14 Milliarden für Fussballspieler: Der Transfermarkt boomt wie noch nie. Doch ein Gerichtsurteil stellt das System infrage


Jacques Feeney / Offside / Imago
Am Montag, zum Ende des Sommer-Transferfensters, lief der Markt noch einmal heiss. Alexander Isak, der schwedische Angreifer, wechselte für fast 150 Millionen Euro zum FC Liverpool.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Isaks Wechsel war der passende Schlusspunkt eines bemerkenswerten Transferjahres, in dem weltweit über 14 Milliarden Euro flossen, Winter- und Sommerperiode zusammengerechnet. Das sind laut einer Auswertung des CIES Football Observatory 14 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2023. Und damit ein einsamer, historischer Rekord.
Ein neues Jahr, eine neue Höchstmarke. Business as usual im Fussballgeschäft, das die schwierigen Corona-Jahre längst hinter sich gelassen hat. Die Milliarden sprudeln wieder wie ein Bergbach im Frühling, wenn in der Höhe der Schnee schmilzt. Wobei im vorliegenden Fall die Premier League die Quelle ist, die dank immer wuchtigeren Fernsehverträgen die Konkurrenz mittlerweile wie Zulieferbetriebe behandelt.
Alles wie immer also, oder besser: alles noch grösser als je zuvor. Dabei steht das heutige Transfersystem gerade unter Beschuss und seine Zukunft auf dem Spiel. Und es gibt Rechtsexperten, die sagen, dass es sich bald fundamental verändern werde.
Die Sammelklagen gegen die FifaVon Lassana Diarra war in den letzten, hektischen Transfermonaten kaum einmal die Rede. Der Franzose wurde ignoriert wie der Gast, der nicht zur Party eingeladen war, sich aber irgendwie Zutritt verschafft hat. Doch vielleicht geht sein Name dereinst in die Fussballgeschichte ein wie jener von John Bosman, weil er dem Fussball-Ökosystem aufgezwungen hat, was es gar nicht gerne mag: Veränderung.
Nur kurz schaffte es Diarra in die Schlagzeilen. Im August gaben dessen Anwälte bekannt, dass der ehemalige französische Fussballprofi von der Fifa Schadenersatz in der Höhe von 65 Millionen Euro verlange. Bereits ein paar Tage zuvor hatte die Organisation «Justice for Players» bekanntgegeben, dass sie eine Sammelklage gegen die Fifa, den Deutschen Fussball-Bund (DFB) und weitere europäische Nationalverbände lanciere.
Die Ankündigungen sind die Folge eines Urteils des europäischen Gerichtshofs vom vergangenen Oktober. Und sie stehen für einen Machtkampf zwischen Spielergewerkschaften und dem Fussball-Establishment, der die Branche noch eine Weile in Atem halten wird.
Diarra machte eine ansehnliche Karriere, er räumte im Mittelfeld von Real Madrid auf, spielte 34 Mal für Frankreich. Im Jahr 2014 stand er bei Lokomotive Moskau unter Vertrag. Und geriet in einen Streit, der bis heute andauert.
Lee Smith / Action Images
Der Franzose kündigte in Moskau einseitig seinen Vertrag, später wurde er von der Fifa zu einer Strafzahlung in der Höhe von 10 Millionen Euro verurteilt. Und setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, an deren Ende der Europäische Gerichtshof das Fundament des internationalen Transfersystems des Fussball-Weltverbands (Fifa) infrage stellte. Dessen Reglement sieht vor, dass Fussballer und auch ihre neuen Klubs Entschädigungen entrichten müssen, wenn sie einen Vertrag ohne triftigen Grund vorzeitig auflösen. Und es sieht für solche Fälle weitere Sanktionen wie Spielverbote gegen die Fussballer und Transfersperren gegen die aufnehmenden Klubs vor.
Der Europäische Gerichtshof befand, dass Teile des Fifa-Reglements EU-Recht verletzten und dass sie in ihrer gegenwärtigen Form vor allem dazu dienten, die finanziellen Interessen der Klubs zu schützen. Die Instanz äusserte sich laut langjährigen Beobachtern in ihrem Urteil aussergewöhnlich deutlich.
