Das Prinzip Trump: Kaum steht jemand auf, kommt der nächste Stoss


Gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit liess Donald Trump die Welt wissen: «I am really smart», ein «stabiles Genie». Sodann erzählte er: «Ich besuchte das beste College, wo ich ein ausgezeichneter Student war.» Allein diese Sprüche markieren einen Riss in der amerikanischen Präsidialgeschichte. Denn keiner seiner grossen Vorgänger hatte sich je mit Selbstlob überschüttet – kein Washington oder Jefferson, kein Roosevelt oder Kennedy, die beide Harvard absolviert hatten, ohne sich dessen zu rühmen. Das verbat der Comment.
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Die «Washington Post», eine hartnäckige Trump-Verächterin, berichtet nun Phantastisches. Trump hat gerade versprochen, die Medikamentenpreise um 1500 Prozent zu stauchen, was selbst Siebtklässler aufjaulen liesse. Denn mehr als 100 Prozent weniger kann logischerweise nicht sein. Dagegen verblasst ein weiteres Selbstlob: In seiner zweiten Amtszeit seien die Benzinpreise in fünf Gliedstaaten auf 1 Dollar 99 pro Gallone (3,8 Liter) gefallen. Tatsächlich kostet Benzin landesweit über 3 Dollar. Trump über seine Arithmetik: «Keinem anderen wäre das gelungen.» Zwei und zwei macht fünf, dies notierte George Orwell in «1984».
Erntet der Triumphator höhnisches Gelächter? Nur in den Comedy-Shows. Auf der politischen Bühne, in den Umfragen, steht Trump II heute nicht schlechter da als seine Vorgänger im siebenten Monat ihrer jeweiligen Präsidentschaft. Joe Biden kriegte gute Noten von 43 Prozent, schlechte von 52 Prozent. Barack Obama holte in dieser Phase seiner zweiten Regentschaft 46 Prozent Zustimmung, 50 Prozent Ablehnung. Trumps Ratings stehen heute bei 46 Prozent positiv und 51 Prozent negativ. Das Volk muss er nicht fürchten.
Übles melden dagegen die Umfragen über die Demokratische Partei. Fast zwei Drittel schätzen sie nicht; das ist die höchste Abneigungsquote seit 30 Jahren.
Manchmal hilft nur die SatireDas Rätsel Trump, eines Ausreissers in der amerikanischen Geschichte, müssen künftige Historiker knacken; die «Pressbengel» (Bismarck), die im Stundentakt arbeiten, können nur berichten, was ist, und deshalb umso besser ihre politischen Neigungen bedienen. Rechts bejubelt die eine Hälfte Amerikas ihre Ikone, die endlich die Kulturhoheit der Wohlgesinnten bricht. Links wird Trump als böser Clown stilisiert, als «Terminator» im Massanzug, der jegliche Tradition aushebelt. In Europa dagegen wirken die Orbans und die AfD wie gesittete Klosterschüler.
Am liebsten greift man zur Satire wie das Magazin «New Yorker» am 23. Juni. Mit Blick auf Trumps erpresserische Handelspolitik legt das Blatt dem 47. Präsidenten eine erfundene To-do-Liste in den Mund: «Raus aus dem Sonnensystem! Denn Amerika ist der einzige Planet, der mehr als seinen fairen Kostenanteil trägt. Wir haben der Welt Satelliten und die Mondflagge geschenkt. Wenn die uns wiederhaben will, muss sie einen Deal anbieten.» Zu China: «Wir kaufen die Grosse Mauer und bauen sie in Mexiko wieder auf – und verkaufen sie dann an China, aber mit Zollaufschlag.»
«Es ist schwer, keine Satire zu schreiben», dozierte der römische Dichter Juvenal. In der Causa Trump passt Kurt Tucholsky besser. «Übertreibt die Satire?», fragte er. Sie «muss übertreiben. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird.» Richtig, seufzt der Zeitgenosse, der sich stündlich mit Trumps Eskapaden herumquälen muss. Gegen ihn wirken Keir Starmer, Emmanuel Macron und Friedrich Merz wie Chargen im Provinztheater; ehrerbietiger gesagt: wie Politiker, die sich stets absichern und harte Wahrheiten wortreich in Watte packen. Nur geben sie ebenso wenig wie Putin und Xi Weltstars her. Trump beherrscht dagegen die Bühne 24 Stunden pro Tag.
Historisch einzigartigWas treibt The Donald? Vorweg das kostbarste Gut der Aufmerksamkeitsökonomie: Wer nicht auffällt, existiert nicht in einer Welt, die den alten Gutenberg abgeschrieben hat. Es gilt nicht das gedruckte oder verlautbarte Wort, sondern was Millennials und die Gen Z in den sozialen Netzwerken à la Tiktok, Instagram oder X sehen und hören. Allein in den 132 Tagen seit seinem zweiten Amtsantritt hat Trump 2262-mal auf seinem Netzwerk Truth Social gepostet – nicht nur selber, sondern mithilfe eines Heers von Bediensteten.
Das allein beleuchtet, aber erklärt noch nicht das historisch einzigartige Phänomen Trump. Etwa so: Wer das Bewusstsein beherrschen will, muss «Butter bei die Fische» tun, wie ein norddeutscher Spruch lautet. Sonst stirbt die obsessive Gier nach mehr; das Publikum muss immer wieder gefüttert werden. So hat Trump den Weltrekord als «Influencer» errungen. Auf der Plattform X hat er an die 100 Millionen Follower.
