Ringen um die Snooker-WM: Zwei große Kugeln auf dem Tisch

Als sich der Chinese Zhao Xintong am Montag vergangener Woche als neuer Weltmeister im Snooker beklatschen ließ, wurde ihm als Erstes die Nationalflagge seines Heimatlandes zugesteckt. Der 28-Jährige entfaltete sie sorgfältig, dann hielt er den roten Stoffstreifen vor seinem Gesicht hoch, sodass man ihn selbst gar nicht mehr sah. Das passte insofern, als er sich nicht nur selbst zum Champion krönte – sondern dabei erstmals auch sein Land.
Zhaos Titel symbolisiert die weitreichenden Bestrebungen von China im Snooker, die in dieser Disziplin seit Jahrzehnten dominierenden Engländer abzulösen. Bei der WM standen zehn Chinesen im Hauptfeld, nur die Engländer stellten ein größeres Aufgebot. Snooker ist Trendsport in China, das Finale verfolgten 150 Millionen Menschen vor dem TV, mitten in der Nacht. Und jetzt hat das Land die Absicht, das Jahreshighlight im Snooker-Kalender zu ergattern – und England die Austragung der WM zu entreißen.

Ronnie O'Sullivan könnte sich bei der Snooker-WM seinen achten Titel sichern und eine weitere besondere Bestmarke erreichen. Aber erst einmal legt er sich vor dem Turnierstart mit den Traditionalisten seines Sports an.
Die ständigen Spekulationen um Chinas Interesse bestätigte Barry Hearn. Der 76-Jährige ist der Kopf seiner eigenen Vermarktungsfirma Matchroom, die das professionelle Snooker weitgehend organisiert und kontrolliert. Er sagte, chinesische Städte wie Peking und Shanghai böten ihm „riesige Geldsummen“, damit er die WM nach Fernost vergibt. Seit 1977 wird das Turnier durchgehend im historischen Crucible Theater im Stadtzentrum von Sheffield ausgetragen, der spirituellen Heimat des Snookerspiels.
Allerdings läuft der Vertrag mit Sheffields Stadtverwaltung nur noch zwei Jahre, 2027 könnte Schluss sein. Während der WM ließ Hearn wohlkalkuliert keine Gelegenheit aus, den Veranstaltern zu drohen, den Vertrag auslaufen zu lassen. Damit versucht er, die Snooker-Länder England und China über Bande gegeneinander auszuspielen. China ist gewissermaßen seine Spielkugel am Tisch, mit der er die Zielkugel England nach seinen Vorstellungen bewegen will. Hearn hebt zwar seine persönliche Verbundenheit zum Crucible hervor und will dort eigentlich bleiben – stellt aber Forderungen, die für die andere Seite nicht ohne Weiteres zu erfüllen sind.
Im Wesentlichen dreht es sich ums Fassungsvermögen des Crucible, das nicht mehr als 980 Zuschauer aufnehmen kann. Laut Angaben von Matchroom könnte man jedoch wohl zwischen 2500 und 3000 Eintrittskarten für die meisten der zusammengerechnet 43 Spielsessions in den zwei Turnierwochen verkaufen. Die Sache sei eindeutig, erklärt Hearn: Es gehe selbstverständlich ums Geld, zurzeit „verhungern“ die WM-Einnahmen. Ferner kritisierte er die Einrichtungen im Crucible und forderte mehr Respekt ein. Die plausibelste Lösung wäre, das abgewirtschaftete Crucible auszubauen. Aber die Millionenkosten könnte die finanziell klamme Arbeiterstadt Sheffield im englischen Norden sicher nicht tragen. Der Schauplatz wird sonst für Theatervorstellungen genutzt. Von einer Renovierung würden Sheffields Einwohner zwar grundsätzlich ebenfalls profitieren, allerdings erscheint es mehr als fraglich, ob außerhalb der Snooker-WM überhaupt Bedarf daran besteht.

Mögliche Mehrerlöse will Hearn durch Preisgelderhöhungen den Spielern vermachen. Die Ausschüttung bei dieser WM betrug 2,4 Millionen Pfund, wovon der Sieger eine halbe Million erhielt. Hearn hat die Vorstellung, dass der Weltmeister fortan doppelt so viel bekommt. So soll aus seiner Sicht bei jungen Talenten der Anreiz gefördert werden, eine Laufbahn im Snooker anzustreben, wovon wiederum die Attraktivität der Sportart profitieren würde. Dabei dient Hearn die Darts-WM als Vorbild, die ebenfalls Matchroom verwaltet. Dort werden ab 2026 erstmals knapp fünf Millionen Pfund Preisgeld aufgerufen. Darts gewann einst an Bedeutung, als sich der WM-Austragungsort änderte: 2008 siedelte man von der am Londoner Stadtrand gelegenen Circus Tavern in den größeren Alexandra Palace um, genannt „Ally Pally“. Der liegt allerdings, sogar deutlich zentraler, ebenfalls in London. Und nicht in China.
Die Standortfrage spaltet nun die Snooker-Szene. Spieler und Fans schätzen einerseits die Geschichte des Crucible, in dem eine spezielle Atmosphäre gegeben ist, weil die Zuschauer den Protagonisten nah kommen wie in kaum einer anderen Sportart. Andererseits ist der abgewirtschaftete Zustand des Gebäudes offenkundig. Der Geruch sei schlecht und der Übungsraum käme einer Garage gleich, beklagte sich ein Teilnehmer im vergangenen Jahr. Kürzlich haben sich die Vertreter von Matchroom und des Sheffield Council zu Gesprächen getroffen – ohne wirklichen Fortschritt. Hearn berichtete, dass er dennoch weiter an einen Kompromiss glaube, man rede weiter. Seine Hoffnung ist ein Einspringen der britischen Regierung, an die man sich wenden müsse, richtete er aus.
Die Nachrichtenplattform Sheffield Tribune kommentierte, das „Snooker-Psychodrama“ müsse endlich aufhören, weil die alljährliche Debatte ‚Werden sie, werden sie nicht‘ an den Kräften zehre. Weltmeister Zhao Xintong, der seine Profikarriere mit dem Umzug aus seiner Heimat Xi’An im Norden Chinas nach Sheffield ankurbelte, äußert sich diplomatisch. Er hoffe, die WM komme irgendwann nach China – aber sein Glücksort bleibe das Crucible.
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