Darmkrebs bei jungen Erwachsenen: Warum das Problem wächst

Darmkrebs gehört zu den zehn tödlichsten Krebserkrankungen in Deutschland. Allein im Jahr 2023 sind mehr als 20.000 Menschen hierzulande an Dickdarm- oder Mast- und Enddarmkrebs verstorben, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. Es ist eine Krankheit, die vor allem im Alter auftritt. Die meisten Betroffenen sind über 70, wenn sie die Diagnose Darmkrebs bekommen.
Die gute Nachricht ist: „In Deutschland nimmt das Risiko für Darmkrebs deutlich ab, die Todesfälle haben sich in einem Zeitraum von 30 bis 35 Jahren praktisch halbiert“, sagt Gunnar Folprecht, Leiter der Onkologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden und Mitglied der Arbeitsgruppe Internistische Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft. „Das betrifft aber nur die Älteren.“
Bei den unter 50-Jährigen zeigt sich ein ganz anderes Bild: Zwar gebe es in dieser Altersgruppe weiterhin viel weniger Todesfälle als bei den über 50-Jährigen, aber die Zahlen hätten sich im gleichen Zeitraum ungefähr verdoppelt, so Folprecht. Und Studien legen nahe, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.
Dass immer mehr jüngere Menschen an Darmkrebs erkranken, sei ein „globales Phänomen“. So schreiben es Forschende der American Cancer Society in einer Studie, die Anfang des Jahres im Fachmagazin „The Lancet Oncology“ erschienen ist. Sie werteten Daten der Weltgesundheitsorganisation aus und stellten fest: In den vergangenen zehn Jahren sind die Raten für Dickdarmkrebs bei jüngeren Erwachsenen in 27 von 50 untersuchten Ländern gestiegen. Darunter Neuseeland, Chile, Frankreich, England, die USA und auch Deutschland.
In 23 Ländern blieben die Krebsraten weitgehend stabil. In nur acht Ländern – darunter Polen, Spanien und Südkorea – gingen sie zurück.
Die meisten Darmkrebserkrankungen sind sporadisch. Das heißt, sie sind nicht genetisch bedingt, sondern es gibt andere Risikofaktoren, die die Erkrankung begünstigen. Das können zu wenig Bewegung, zu ballaststoffarmes Essen, Rauchen, Übergewicht, ein übermäßiger Alkoholkonsum und ein zu hoher Verzehr von rotem Fleisch sein. „Die genauen Ursachen sind schwierig herauszufinden, weil es lange dauert, bis sich der Krebs entwickelt“, sagt Folprecht.
Darmkrebs entsteht, indem sich Darmzellen übermäßig und unkontrolliert vermehren. Bevor aus ihnen Krebszellen werden, gibt es in der Regel gutartige Vorstufen, die sogenannten Darmpolypen. Das sind kleine, wulstige Ausstülpungen im Darm, die meist gutartig sind. Entarten die Polypen, kann aus ihnen jedoch ein bösartiger Tumor werden. „Es dauert viele Jahre, bis aus einem kleinen Polypen wirklich Darmkrebs wird“, sagt Folprecht.

Darmpolypen sind erst einmal kein Grund zur Panik. Sie können aber entarten und zu Darmkrebs führen.
Quelle: IMAGO/Zoonar
Sind Tumore im Darm, macht sich das am Stuhl bemerkbar. Blut im Stuhl kann zum Beispiel ein Hinweis auf Darmkrebs sein – genauso wie die Form. Onkologe Folprecht spricht von einem „Bleistiftstuhl“. „Dadurch, dass der Darmkrebs wächst, wird der Durchmesser des Darms an dieser Stelle kleiner, sodass nur noch dünner Stuhl hindurchpasst“, erklärt er. Vor der Verengung staut sich der Stuhl, was zu Bauchschmerzen führen kann. Spätestens dann sollte man zu einer Ärztin oder einem Arzt gehen.
„Bei jüngeren Patienten entdeckt man Darmkrebs grundsätzlich eher später“, sagt Folprecht. „Bei einem 40- oder sogar 25-Jährigen mit Bauchschmerzen denkt man an alles, aber nicht als Erstes an Darmkrebs.“ In Zukunft müssen Ärztinnen und Ärzte da wohl umdenken, wenn sich der Trend fortsetzt, dass Jüngere zunehmend an Darmkrebs erkranken. Doch wieso nimmt die Krebserkrankung bei ihnen überhaupt zu?
Hierzu gibt es verschiedene Theorien. Sie reichen von einem übermäßigen Einsatz von Antibiotika bis hin zu einer ungünstigen Ernährungsweise durch hochverarbeitete Lebensmittel. Eindeutig belegt ist keine der Theorien. Ein internationales Forscherteam äußert in einer Studie nun einen neuen Verdacht: Vielleicht ist das Bakteriengift Colibactin der Übeltäter.
Colibactin wird von bestimmten „Escherichia coli“-Stämmen produziert. Also Bakterien, die im Darm vorkommen. Das Toxin ist in der Lage, das Erbgut zu verändern. Wie die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie berichten, hinterlässt der Kontakt mit Colibactin in der frühen Kindheit eine deutliche genetische Signatur im Erbgut von Dickdarmzellen. Eine Signatur, die das Risiko erhöhen kann, vor dem 50. Lebensjahr an Darmkrebs zu erkranken.
Für ihre Studie hatten die Forschenden 981 Krebsgewebeproben von Patienten mit früh und spät einsetzender Erkrankung aus elf Ländern analysiert. Dabei zeigte sich, dass insbesondere bei unter 40-Jährigen spezifische Mutationen im Erbgut nachweisbar waren, die sich auf das Bakteriengift Colibactin zurückführen ließen. Diese machten etwa 15 Prozent der APC-Treibermutationen bei Darmkrebs aus – einige der frühesten genetischen Veränderungen, die die Krebsentstehung direkt fördern.

