Mit Reife und Routine: Die Schweiz startet gegen Kosovo überzeugend in die WM-Qualifikation – aber sie sollte diesen Sieg nicht überbewerten


Die womöglich beste Nachricht des Freitagabends erhielten die Schweizer Nationalspieler erst nach dem Schlusspfiff. Slowenien hatte soeben in letzter Minute gegen Schweden das 2:2 erzielt, damit büssten die zwei stärksten Gruppengegner der Schweiz gleich beide zum Start in die WM-Qualifikation zwei Punkte ein.
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Und wer Granit Xhaka kurz darauf bei seiner Analyse zuhörte, wäre niemals auf die Idee gekommen, dass die Schweizer Nationalmannschaft mit dem 4:0 gegen Kosovo einen perfekten Einstand hingelegt hatte. Der Captain bemängelte den Leistungsabfall nach «einer sehr starken ersten Halbzeit» bemerkenswert kritisch und sprach von Spielern, die sich nicht mehr an die Vorgaben gehalten hätten. «Das können wir uns nicht leisten», sagte Xhaka. Und: «Wir hätten viel höher gewinnen müssen.»
Embolo krönte seine starke Leistung mit zwei schönen TorenXhakas Aussagen bewiesen seinen Ehrgeiz, doch sie fühlten sich irgendwie schief an angesichts einer sehr überzeugenden Vorstellung der Schweizer vor der Pause. Sie traten wie erwartet mit einer erfahrenen Mannschaft an, routiniert und reif, robust und ruhig, und führten den überforderten, teilweise inferioren Gegner vor. Und die Schweiz veredelte den Pflichtsieg mit sehenswerten Toren. Der Nationaltrainer Murat Yakin war in der Beurteilung weniger streng als sein Captain: «Wir haben souverän gewonnen. Und es ist klar, dass man mit einer solchen Führung auch ein wenig stärker verwaltet und Kräfte spart.»
Es war ein Abend mit vielen Geschichten im Basler St. Jakob-Park. Die Hauptrolle bekleidete Breel Embolo. Er war bei seinem Klub Monaco in dieser Saison nicht eingesetzt und kurz vor Ende der Transferphase vor wenigen Tagen zu Stade Rennes abgeschoben worden – und er hatte am Mittwoch in Basel auch noch einen Gerichtstermin. Doch Yakin setzte wie immer auf Embolo, weil der Stürmer nicht nur die Abläufe im Nationalteam seit vielen Jahren kennt, sondern auch der mit Abstand beste Angreifer im Kader ist.
Embolo revanchierte sich für das Vertrauen mit einem furiosen Auftritt. Er war spielfreudig und spritzig, laufstark und kämpferisch – und er schoss zwei herrliche Tore. Beim 2:0 nach präziser Flanke des auffälligen Dan Ndoye nahm Embolo den Ball mit rechts an und schoss ihn mit links unter das Netzdach. Und beim 4:0 kurz vor Ende der ersten Halbzeit nach einer weiteren feinen Kombination und einer Vorarbeit Ndoyes traf er sogar spektakulär mit der Hacke.
Das bittere Debüt für Leon AvdullahuPhasenweise durften die Schweizer beinahe wie im Training hin und her passen, unbehelligt von Gegenspielern, die hinterherliefen und froh sein mussten, dass Embolo und seine Kollegen nach der Pause nicht mit der gleichen Intensität und Lust weiterspielten. «Es gibt immer Dinge, die man besser machen kann», sagte Embolo. «Aber wir haben stark gespielt und viele Sachen so umgesetzt, wie wir uns das vorgenommen hatten.»
Das galt besonders für das 1:0 durch Manuel Akanji, seit wenigen Tagen nicht mehr Spieler von Manchester City, sondern von Inter Mailand. Nach einer einstudierten Eckballvariante traf der Abwehrchef mit dem Kopf zur Schweizer Führung, wobei er sich im Duell zweier weiterer Fussballer mit Vergangenheit beim FC Basel gegen den deutlich weniger kräftigen Leon Avdullahu durchsetzte.
