Leben ohne Schmerzen: Die Perspektive, die rheumatische Erkrankungen verändert

Der Begriff „rheumatische Erkrankungen“ umfasst über 200 verschiedene Krankheitsbilder, die nicht nur die Gelenke, sondern auch Muskeln, Blutgefäße, Haut und lebenswichtige Organe betreffen können. Bei vielen dieser Erkrankungen gerät das Immunsystem aus dem Gleichgewicht, was zu anhaltenden Entzündungen führt. Bleibt diese unbehandelt, schädigt sie Gewebe und beeinträchtigt die Lebensqualität. Die rheumatologische Medizin hat sich heute zum Ziel gesetzt, präventiv einzugreifen: Warnzeichen frühzeitig zu erkennen, Entzündungen an der Wurzel zu bekämpfen und das zu erreichen, was vor wenigen Jahrzehnten noch unmöglich schien: eine frühe und dauerhafte Remission der Erkrankung.
Dr. Álvaro García Martos, Rheumatologe am Universitätsklinikum Tajo (Aranjuez, Madrid), fasst diesen Perspektivwechsel treffend zusammen: „Heute wissen wir, dass die Kontrolle der Entzündung der Schlüssel zur Veränderung des natürlichen Verlaufs dieser Krankheiten ist.“
Forschungen haben gezeigt, dass anhaltende Entzündungen nicht nur die Gelenke schädigen, sondern „auch das Gleichgewicht des gesamten Körpers stören können: Sie erhöhen das Herz-Kreislauf-Risiko, beeinflussen den Stoffwechsel und wirken sich negativ auf das psychische Wohlbefinden aus.“ Daher, so fügt er hinzu, „beschränkt sich das aktuelle Therapieziel nicht auf die Schmerzlinderung, sondern zielt vielmehr darauf ab, die Ursache des Problems zu beheben und zu verhindern, dass der Entzündungsprozess chronisch wird.“
Eine frühzeitige Entzündungskontrolle behandelt nicht nur die Symptome, sondern verändert auch den Krankheitsverlauf. Je früher gehandelt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Remission und einer Verbesserung der Lebensqualität des Patienten.
Der erste Schritt besteht darin, die Krankheit zu identifizieren und so schnell wie möglich mit der Behandlung zu beginnen.
Weniger Starrheit, mehr Mobilität und Autonomie im Alltag.
Weniger Starrheit, mehr Mobilität und Autonomie im Alltag.
Wenn die Entzündung stabil unter Kontrolle ist, kann der Patient sein körperliches und seelisches Wohlbefinden wiedererlangen.
Quellen: Europäische Liga gegen Rheuma (EULAR); Amerikanisches College für Rheumatologie (ACR); „Rheumatoide Arthritis“ von Smolen JS, Aletaha D und McInnes IB, „Lancet“, 2016; Weltgesundheitsorganisation
Um zu veranschaulichen, was passiert, wenn das Immunsystem in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft bleibt, verwendet García Martos eine einfache Metapher: „So wie Kniebeugen mit falscher Haltung irgendwann zu Verletzungen führen, gewöhnt sich ein Immunsystem, das im ständigen Alarmmodus arbeitet, an dieses Muster. Je länger es dauert, dies zu korrigieren, desto schwieriger wird es, das Gleichgewicht wiederzuerlangen.“
Der Spezialist betont, dass die Auswirkungen weit über das Körperliche hinausgehen: „Diese Krankheiten beeinträchtigen jeden Lebensbereich. Bewegungseinschränkungen, Arbeitsausfälle oder der Verlust der Zeit mit Angehörigen belasten die Psyche enorm“, erklärt er. Die Eindämmung der Entzündung, fügt er hinzu, stelle nicht nur Gleichgewicht und Unabhängigkeit wieder her, sondern auch Hoffnung.