Antoine Duval forscht am Asser Institute in den Niederlanden und ist ein renommierter Sportrecht-Experte. Der Franzose gehört zu jenen Experten, die sich am pointiertesten zum Diarra-Urteil äussern. Und er ist überzeugt, dass es «transformativen Charakter» haben wird.
Duval sagt, dass es den Transfermarkt in seiner heutigen Form nur gebe, weil die Fifa-Regeln Risiken für die Spieler und die Klubs kreierten – das Risiko, hohe Kompensationszahlungen entrichten zu müssen oder mit Spiel- oder Transfersperren belegt zu werden. «Diese Risiken wollen Klubs und Spieler vermeiden, darum suchen sie eine einvernehmliche Einigung, und darum werden Ablösesummen entrichtet», so Duval.
Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Diarra bestehen diese Risiken für Duval nicht mehr in der gleichen Form wie zuvor. «Streng juristisch gesehen haben die Klubs in meinen Augen seit dem Urteil Milliarden für heisse Luft ausgegeben, für ein Luftschloss, und sie sind damit grosse Risiken eingegangen», sagt er.
Der Grund: Wenn ein Fussballer nun seinen Vertrag einseitig künden würde, wäre es aufgrund des EU-Urteils laut Duval «höchst unwahrscheinlich», dass die Fifa die gleichen Sanktionen und Kompensationszahlungen wie in der Vergangenheit verhängen würde. Denn sie würde damit weitere Schadenersatzzahlungen riskieren, zusätzlich zu jenen, die ihr wegen Diarras Klage und jener von «Justice for Players» bereits drohen.
Jean-Louis Dupont, der Bosman-Anwalt, mischt wieder mitDie niederländische Organisation will Fussballer dazu ermuntern, sich der Sammelklage anzuschliessen. Sie argumentiert dahin gehend, dass bis zu 100 000 Spieler wegen der rechtswidrigen Fifa-Regularien Einnahmeverluste erlitten hätten. Beraten wird «Justice for Players» von einem alten Bekannten, Jean-Louis Dupont. Der hat einst das Bosman-Urteil erwirkt und wurde so zum Schrecken der Fussballbranche. Seine Kanzlei vertritt jetzt auch Diarra.
Duponts Partner Martin Hissel, der Anwalt von Diarra, ist überrascht, dass das Urteil vom letzten Jahr sich bisher noch nicht auf das Verhalten der Spieler ausgewirkt hat. Hissel betont Unterschiede zum Bosman-Urteil. Damals sei klar gewesen, dass die Fussballer nach dem Ablauf ihrer Verträge ablösefrei wechseln könnten. Nun gehe es um laufende Arbeitsverhältnisse, was bedeute, dass Spieler aktiv werden, ihre Verträge kündigen – und damit rechtliche Risiken eingehen – müssten.
Juristisch steht das Fifa-Transfersystem seit dem Diarra-Urteil auf tönernen Füssen. Im Hintergrund ringen die Spielergewerkschaften mit der Fifa und anderen Stakeholdern wie der Vereinigung der europäischen Klubs (ECA) um ein neues Regelwerk; vor diesem Hintergrund sind auch die Schadenersatzklagen zu betrachten. Der Spielergewerkschaft Fifpro schwebt ein System vor, das klarer regelt, wann und zu welchem Preis ein Fussballer seinen Vertrag kündigen kann. Der Preistreiberei auf dem Transfermarkt soll das ein Ende setzen.
Fifa und Klubs spielen derweil auf Zeit. Der Weltverband teilt auf Anfrage nur mit, dass der Austausch über die künftigen Transferregeln laufe. Die Fifa und die Klubs haben sich seit dem Urteil auf den Standpunkt gestellt, dass es aufgrund des Diarra-Urteils zwar Anpassungen brauche, das System aber im Grossen und Ganzen weiterlaufen könne wie bisher. Das liegt auch daran, dass die gut geölte Transfermaschine das Geld zuverlässig verteilt. Wenn sie nicht mehr läuft, gibt es viele Verlierer. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch tun wird.
nzz.ch