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„Wenn jemand eine dieser Treibermutationen bereits im Alter von 10 Jahren erwirbt, könnte er dem Zeitplan für die Entwicklung von Darmkrebs um Jahrzehnte voraus sein und im Alter von 40 statt 60 Jahren erkranken“, sagte Studienautor Ludmil Alexandrov. Er und seine Kollegen warnen in der Studie zudem, dass Darmkrebs bis 2030 die häufigste krebsbedingte Todesursache bei jungen Erwachsenen werden könnte, wenn sich der aktuelle Trend fortsetzt.
Auch wenn die Forschungsarbeit noch einige Fragen offen lässt (zum Beispiel, warum manche Menschen Colibactin-produzierende Bakterien in sich tragen, aber nie Krebs entwickeln): Die Ergebnisse könnten unsere Sicht auf Krebserkrankungen verändern, ist Alexandrov überzeugt. „Es geht vielleicht nicht nur darum, was im Erwachsenenalter passiert – Krebs könnte möglicherweise durch Ereignisse im frühen Leben, vielleicht sogar in den ersten Jahren, beeinflusst werden.“
Aus Sicht von Onkologe Folprecht ist die Studie zwar „kein Durchbruch“, sie liefere aber einen „sehr ernst zu nehmenden Hinweis“. Er warnt jedoch davor, jetzt den Schluss zu ziehen, die „Escherichia coli“-Bakterien beseitigen zu wollen – zum Beispiel durch regelmäßige Darmreinigungen. Das sei nicht sinnvoll, weil die Bakterien zu einer gesunden Darmflora dazugehören und wichtige Funktionen etwa bei der Verdauung übernehmen würden.
Um Darmkrebs vorzubeugen, ist es besser, Risikofaktoren wie eine einseitige, ungesunde Ernährung oder Bewegungsmangel zu reduzieren. Die wichtigste vorbeugende Maßnahme sei jedoch die Darmspiegelung, sagt Folprecht. Ab 50 Jahren haben Frauen und Männer Anspruch darauf, zweimal eine Darmspiegelung im Abstand von zehn Jahren durchführen lassen. Alternativ können sie alle zwei Jahre einen Stuhltest machen.
Eine Darmspiegelung wird in Deutschland ab einem Alter von 50 Jahren empfohlen. Denn ab diesem Alter steigt das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Die Darmspiegelung soll dabei helfen, Veränderungen und Tumore im Darm frühzeitig zu erkennen. Frauen und Männer können zweimal eine Darmspiegelung im Abstand von zehn Jahren durchführen lassen. Diese Untersuchung wird ambulant durchgeführt, in der Regel in einer Praxis der Gastroenterologie, und von der Krankenkasse bezahlt. „Für die Darmspiegelung muss der Darm vorher sauber sein, sonst sieht man nichts“, sagt Folprecht. Zur Vorbereitung gehört deshalb ein mehrstündiges Fasten und eine spezielle, abführende Trinklösung. „An den Tagen vor der Untersuchung ist es wichtig, so etwas wie ganze Maiskörner oder Erbsen oder auch Brötchen mit Sonnenblumenkernen – also alles, was so grobe Bestandteile sind – wegzulassen“, rät der Onkologe. Die Darmspiegelung selbst dauert wenige Minuten. Auf Wunsch können Patientinnen und Patienten ein Beruhigungsmittel oder eine Kurznarkose erhalten. Bei der Untersuchung führen die Ärztinnen und Ärzte einen biegsamen Schlauch mit Kamera und Licht am Ende in den Darm ein – ein sogenanntes Koloskop – und schauen die Darmschleimhäute nach Veränderungen ab. Laut Folprecht sei die Darmspiegelung eine Untersuchung, die eher gemieden wird. Dabei könne sie nachweislich das Risiko für Darmkrebs reduzieren. Um die Menschen auf die Darmkrebsvorsorge aufmerksam zu machen, verschicken die Krankenkassen alle fünf Jahre eine Einladung an alle Versicherten ab 50 bis 65 Jahren.
Je früher Tumore im Darm aufgespürt werden, desto besser. „Wenn man Darmkrebs entdeckt und er noch keine Metastasen (Tochtergeschwülste eines Tumors, Anm. d. Red.) hat, hat man eine gute Chance, die Tumorerkrankung zu überleben“, so Folprecht. Auch wenn ein Tumor die Darmwand durchbrochen und die Lymphknoten befallen hat, bestehe immer noch eine meist über 60-, häufig über 80-prozentige Überlebenschance. Sind schon Metastasen vorhanden, wird die Behandlung deutlich schwieriger. Die Deutsche Krebsgesellschaft empfiehlt Tumorpatienten, sich in einem zertifizierten Darmkrebszentrum behandeln zu lassen. Eine Übersicht über die Zentren in Deutschland ist hier zu finden.
Das Vorsorgealter von 50 auf unter 50 herabzustufen, hält der Onkologe zurzeit nicht für sinnvoll. Trotz der steigenden Krebsraten in den jüngeren Altersgruppen sei das Erkrankungsrisiko weiter deutlich geringer als in höherem Alter. Jüngeren, in deren Familie schon einmal Darmkrebs diagnostiziert wurde, würden schon früher Vorsorgeuntersuchungen empfohlen – und zwar zehn Jahre vor der Diagnose des betroffenen Familienmitglieds. „Man darf auch nicht vergessen: Das ist eine teure und aufwendige Untersuchung“, gibt Folprecht zu bedenken. „Ich wäre schon froh, wenn die Leute, denen man die Vorsorgeuntersuchung empfiehlt, sie wahrnehmen würden.“
rnd