Eine frühzeitige Diagnose verändert die GeschichteAusgangspunkt ist die Früherkennung, die nicht nur strukturelle Schäden verhindert, sondern auch den Weg zur Remission ebnet – dem Idealzustand, in dem die Krankheit nicht mehr aktiv ist. García Martos betont: „Je früher gehandelt wird, desto größer sind die Chancen auf eine dauerhafte Remission.“
Dies zu erreichen bleibt jedoch eine Herausforderung. „Es gibt zwar fortschrittliche Behandlungsmethoden, aber nicht alle Patienten erreichen eine vollständige Entzündungsfreiheit. Manche sind weiterhin auf Kortikosteroide angewiesen oder leiden unter wiederkehrenden Krankheitsschüben“, räumt er ein. Daher ist ein personalisierter und multidisziplinärer Ansatz unerlässlich, bei dem die Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen – und die aktive Beteiligung des Patienten – von zentraler Bedeutung sind.
Eine frühzeitige Entzündungskontrolle behandelt nicht nur die Symptome, sondern verändert auch den Krankheitsverlauf. Je früher gehandelt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Remission und einer Verbesserung der Lebensqualität des Patienten.
- Herz: Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (Arteriosklerose, Bluthochdruck)
 - Knochen: Verlust der Knochenmasse und Osteoporose
 - Stoffwechsel: Metabolisches Syndrom, erhöhte Cholesterin- und Glukosewerte
 - Emotionaler Zustand: Depression, Angstzustände und chronische Müdigkeit
 - Immunsystem: Erhöhte Anfälligkeit für Infektionen
 - Schlafstörungen und schlechtere körperliche Erholung
 
Quellen: „Prävention atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei rheumatoider Arthritis“, von Semb AG et al., Nature Reviews Rheumatology (2020); „Pathomechanismen des Knochenverlusts bei rheumatoider Arthritis“, Frontiers in Medicine; „Auswirkungen der rheumatoiden Arthritis auf Lebensqualität und psychische Gesundheit: eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse“, Rheumatology (2014); „Komorbiditäten bei rheumatoider Arthritis: die RBSMR“, International Journal of Clinical Rheumatology.
Für Elisenda de la Torre, Präsidentin des Vereins Reu+ und selbst Psoriasis-Arthritis-Patientin, war die Diagnose ein Wendepunkt. „Ich wurde mit 20 Jahren diagnostiziert, und damals bedeutete Arthritis, dass man fast nur noch auf dem Sofa oder im Bett lag. Heute sieht die Realität ganz anders aus: Wir haben wirksame Behandlungsmethoden und können ein fast normales Leben führen. Aber es gibt noch vieles, was verbessert werden muss.“
Dazu gehören praktische Informationen und Unterstützung. „Manchmal wird einem gesagt, man solle sein Gewicht halten, aber es wird nicht erklärt, wie. Es mangelt an Ernährungsberatung, Physiotherapie oder psychologischer Betreuung“, betont sie. Ihre Erfahrung unterstreicht die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes, bei dem Körper und Geist zusammenwirken: „Autoimmunerkrankungen hängen eng mit dem emotionalen Zustand zusammen. Ein Krankheitsschub kann durch Stress ausgelöst werden, weshalb psychologische Unterstützung Teil der Behandlung sein sollte.“
De la Torre betont auch die aktive Rolle des Patienten: „Sich selbst kennen, wissen, wann man Ruhe braucht, die eigenen Grenzen akzeptieren und um Hilfe bitten, wenn man sie benötigt. All das gehört zum Umgang mit der Krankheit.“ Dennoch räumt sie ein, dass es nicht einfach ist: „Es gibt Tage, an denen man sogar Hilfe braucht, um auf die Toilette zu gehen, und es ist sehr schwer, danach zu fragen. Es ist schwer zu akzeptieren, dass man Unterstützung braucht, ohne sich dabei als Belastung zu fühlen.“