Wie schafft er, was nun auch in anderen Regierungszentralen Schule macht? Er liefert rund um die Uhr neue «Butter» wie ein Drogendealer. Die wilden Sprünge in der Aussenpolitik sind nicht bizarr, sondern Prinzip. So will es die Aufmerksamkeitsökonomie. Ein paar Beispiele. Der Donald wollte den Wladimir als Buddy gewinnen, gemeinsam mit Putin Europas Schicksal bestimmen. Nun droht er ihm plötzlich eine Latte von neuen Sanktionen an, wenn er nicht den Ukraine-Krieg in zwölf Tagen beendet – 100 oder gar 500 Prozent Strafzölle!
Mal zügelt Trump Israel, mal zieht er gemeinsam mit Jerusalem in den Luftkrieg gegen Iran. Jüngst bedrängte er Netanyahu, «die Kids in Gaza mit Nahrung zu versorgen». Vor einem halben Jahr eine groteske Volte. Israel solle «Gaza nach Kriegsende den USA überlassen». Sozusagen als Mar-a-Lago am Mittelmeer. Wer kann noch die endlosen Zuckungen im Zollkrieg zählen? Die EU sollte einst 30 Prozent Strafzölle aufgebrummt kriegen; jetzt sind es 15 Prozent, und Europa hält erst einmal still. Den Chinesen hatte Trump ursprünglich 145 Prozent aufhalsen wollen; jetzt begnügt er sich mit 30. (Alle Daten ohne Gewähr, weil Trump schon heute neue Machtspiele ausheckt.)
Tägliche AngriffeVom Bühnen- zum echten Geschäft, wo Vorteil und Profit locken. «Erpressung» gibt das Schlüsselwort her, das durchgehend Trumps Handeln bestimmt. Treulos, ja schnöde, wo es im Namen von «America first» um dessen Freunde seit einem Menschenalter geht – von Europa bis Fernost. Kaltäugige Realpolitiker reden hier nicht von Fürsorge und Bündnispflicht, sondern wie Lenin von «Wer-wen?» – wer zwingt dem anderen seinen Willen auf?
Das ist «unamerikanisch», jedenfalls nach 1945, als die USA sich vom Isolationismus lossagten und eine Ordnung aufbauten, welche das Eigen- mit dem Gesamtwohl verknüpfte. Für Trump ist wie in früheren Jahrhunderten Aussen- und Handelspolitik gleich Machtpolitik. Wer am längeren Hebel sitzt, bestimmt die Regeln – nicht fein, sondern Ausdruck des Machtgefälles.
Kanada, Mexiko, Japan und Europa sind perplex, aber im Nachteil. Sie fühlen sich wie putzige Haustiere, die plötzlich in den Keller verbannt werden. Insbesondere die EU, die zwar gross und reich ist, aber unter einem unreduzierbaren Handicap leidet. Die stets lächelnde Kommissionschefin von der Leyen muss nach jeder Trump-Attacke Flöhe zusammenschirren, wobei der kleinste gemeinsame Nenner herauskommt. Oder so: 27 sind weniger als einer. Was Wunder, dass Trump die besseren Karten hat?
Doch müssen sich die Freunde nicht allzu heftig grämen. Denn Trump spielt die Karten auch zu Hause aus. Das ist kein Trost, sondern Routine – selbst dort, wo Trump das Gebotene tut. Das Musterbeispiel liefern Amerikas grosse Universitäten wie Harvard und Columbia, wo nach der Hamas-Mordorgie 2023 der Judenhass im Mäntelchen des «Antizionismus» lostobte.
Trump nutzt hier die gleiche Waffe wie im Zollkrieg: Geld, sehr viel Geld – den Entzug von Abermillionen Dollar staatlicher Zuwendungen. Das Ziel ist im Uni-Fall ein hehres: der Kampf gegen den Antisemitismus. In dem «Deal», Trumps Lieblingswort, muss Harvard nun 500 Millionen zahlen, Columbia 221 Millionen. Dass er ein Freund der Juden ist, mag sein, aber die Sache passt ins vertraute Kalkül des Wer-wen? Tatsächlich, so die Zyniker, gehe es um die Unterwerfung der Unis unter die Fuchtel des Staates. Nieder mit Woke, Postkolonialismus und Genderismus, was löblich ist, aber das hohe Gut der Freiheit von Lehre und Forschung beschädigt.
Trump macht so manches richtig – zum Beispiel den Rückzieher bei der Verweigerung von Waffen für die Ukraine. Er füsselt auch nicht mehr mit Putin, was die Europäer beruhigen sollte. Just in diesem Trost lauert die alte Falle. Was Trump heute sagt und tut, ist morgen schon wieder Makulatur. Das fordern die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie: Wer nicht im Rampenlicht steht, verblasst und verschwindet. Sodann gilt das «Prinzip Trump». Das geht etwa so: «Mal sehen, wie weit ich komme, wenn ich täglich angreife, um die anderen aus dem Gleichgewicht zu bringen.» Kaum stehen die wieder auf, kommt der nächste Stoss.
Wohlerzogene Europäer würden von schlechten Manieren, ja Cäsarenwahn reden, den sie aus ihrer eigenen Geschichte kennen. Nüchterner geht es besser, weil sie den 47. Präsidenten der USA nicht abwählen können. Aber sie können die Abhängigkeit verringern durch Aufrüstung, die sie dreissig Jahre lang verpönt haben. Insofern ist Trump kein nobler, aber doch ein nützlicher Pädagoge. Und die vergrätzten Freunde dürfen sich auf das Taco-Prinzip verlassen: «Trump always chickens out» – er wird den Schwanz einziehen, wenn er glaubhaften Widerstand spürt.
Auf jeden Fall gilt für die nächsten dreieinhalb Jahre der alte chinesische Fluch: «Mögest du in interessanten Zeiten leben!»
Josef Joffe, deutscher Publizist, hat an den Universitäten Harvard, Stanford und Johns Hopkins Politik gelehrt.
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