Und damit zu einer anderen zentralen Figur dieses Abends vor knapp 34000 Zuschauerinnen und Zuschauern in der ausverkauften Arena. Avdullahu hatte letzte Saison mit dem FC Basel das Double gewonnen und sich erst vor wenigen Tagen gegen die Schweiz und für Kosovo entschieden – nachdem er jahrelang in Nachwuchsteams des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) gefördert worden war. Nicht alle im SFV haben das verstanden.
Franco Foda erinnerte an seine Zeit beim FC ZürichAvdullahu erlebte ein bitteres Debüt in einer Mannschaft, die tatsächlich den Eindruck hinterliess, sich erst vor wenigen Tagen formiert zu haben. Dabei war der Mittelfeldspieler in Kosovo mit gewaltigen Erwartungen empfangen worden, der Verbandspräsident Agim Ademi hatte sogar gesagt, Avdullahu könne der grösste kosovarische Fussballer der Geschichte werden.
Der Hoffenheimer trug gleich die Nummer 10 – wobei ihm von der Schweizer Nummer 10, Granit Xhaka, schon nach wenigen Sekunden und später immer wieder die Grenzen aufgezeigt wurden. Avdullahu leistete sich ungewohnte Abspielfehler, immerhin führte er sich damit angemessen in eine ausgesprochen klägliche kosovarische Mannschaft ein.
Und draussen stand der Trainer Franco Foda so resigniert an der Seitenlinie wie einst während seines unglücklichen und kurzen Gastspiels beim FC Zürich. Kosovo musste zwar auf die zwei besten Individualisten Edon Zhegrova und Milan Rashica verzichten, doch man hatte das Team deutlich stabiler und aggressiver erwartet. In heimischen Medien waren die Begegnungen in der Schweiz sowie am Montag gegen Schweden sogar zu den grössten in der jungen Geschichte des Nationalteams erklärt worden – noch nie seien die Chancen auf eine WM-Teilnahme so gross gewesen.
Der Härtetest am Montag gegen SlowenienVon einem angeblichen Schweizer Angstgegner nach drei enttäuschenden Unentschieden in den letzten drei Jahren war jedoch am Freitagabend nichts zu erkennen. Die Schweiz legte sich Kosovo wie einen Sparringpartner zurecht, bestens dokumentiert beim dritten Tor, als sie vorerst entspannt abwartete, ehe der Goalie Gregor Kobel den Ball nach vorne schlug, was bereits genügte, um die dilettantische Abwehr der Gäste zu destabilisieren. Zwei Pässe und ein paar Sekunden später durfte Rechtsverteidiger Silvan Widmer aus wenigen Metern ins leere Tor das 3:0 erzielen. Das präzise Zuspiel hatte Fabian Rieder geleistet, seit ein paar Tagen nicht mehr Spieler von Stade Rennes, sondern vom FC Augsburg.
In ein paar Tagen werden Embolo, Akanji und Rieder bei ihren neuen Klubs das Training aufnehmen. Vorher wartet am Montagabend das Heimspiel mit dem Nationalteam gegen Slowenien. Es ist kaum vorstellbar, dass die Schweizer Mannschaft in Basel dann auf derart wenig Gegenwehr stossen wird wie gegen Kosovo. Deshalb sollten sie den Statementsieg auch nicht überbewerten.
Und das 2:2 zwischen Slowenen und Schweden könnte sich noch als trügerisch erweisen. Schliesslich erwartet auch der Schweizer Nationaltrainer Murat Yakin in den nächsten etwas mehr als zwei Monaten in der WM-Qualifikation einen engen Kampf um die Plätze 1 und 2 – und damit, dass jeder Punkt wertvoll ist.
nzz.ch