das Schicksal zu akzeptieren, läge dem 31-Jährigen fern: Küngs Ehrgeiz ist nach Dutzenden knappen Niederlagen eher noch grösser geworden. Dass er nichts unversucht lässt, sein Glück zu erzwingen, bewies er zuletzt mit einem ungewöhnlichen Trainerwechsel: Statt dem erfahrenen Franzosen Julien Pinot betreut ihn nun Maxime Latourte, ein ehemaliger Mountainbiker. Er soll Küng, der bisweilen Mühe mit Tempoverschärfungen und Sprints hat, explosiver machen.
An einem Gespräch während der Tour de Romandie schwärmte der Radprofi von der Zusammenarbeit mit dem neuen Coach. Latourte habe es geschafft, ihn aus der Komfortzone zu locken, sagte Küng. In der Regel trainiere man am liebsten das, was man am besten könne, in seinem Fall also das Zeitfahren. Stattdessen bei äusserst kurzen Intervall-Belastungen das Maximum aus sich herauszuholen, sei herausfordernd gewesen. «Der Respekt vor dem neuen Training war gross», sagte er. «Aber dann macht man es zwei, drei Mal in der Woche, und der Körper gewöhnt sich daran.»
Trotz starker Form resultierte im Frühjahr nichts ZählbaresAn der Classique Omloop Het Nieuwsblad, einem der wichtigsten Eintagesrennen im Radsport-verrückten Belgien, wäre Küng im Februar beinahe ein Coup geglückt. Acht Kilometer vor dem Ziel attackierte er als Solist. Niemand war in der Lage zu kontern – vielleicht half es Küng in diesem Moment, seinen Punch verbessert zu haben. «Physisch war ich auf einem Top-Level», sagte er. Im letzten Moment holte ihn die Spitzengruppe doch noch ein. Und so resultierte wieder einmal nichts Zählbares.
Küng bleibt ein Suchender. In seiner Equipe FDJ hat er Veränderungen angemahnt, und er macht kein Geheimnis daraus, dass es ihm manchmal nicht schnell genug geht mit den Innovationen. «In einem Team, das schon so lange existiert, geht das nicht von heute auf morgen», sagte er bedauernd. Die Mannschaft hat mit Thierry Cornec zwar mittlerweile einen neuen Generaldirektor. Aber Marc Madiot, ein exzentrischer Patron, der eher den traditionellen Radsport verkörpert, bleibt in wichtiger Position an Bord.
Wie sein Manager Olivier Senn ist Küng zum Schluss gekommen, dass FDJ nicht in allen Bereichen das Maximum herauszuholen versucht. Daher stehen die Zeichen nach sieben Jahren auf Abschied – obwohl Küng sich bei den Franzosen prinzipiell wohlfühlt. Senn hat im Laufe des Frühjahrs etliche Gespräche mit Vertretern anderer Teams geführt. «Das Interesse ist gross», sagte er.
Offiziell dürfen Wechsel im Radsport erst am 1. August beschlossen und kommuniziert werden, aber natürlich kann niemandem verboten werden, sich schon vorher per Handschlag zu einigen. Diese Woche meldete der gut vernetzte britische Journalist Daniel Benson, es sei «zu 99 Prozent sicher», dass Küng zum Schweizer Team Tudor wechsle. Er werde dort einen Vertrag für mindestens zwei Jahre ab der Saison 2026 unterschreiben. Mehrere belgische Medien bestätigten die Meldung.
An finanziellen Möglichkeiten mangelt es Tudor nichtEine Verpflichtung von Küng würde perfekt zur Strategie von Tudor passen, so stark wie möglich auf einheimische Fahrer zu setzen, um das hiesige Publikum zu begeistern. An finanziellen Möglichkeiten mangelt es jedenfalls nicht: Für die laufende Saison verpflichtete das Team unter beträchtlichem Aufwand Marc Hirschi, der ebenfalls mehrere Optionen hatte, sowie mit Küngs bisherigem Helfer Fabian Lienhard einen weiteren Landsmann. Auch der zweifache Weltmeister Julian Alaphilippe aus Frankreich stiess zum Team Tudor.
Die Verantwortlichen bekennen sich zum Ziel, in der Radsport-Hierarchie schrittweise aufzusteigen, und betonen die langfristige Perspektive des Hauptsponsors. Zu Küng äusserte sich der Tudor-Chef Raphael Meyer diese Woche auf Anfrage nicht.
Vor allem am Anfang der Karriere wurde der 31-jährige Thurgauer häufig mit Fabian Cancellara verglichen. Der gewann viermal den Weltmeistertitel im Zeitfahren und je dreimal Paris–Roubaix sowie die Flandernrundfahrt. Cancellara verstand es meisterhaft, sein Glück zu erzwingen. Küng hätte künftig einen noch engeren Draht zum Mann, der zurücktrat, als seine eigene Laufbahn Fahrt aufnahm: Cancellara ist der Besitzer des Teams Tudor. Wenn es den beiden Männern gelingt, ihren Ehrgeiz auf produktive Weise zu bündeln, scheint einiges möglich.
nzz.ch