Wahl-Krimi von Friedrich Merz schockt Wirtschaft: Die Unsicherheit ist zurück

Die Fassungslosigkeit in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft ist groß, als an diesem Dienstagmorgen die Eilmeldung die Runde macht, dass Unionschef Friedrich Merz im ersten Wahlgang die Kanzlermehrheit verpasst hat. „Katastrophe“ ist ein Wort, das man häufig hört. Auch die offenkundig fehlende Vorbereitung für den Fall, dass die Sache schiefgeht, können die Wirtschaftsvertreter nur schwer fassen.
Die meisten waren davon ausgegangen, dass die Wahl des CDU-Chefs zum zehnten Bundeskanzler der deutschen Geschichte am Ende reine Formsache sein würde. Klar, das Gegrummel in den Fraktionen war auch den Wirtschaftskapitänen und ihren Lobbyisten nicht verborgen geblieben. Aber 18 fehlende Stimmen aus den Reihen der Koalition? Dafür fehlte den meisten die Fantasie.
Viele Verbände hatten ihre vorbereiteten Glückwünsche und Forderungskataloge bereits am frühen Dienstagmorgen an die Presseverteiler geschickt, darunter Schwergewichte wie der Industrieverband BDI.
Auch die Händler an der Frankfurter Börse hatten sich auf einen freundlichen Tag eingestellt. Die Chancen, dass der Dax auf ein neues Allzeit-Hoch klettern könnte, standen am Dienstagmorgen nicht schlecht. Es wäre der vorläufige Höhepunkt einer erstaunlichen Rallye gewesen, die der deutsche Leitindex seit seinem April-Crash hingelegt hat.

Hinter einem TV-Monitor, auf dem der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, M) bei der Kanzlerwahl im Bundestag in Berlin zusehen ist, zeigt die Dax-Kurve einen fallenden Verlauf. Der designierte Bundeskanzler Merz ist bei der Kanzlerwahl im Bundestag im ersten Wahlgang durchgefallen.
Quelle: Arne Dedert/dpa
Doch um kurz nach zehn Uhr ist es mit der Euphorie vorbei. Mit dem Satz, dass der Abgeordnete Friedrich Merz die notwendige Stimmenmehrheit nicht erreicht habe, schickt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) die Kurse in den Keller. Der Dax rutscht knapp 2 Prozent ins Minus und zeitweise unter die Marke von 23.000 Punkten.
Es kommt nicht allzu oft vor, dass deutsche Aktien auf aktuelle Bundespolitik reagieren. Gerade die 40 Großkonzerne im Deutschen Aktienindex hängen stärker vom Weltmarkt und den US-Börsen ab. Doch als sich Union und SPD Anfang März faktisch auf die Abschaffung der Schuldenbremse und zusätzliche Ausgaben von rund einer Billion Euro in den nächsten Jahren einigten, galt das vor allem internationalen Investoren als Zäsur für ganz Europa: Mit diesem Schub könnte der Kontinent auf den Wachstumspfad zurückfinden.
Die Hoffnung darauf hatte den Leitindex Mitte März auf einen Höchststand von 23.478 Punkten gehievt, bevor es erst langsam und nach den Zollankündigungen Donald Trumps steil abwärts ging. Um rund 20 Prozent rutschte der Index innerhalb von drei Wochen ab - und kletterte danach zur Überraschung der meisten Fachleute genauso schnell wieder auf Rekordniveau.
Treiber der Erholung waren unter anderem Zwischenbilanzen von Unternehmen für das erste Quartal, die besser ausfielen als befürchtet. Hinzu kommt, dass zumindest in Europa mit weiteren Zinssenkungen gerechnet wird, was Aktien tendenziell steigen lässt. Vor allem aber hat Donald Trump mit einigen Rückziehern bei seinen Zollplänen zwar viel Chaos verbreitet – aber auch die Hoffnung geweckt, dass er vor den radikalsten Plänen doch zurückschrecken wird. Damit könnte die befürchtete Rezession in den USA noch vermieden werden.

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Nun ist die Unsicherheit zurück. Die im ersten Anlauf gescheiterte Merz-Wahl hat den Börsianern deutlich vor Augen geführt, dass die größten Risiken derzeit von der Politik ausgehen.
Harsch kommentieren Wirtschaftsvertreter das Berliner Chaos. „Das Scheitern im ersten Wahlgang ist ein verheerendes Signal – und eine denkbar schlechte Nachricht für die deutsche Wirtschaft“, sagt Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Angesichts der wirtschaftlichen und geostrategischen Herausforderungen sei politische Handlungsfähigkeit unerlässlich, mahnte der DIHK-Chef. Die Unternehmen stünden bereit, ihren Beitrag zu leisten, bräuchten aber ein verlässliches politisches Umfeld, so Adrian. „Ohne politische Führung wird die wirtschaftliche Erholung nicht gelingen.“
Auch andere Verbände appellieren an die Abgeordneten, die Bildung einer neuen Regierung nicht weiter zu verzögern. Ob der Druck der Wirtschaft geholfen hat, ist nicht bewiesen, aber als um Viertel nach vier die Nachricht vom erfolgreichen zweiten Wahlgang kommt, ist das allgemeine Aufatmen spürbar.
Ein „unglücklicher Start“ sei das gewesen, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm dem RND. „Es lag aber auch in der Luft.“ Deutschland brauche nun einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel, fordert Grimm. Nur darauf zu hoffen, dass sich die wirtschaftliche Stimmung wieder bessert, werde nicht funktionieren. „Es muss den politisch Verantwortlichen gelingen, einen Kurswechsel in vielen Politikfeldern zu erreichen – sonst verschärfen sich die Probleme“, so Grimm.
An den Börsen immerhin hinterlässt der Schock vom Dienstagmorgen keine tiefgreifenden Spuren. Schon im Laufe des Tages hatte der Trend wieder nach oben gezeigt, nach der Merz-Wahl am Nachmittag reagiert der Dax mit einem kleinen Hopser.
Es ist das versöhnliche Ende eines turbulenten Tages. Auch wenn das blinde Vertrauen in den nächsten Rekord erst einmal dahin ist.
rnd