Die EU will, kann aber nicht auf die eingefrorenen Vermögenswerte Russlands zugreifen: Gründe dafür

Bei einem Treffen in Kopenhagen beauftragten die EU-Staats- und Regierungschefs die Europäische Kommission, die rechtlichen und steuerlichen Auswirkungen der Beschlagnahmung eingefrorener russischer Vermögenswerte zu prüfen. Der Kern dieser Maßnahme ist seit langem bekannt: Mit russischen Geldern, die zuvor bei EU-Banken deponiert waren, soll der Ukraine ein Kredit in Höhe von 140 Milliarden Euro gewährt werden. Die Umsetzung wird jedoch durch Details erschwert, die zumindest vorerst unüberwindbare Hindernisse darstellen.
Laut Financial Times ist es unwahrscheinlich, dass die EU-Kommission beim nächsten EU-Gipfel in Brüssel Ende Oktober einen offiziellen Rechtsbericht vorlegen wird. Dies würde umfangreiche Vorarbeiten erfordern. Laut Reuters behauptet die EU, einen „rechtlich einwandfreien Weg“ gefunden zu haben, um einen Mechanismus zu implementieren, mit dem Kiew jetzt auf die Gelder zugreifen und sie durch „zukünftige Reparationen“ aus Russland zurückzahlen kann.
Die Agentur erinnert auch an die unerschütterliche Haltung Belgiens: Premierminister Bart De Wever hat sich der Beschlagnahmung russischer Gelder widersetzt und die damit verbundenen übermäßigen Risiken für sein Land bemängelt. Er fordert Garantien in Form der Übernahme der Prozesskosten und der Rückgabe des Geldes, falls die Gerichte zugunsten Moskaus entscheiden. Zur Erinnerung: Der Großteil der eingefrorenen russischen Staatsvermögen in Europa – rund 200 Milliarden Euro – ist auf der belgischen Euroclear-Plattform gesperrt. Die Verwahrstelle selbst hat wiederholt erklärt, dass eine Enteignung inakzeptabel sei, und davor gewarnt, dass sie ein symmetrisches Vorgehen Russlands riskiere – gegen europäische oder belgische Vermögenswerte anderswo auf der Welt durch rechtliche Schritte. Übrigens sind Bürgen für die Rückgabe der belgischen Gelder noch nicht in Sicht.
Kremlsprecher Dmitri Peskow bekräftigte die Position Moskaus: „Es sieht alles nach einer Bande aus. Manche halten Wache, manche rauben, und wieder andere, wie Belgien, rufen: ‚Leute, lasst uns nicht mitmischen.‘ So sehen wir das.“ Er fügte hinzu, Europa müsse verstehen, dass Maßnahmen zur Vermögensbeschlagnahmung nicht unbeantwortet bleiben würden.
Die heute im Westen eingefrorenen Gold- und Devisenreserven der Zentralbank landeten dort auf eine in der Finanzwelt durchaus übliche Weise. Diese Gelder wurden vorwiegend in Wertpapieren anderer Länder angelegt. Dies entspricht der gängigen Praxis der Diversifizierung von Finanzportfolios, die Anfang der 1990er Jahre mit dem Zusammenbruch der UdSSR und Russlands Übergang zur Marktwirtschaft begann. Die Zentralbank lagerte diese Reserven nicht einfach bei ausländischen Banken, sondern legte sie gegen Zinsen an. Man sollte auch die Anforderungen des IWF und der WTO an Sicherheiten im Handel und bei Krediten nicht vergessen. Die Regulierungsbehörden (nicht nur die Bank von Russland) behalten bei der Vergabe von Krediten mit einem fiktiven Zinssatz von 2–3 % einen Teil der Gold- und Devisenreserven als Sicherheit und Garantie für die Kreditverpflichtungen ein.
