Puppen in der Geschichte. Menschen wie wir

Singende Steinriesen; ein Automat, der Napoleon im Schach besiegte; eine schelmisch agierende Holzpuppe; und eine Spielzeugpuppe, die so unheimlich war, dass sie einen Horrorfilm inspirierte. Im Laufe der Jahrhunderte war der Mensch immer wieder versucht, seine Stärken und Schwächen den von ihm geschaffenen Puppen zuzuschreiben, wodurch die Grenze zwischen Fantasie und Realität verschwimmt.
Puppen, die lachen, wenn man sie kitzelt, die ihre Arme und Beine bewegen und die sogar wie ein echtes Baby gewickelt werden müssen? Die Technologie entwickelt sich zwar weiter, doch der Wunsch, menschliche Nachbildungen zu schaffen, reicht weit zurück. So wie Gott Adam aus Lehm formte, hat auch der Mensch im Laufe der Jahrhunderte versucht, das Leben aus der ihn umgebenden materiellen Welt nachzuahmen. Mit anderen Worten: Puppen zu erschaffen, die gehen, sprechen und atmen wie wir.
Oder dass sie singen. Eines der ältesten uns bekannten Beispiele sind die berühmten Memnonkolosse, die auf einer weiten Ebene nahe Luxor in Ägypten stehen. Diese über dreitausend Jahre alten und etwa 20 Meter hohen Steingiganten stellten Amenophis III. dar und bewachten einst den Totentempel dieses Pharaos. Neben ihrer beeindruckenden Größe hatten sie eine weitere Besonderheit. „Wer das Glück hatte, früh morgens anzukommen“, schrieb die Historikerin Mary Beard, „konnte einen Augenblick purer Verzauberung erleben, wenn Memnon im Morgengrauen seiner Mutter zurief, sie zu begrüßen.“ Wie konnte eine Statue singen? Die gängigste Erklärung ist, dass „die Steinfigur nach einem Erdbeben, das sie beschädigt hatte, auf natürliche Weise begann, ein zischendes Geräusch durch die Risse zu erzeugen, als sie in der Morgensonne erhitzt und getrocknet wurde“, erklärt die Historikerin in dem Buch Civilizações (Hrsg. Gradiva).
Für die alten Ägypter war die Grenze zwischen der Welt der Biologie und der Welt der unbelebten Dinge nicht so klar wie für den modernen Menschen. Eine Mumie beispielsweise war erst bereit, in ein neues Leben einzutreten, nachdem das Ritual des Mundöffnens vollzogen war. Dabei sprach der Priester die Formeln aus, die ihre Sinne erweckten. Ein weiteres Beispiel ägyptischen Designs sind die Uschebtis, kleine Mumienfiguren aus Keramik, Stein oder Holz, die in Gräbern platziert wurden, um manuelle Aufgaben zu übernehmen und so den Verstorbenen ein angenehmes Leben im Jenseits zu ermöglichen.
Von Pygmalion bis Frankenstein
Wie erwartet, brachte auch die griechische Antike ihren eigenen Mythos hervor: eine Statue mit menschlichen Eigenschaften. Doch diese Statue sprach nicht nur; sie besaß tatsächlich Leben. Verliebt in Aphrodite, fertigte der Bildhauer Pygmalion, Sohn des Belos, eine Elfenbeinstatue der Göttin an und stellte sie auf sein Bett. Die Statue war so überzeugend, dass Pygmalions Leidenschaft für Aphrodite sich auf sein eigenes Bildnis übertrug. Und die Göttin hatte Mitleid mit ihm, fuhr in die Statue und erweckte sie zum Leben – nicht als Aphrodite, sondern als Galatea.
Diese Idee einer von Menschenhand geschaffenen Figur, die wie durch Zauberei zum Leben erwacht, wurde im Europa des 19. Jahrhunderts vom Italiener Carlo Collodi wieder aufgegriffen. Ein Stück Holz, das wie ein Kind weint und lacht, wird schließlich vom Tischlermeister Geppetto in eine Puppe mit langer Nase verwandelt, die ihm bald Respektlosigkeit entgegenbringt und Probleme bereitet.
Das 19. Jahrhundert ist voller Geschichten, die die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verwischen und nicht nur unzählige Bücher füllen, sondern auch auf die Theaterbühnen gelangen. Dies gilt beispielsweise für Coppélia und Der Nussknacker, zwei Klassiker von E.T.A. Hoffmann, die von Léo Delibes und Pjotr Tschaikowski in Ballette umgesetzt wurden, in denen Spielzeuge zum Leben erwachen und wie Menschen tanzen.
In düstereren Tönen schrieb Mary Shelley von einer missgestalteten „Mumie“ aus Fleisch und Blut, die ihren wohlmeinenden Schöpfer verfolgt und quält. Frankenstein ist voller denkwürdiger Seiten, die Künstler inspiriert und die Fantasie der Menschen beflügelt haben. „Eine Mumie, die wieder zum Leben erwacht, wäre nicht so hässlich. Ich hatte ihn unvollendet gesehen, und er war schon hässlich, aber als ich ihn zum Leben erweckte, wurde er zu etwas, das sich Dante selbst nicht hätte vorstellen können.“
Der Ton für eine ganze Reihe zukünftiger Horrorfilme war vorgegeben.