Ihre Botschaft ist jedoch hoffnungsvoll. „Früherkennung hat unser Leben verändert. Früher bekamen alle Patienten Prothesen; heute nicht mehr. Und wir sollten uns damit nicht abfinden: Mit Schmerzen zu leben ist nicht normal. Es gibt Behandlungen, die sie lindern und die Lebensqualität verbessern. Es geht nicht darum, aufzugeben, sondern darum, zu lernen, mit der Krankheit aus einer anderen Perspektive zu leben.“
Wenn der Körper schmerzt und das Leben schrumpftAls Patientenvertreterin spricht De la Torre über die Bedeutung psychologischer Unterstützung. Denn die emotionalen Auswirkungen rheumatischer Erkrankungen sind tiefgreifend und oft unsichtbar. Dr. Rosa Molina, Psychiaterin am San Carlos Klinikum (Madrid), veranschaulicht dies mit einem eindrucksvollen Bild: „Die Diagnose betrifft nicht nur den Körper; sie zwingt uns, unser gesamtes Verständnis zu überdenken, den Raum des neuen Körpers, den wir bewohnen, neu zu erkunden.“
Laut der Expertin kann eine solche Diagnose „widersprüchliche Gefühle auslösen: Angst, Wut, Ungläubigkeit, sogar Erleichterung. Manchmal bringt es Sinn, dem Geschehen einen Namen zu geben, aber es zwingt einen auch dazu, eine neue Identität anzunehmen.“ Deshalb betont sie, dass die Rolle der Fachkraft „nicht nur darin besteht, zu beruhigen, sondern auch zu begleiten, zu bestätigen und Räume zu schaffen, in denen dieser Prozess bewältigt werden kann.“
Körperliche Schmerzen, erklärt sie, werden verstärkt, wenn sie mit Angst, Schuldgefühlen oder Hoffnungslosigkeit einhergehen. „Der Körper wird zu einem unberechenbaren Wetterbericht, der ohne Vorwarnung vor Stürmen warnt. Es entsteht die Angst vor Schmerzen, die Erwartung, dass es schlimmer wird, und das verstärkt die Schmerzen.“ Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, empfiehlt Molina, ein „psychologisches Notfallset“ zusammenzustellen, das beispielsweise bewusstes Atmen, kurzes Schreiben, Achtsamkeitsübungen oder kurze Pausen zur Rückkehr in den gegenwärtigen Moment beinhalten kann.
Sie betont außerdem, wie wichtig es ist, um Hilfe zu bitten: „Es ist kein Zeichen von Schwäche. Wenn wir unsere Gefühle teilen, verändert das unsere Sichtweise. Aufzuhören zu sagen ‚Es ist alles in Ordnung‘ und uns stattdessen zu fragen ‚Was stimmt nicht mit mir?‘, ist ein Akt des Mutes.“ Das soziale Netzwerk, fügt sie hinzu, sei unerlässlich: „Resilienz sollte man Netzwerkresilienz nennen. Wir sind stärker, wenn wir uns gegenseitig unterstützen.“
Hin zu einer humaneren MedizinAlle drei sind sich einig, dass die Entzündungskontrolle nur ein Teil der Herausforderung darstellt. Die andere große Herausforderung besteht darin, das körperliche und seelische Gleichgewicht der Betroffenen wiederherzustellen. „Es genügt nicht, die Schmerzen zu lindern“, betont García Martos. „Es geht darum, dem Patienten zu helfen, wieder ein normales Leben zu führen.“
Die frühzeitige Entzündungskontrolle ist daher zu einem Leitprinzip der modernen Rheumatologie geworden. Sie beugt nicht nur Schäden vor, sondern eröffnet auch die Möglichkeit einer dauerhaften Remission und eines erfüllteren, aktiveren Lebens. Denn, wie Rosa Molina uns in Erinnerung ruft, „bedeutet nicht nur, medizinische Symptome zu lindern, sondern auch, wieder in Kontakt mit sich selbst, seinen Grenzen und seinen kleinen Erfolgen zu treten.“
Und Elisenda de la Torre kommt zu dem Schluss, dass in diesem Prozess die Einstellung den entscheidenden Unterschied macht: „Es hängt nicht alles von der Behandlung ab. Es hängt auch von Ihnen ab, davon, sich einzubringen und nicht aufzugeben, ein Leben in Würde zu führen, auch wenn es an manchen Tagen etwas mehr schmerzt.“
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