Schlechte Nachrichten für Theaterprofis: Es gibt keinen heiligen Beruf, nur den schwierigsten Beruf.

Unsere Künstler diskutieren derzeit über den „heiligen Beruf“. Die einen verteidigen die Unantastbarkeit der Schauspielerei, die anderen argumentieren: „Nicht der Beruf ist heilig, sondern die menschliche Arbeit.“ Natürlich ist Heiligkeit ein Begriff, der im Rampenlicht erstrahlt, doch um den Aufwand, der dahinter steckt, wirklich zu verstehen, bedarf es auch eines gewissen wissenschaftlichen Blicks. Denn in Wirklichkeit gibt es keine heiligen Berufe, sondern schwierige Berufe. Und die schwierigsten darstellenden Künste sind nicht, wie oft angenommen, das Theater, sondern die Oper .
Die Heiligkeit gehört dem Glauben, die Schwierigkeit der Physiologie. Eine Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass Opernsänger während der Proben mit 90 bis 95 Prozent ihrer normalen Herzfrequenz arbeiten. Das bedeutet, dass das Herz beim Singen einer Arie fast genauso stark beansprucht wird wie bei einem Marathonlauf. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2021, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Frontiers in Medicine“, belegte, dass Singen so viel Energie verbraucht wie ein zügiger Spaziergang. Eine Studie aus dem Jahr 2022 mit dem Titel „Eine erste Untersuchung der Herzleistung bei Opernsängern“ zeigte, dass lange Opernauftritte eine spezifische Anpassung der Herz-Kreislauf-Belastbarkeit bewirken. Kurz gesagt: Oper ist eine Form atembasierter Sportart.
Doch es geht nicht nur um die Physiologie. Der psychologische Aspekt ist noch viel gravierender. Eine Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Psychology of Music“, fand bei Opernchorsängern eine 32-prozentige Rate an Lampenfieber – fast dreimal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Eine weitere Studie mit dem Titel „Die Phantome der Oper“, publiziert in den SAGE Journals , maß die Herzfrequenzvariabilität (HRV) von Opernstudenten vor und nach der Aufführung und zeigte, dass ihr Stressniveau am Tag der Aufführung seinen Höhepunkt erreicht. So gerät das Herz des Sängers buchstäblich aus dem Rhythmus, nur wenige Minuten bevor sich der Vorhang hebt.
Maria Callas sagte einmal in einem Interview: „Ich sterbe innerlich, bevor ich auf die Bühne gehe, aber ich trete trotzdem auf.“ Die Heiligkeit liegt nicht in dem Augenblick zwischen Leben und Tod, sondern in den Tausenden unsichtbaren Stunden, die man auf diesen Augenblick hinarbeitet. Tagelange Proben, das heikle Gleichgewicht zwischen Stimmbändern und Lunge, die präzise, sekundengenaue Synchronisation mit dem Orchester … Dieser Beruf schreibt Disziplin nicht Gott zu, sondern den Muskeln, dem Geist und der Geduld.
Hier herrscht ein Missverständnis: Oper ist nicht nur Gesang. Opernsänger sind auch Theaterkünstler. Tatsächlich erfüllen sie nicht nur alle Anforderungen des Theaters, sondern bringen auch Musik, Noten, Rhythmus und Atemtechnik ein. Im Theater kann schon eine falsch gesprochene Zeile die Handlung ins Stocken bringen; in der Oper sind die richtige Note, das richtige Wort, die richtige Emotion und der richtige Atem unerlässlich. Im Theater werden Emotionen durch Worte erzeugt, in der Oper werden sie in Musik verwandelt. Im einen Fall trägt die Schauspielkunst den Körper, im anderen trägt der Körper die Stimme. Natürlich ist die Oper keine höhere Theaterform, sondern ihre komplexeste, mit ihr verschmolzene Form.
Beim Operngesang wird nicht nur die Stimme, sondern auch der ganze Körper stark beansprucht. Laut einer systematischen Übersichtsarbeit liegt die jährliche Häufigkeit von Muskel-Skelett-Erkrankungen bei professionellen Musikern zwischen 41 und 93 Prozent. Nacken, Schultern, Taille, Kiefer – sie alle drehen sich auf dem unsichtbaren Rad der Musik. Eine Arie zu singen bedeutet nicht nur, einen hohen Ton zu halten, sondern all diese Muskeln millimetergenau auszurichten.
Es ist außerdem wichtig zu betonen: Ich halte es für unnötig, verschiedene künstlerische Berufe miteinander zu vergleichen. Daher beschränke ich die Diskussion auf künstlerische Disziplinen. Die zitternden Hände eines Chirurgen und die Atemlosigkeit eines Tenors bergen sicherlich nicht dieselben Risiken; doch beide dienen dem menschlichen Leben und den menschlichen Gefühlen. Mein Ziel ist nicht, über Heiligkeit zu wetteifern, sondern Sie an die Sichtbarkeit der Arbeit zu erinnern, die mit Kunst verbunden ist.
Nichts für ungut, aber wenn der Vorhang fällt, herrscht im Theater Stille, während in der Oper ein Sturm aus dem Innersten widerhallt. Diskussionen über „heilige Berufe“ schärfen die Wahrnehmung, nicht das Gewissen. Doch um Respekt zu finden, bedarf es Anstrengung, nicht Heiligkeit. Opernsänger zu sein ist die schwierigste Form dieser Anstrengung. Sie ist nicht heilig, aber sie ist die schwierigste, und ich glaube, deshalb verdient sie Respekt.
Und heute, am 29. Oktober, ist Tag der Republik. Die tief verwurzelte Wertschätzung der Künste, insbesondere des Theaters und der Oper, ist in diesem Land ein direktes Ergebnis der Vision Mustafa Kemal Atatürks. Dank dieser Vision wurden nicht nur das Staatliche Konservatorium und die Staatsoper, sondern auch Institutionen wie die Staatstheater, Stadttheater, Gemeindezentren, Dorfinstitute und die Musiklehrerschule als Projekte der Aufklärung gegründet. Die Republik eröffnete nicht nur Schulen und Fabriken, sondern auch Bühnen; denn eine neue Nation muss zuerst ihre eigene Stimme hören. Als Atatürk sagte: „Eine Nation ohne Kunst bedeutet, dass ihr eine Lebensader abgeschnitten wurde“, meinte er dies nicht als leere Floskel, sondern als Warnung für die Zukunft.
Heute sind einige dieser Lebensadern verstopft. Mit dem Ansehen der Kunst ist auch der Wert der Arbeit gesunken; Qualität ist dem Lärm gewichen. Anlässlich des Republiktags müssen wir uns nicht nur der vergangenen Erfolge erinnern, sondern auch unserer Verantwortung für den Erhalt des kulturellen Rückgrats dieses Landes. Der Schutz von Kunst, Künstlern, Theater, Oper und allen Disziplinen bleibt die einfachste und zugleich wichtigste intellektuelle Pflicht dieses Landes.
Fröhlichen Feiertag!
BirGün