Der Automat, der Napoleon besiegte Schon vor der weitverbreiteten Verwendung der Dampfmaschine wurden in Europa Uhrwerke mit Bewegung hergestellt. Ein solcher Mechanismus steckte hinter einem rätselhaften Schachspieler, der in Wien gegen Napoleon Bonaparte und in Paris gegen Benjamin Franklin antrat und sie besiegte. „Eine Zeit lang zirkulierte der berühmte mechanische Schachspieler, bekannt als El Turco, durch die Welt und forderte jeden heraus, der gegen ihn antreten wollte“, schreibt Gregorio Doval in História Insólita do Mundo (Hrsg. Marcador). Das Gerät wurde 1769 von Wolfgang von Kempelen erfunden und gebaut. Es hatte die Form einer 1,20 m langen, 60 cm tiefen und 90 cm hohen Holzkabine, in der eine Schaufensterpuppe mit Tunika und Turban saß. […] Kempelen stellte „El Turco“ erstmals 1770 am Hof der österreichischen Kaiserin Maria Theresia aus und begann anschließend eine fast zwei Jahrzehnte dauernde Tournee durch Europa. Das Geheimnis wurde erst mehr als ein Jahrhundert später gelüftet: Im Inneren bewegte ein echter Mann – in Wirklichkeit ein Schachmeister – den Automaten. Künstliche Intelligenz sollte noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Von Ludwig XIV. bis zu Killerpuppen
Kommen wir nun zu Spielzeugpuppen. Die Sammlung des Victoria & Albert Museums in London umfasst ein Puppenhaus aus Nürnberg aus dem Jahr 1673 und eine Holzpuppe aus britischer Produktion aus dem Jahr 1680, die mit Gips überzogen und bemalt wurde. Bekannt als „The Old Pretender“, wird sie „mit dem Hof von König Jakob VII. (von Schottland) in Verbindung gebracht“, beschreibt das Museum. Sie ist nicht nur elegant gekleidet, sondern trägt auch eine kleine Perücke aus Echthaar.
Im 18. Jahrhundert waren Stoffpuppen oder mit Stroh ausgestopfte Puppen weit verbreitet. Die Wohlhabendsten konnten sich diese aus Holz geschnitzten Puppen mit bemalten Gipsgesichtern und manchmal sogar eingelegten Glasaugen leisten. Sie dienten oft als Modelle zum Anprobieren von Kleidern, die später in Originalgröße hergestellt wurden.
Königin Anna Stuart von England war eine der Hauptfördererinnen dieser Puppen, da sie die Angewohnheit hatte, sie zu verschenken. Auch Marie Antoinette spielte als Kind gern mit ihnen. Als sie dem französischen Thronfolger (dem späteren Ludwig XVI., der wie sie auf dem Schafott starb) versprochen wurde, erhielt sie ein Puppenset als Geschenk, das ihr bei der Auswahl ihrer Aussteuer helfen sollte. Dieser Brauch wurde im 17. Jahrhundert von Ludwig XIV. begründet, der diese Schaufensterpuppen mit in Paris entworfenen Kleidermodellen an alle Höfe Europas schicken ließ, um die französische Modeindustrie zu fördern.
Im 19. Jahrhundert, um 1840, begann man in Deutschland mit der Herstellung der ersten Porzellanpuppen. Emaillierte Puppen imitierten die Berührung menschlicher Haut perfekt (zumindest mit einer guten Dosis Make-up). Anfangs waren sie teuer, doch mit dem Aufkommen anderer Materialien wurden sie allmählich billiger und verbreiteten sich weiter.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte der Realismus der Spielzeugpuppen zu modernen Versionen von Frankenstein, wie etwa in den Horrorfilmen Chucky (1988) und Annabelle (2014), der auf einer echten Puppe basiert, die verflucht sein soll und sich im Besitz des Warrens' Occult Museum in Monroe, Connecticut (USA) befindet.
Hyperrealismus in der Kunst Doch wenn es um realistische Puppen geht, gibt es keine getreueren Beispiele als die bei Madame Tussauds, das 1835 von der Bildhauerin Marie Tussaud in der Baker Street in London, nur einen Steinwurf von Sherlock Holmes' Haus entfernt, gegründet wurde. Es war so erfolgreich, dass es in ein neues Gebäude umziehen musste und schließlich Filialen in mehreren Städten weltweit hatte.
Auch in der Kunst hat der Hyperrealismus antike Wurzeln – angefangen beim vor etwa 2100 oder 2200 Jahren entstandenen Boxer, der sogar kleine Wunden im Gesicht aufweist.
Aber es ist immer noch eine Bronzestatue. Bereits im 20. Jahrhundert, 1969, schuf Duane Hanson eine lebensgroße Skulptur einer Frau beim Einkaufen im Supermarkt – absolut überzeugend, mit Einkaufswagen und allem Drum und Dran. Dann kamen die Chapman-Brüder mit ihren schockierenden Skulpturen, die zeitgenössische Themen wie Sex, Gewalt und Religion thematisieren. Und vor den Reborn-Babys schuf Ron Mueck, der australische Künstler, dessen Eltern ein Spielzeuggeschäft besaßen, seine Figuren mit erstaunlicher Detailgenauigkeit und fügte das Fell Stück für Stück hinzu. Man könnte sogar sagen, sie haben Gefühle, und manche von ihnen wirken so menschlich wie wir.
Jornal Sol