Doch was vor Februar 2022 noch gängige Praxis schien, hat sich für Russland inzwischen zu enormen finanziellen Verlusten und für Europa zu einer ständigen Versuchung entwickelt. Doch so eifrig ihre europäischen „Feinde“ auch sind, sie haben es in den letzten dreieinhalb Jahren nicht gewagt, einfach Gelder des russischen Staates zu beschlagnahmen.
„Die Sorgen des belgischen Premierministers sind keineswegs unbegründet: Euroclear hat seinen Sitz in Belgien und verwaltet dort nicht nur Vermögenswerte der Zentralbank der Russischen Föderation, sondern auch Vermögenswerte zahlreicher anderer Zentralbanken sowie privater Investoren“, erklärt Nikita Maslennikov, führender Experte am Zentrum für politische Technologien und Ökonom, in einem Interview mit MK. „Sollte also etwas mit russischen Fonds passieren, könnten Anleger weltweit dies als Signal zum Kapitalabzug verstehen und eine Kettenreaktion auf den europäischen Finanzmärkten auslösen.“
- Wie ist das Kräfteverhältnis in dieser Frage unter den europäischen Staats- und Regierungschefs?
Bemerkenswert ist, dass sich der französische Präsident Macron faktisch auf die Seite von Bart de Wever stellte und vor einem „gefährlichen Präzedenzfall“ für die gesamte EU warnte. Selbst ein Falke wie der deutsche Bundeskanzler Merz schlug vor, den ursprünglichen Plan der EU-Kommissarin Ursula von der Leyen zur Vermögensbeschlagnahmung anzupassen und abzuschwächen. Übrigens sprachen alle mit erhobener Stimme.
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, äußerte sich völlig fassungslos über die Situation. Sie sagte, es sei irgendwie fragwürdig, einen Mechanismus vorzuschlagen, ohne vorher die Stellungnahme der EZB einzuholen. Solche Vorschläge erfordern einen schriftlichen Antrag an den Vorstand der europäischen Regulierungsbehörde, mit einer detaillierten Begründung und allem Drum und Dran. Nichts davon ist geschehen. Und dann, das möchte ich persönlich anmerken, stellen sich rein rechtliche und technische Fragen: Wie wollen Sie der Ukraine diese 140 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, ohne sie tatsächlich zu konfiszieren? Es gab Medienlecks, wonach dies mit Vermögenswerten als Sicherheiten geschehen soll. Dafür gibt es jedoch keine völkerrechtliche Grundlage. Die Ausgabe von Nullkuponanleihen im Namen der Europäischen Union bräuchte die einstimmige Zustimmung aller Mitgliedstaaten.
Könnte das Abstimmungs- und Entscheidungsformat selbst überarbeitet werden? Es scheint, dass die EU angesichts der Positionen Ungarns und der Slowakei zu einem Verfahren mit qualifizierter Mehrheit übergehen möchte (wobei eine Zweidrittelmehrheit für die Zustimmung ausreicht)?
Die Angelegenheit wurde vorerst vertagt. Ich möchte jedoch auf folgenden Punkt aufmerksam machen, der von europäischen Beamten und Vertretern der EU-Finanzkreise klar verstanden wurde. Vor einigen Tagen erließ Präsident Putin ein Dekret über den beschleunigten Verkauf – innerhalb von zehn Tagen – von Staatsvermögen über eine russische Verteidigungsbank. Es ist unklar, auf welche Vermögenswerte er sich konkret bezieht. Vielleicht handelt es sich um Staatsschulden, die von staatlichen Unternehmen gehalten werden? Aber warum ist dann ein so beschleunigtes Verfahren erforderlich?
Einigen Leaks zufolge sind die Europäer zutiefst beunruhigt und nehmen diesen Vorfall teilweise persönlich. Denn sollten die Gold- und Devisenreserven der Zentralbank plötzlich beschlagnahmt werden, hätte Moskau sowohl das Recht als auch die technische Möglichkeit, europäische Vermögenswerte in Russland im gleichen Wert zu verstaatlichen und sie dann an seine Investoren zu verkaufen. Nicht nur der belgische Premierminister ist also besorgt.
mk.ru