„Machtungleichgewicht gegenüber Bürger“: Strafrechtlerin lehnt Tatbestand Politikerbeleidigung ab

Nach Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs werden Beleidigungen gegen Politiker härter bestraft. Das Ethikrat-Mitglied Frauke Rostalski erkennt darin einen Widerspruch.
Die Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski hält den Tatbestand der „Politiker-Beleidigung“ für unangemessen. „Ich halte ihn für verfehlt, der Schaden ist größer als sein Nutzen“, sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Rostalski ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln und seit 2020 Mitglied des Deutschen Ethikrats.
Das gesamte Interview erschien in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung – online können Sie es hier lesen.
Auch ohne den Paragrafen 188 des Strafgesetzbuchs gäbe es „weiterhin andere Beleidigungstatbestände, die natürlich auch für Politiker Anwendung finden“, sagte Rostalski. Der Tatbestand war im Jahr 2021 verschärft worden. Seither kann eine mutmaßliche Beleidigung auch unabhängig von einem Strafantrag verfolgt werden. Die Höchststrafe liegt bei drei Jahren Haft. Bei einer gewöhnlichen Beleidigung sind es maximal zwei Jahre.
„Das Problem ist doch, dass ein erhöhtes Strafmaß daran geknüpft wird, dass die Person, die da beleidigt wird, in ihrer Tätigkeit beeinträchtigt werden kann. Dass sie Schaden im politischen Betrieb nehmen kann“, sagte die Strafrechtsprofessorin. „Für mich steht das damit im Widerspruch, dass Bundespolitiker jederzeit über Medien kommunizieren können. Das können normale Bürger nicht.“ Außerdem könnten sie an Gesetzen mitwirken, die Freiheiten einschränken.
„Das ist ein Machtungleichgewicht gegenüber dem Bürger. Der hat nur seine Stimme“, sagte Rostalski. „Und dass es in Diskursen auch mal zu Kraftausdrücken kommt, ist unschön, aber menschlich. Auch das Bundesverfassungsgericht sagt, dass Politiker grundsätzlich mehr hinnehmen müssen.“ Nach einer regelrechten Anzeigenflut war in den vergangenen Monaten immer wieder Kritik an dem Paragrafen laut geworden, der auch Verleumdung beinhaltet. Zuletzt war ein Publizist zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er eine Fotomontage verbreitet hatte, die Nancy Faeser und ein Schild mit der Aufschrift „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ zeigt.
Berliner-zeitung