Die geheime Bedeutung von Regenschirmen in Japan

In den meisten Teilen der Welt dienen Regenschirme lediglich dazu, Menschen vor Regen oder Sonne zu schützen.
Auch in Japan sieht man viele Einheimische, die diese Objekte für denselben Zweck verwenden. Doch in der japanischen Kultur haben sie noch eine viel wichtigere Funktion: Sie sind spirituelle Vehikel.
Tatsuo Danjyo, emeritierter Professor für Geisteswissenschaften an der Universität Beppu in der Präfektur Ōita, Japan, erklärt, dass der japanischen Tradition zufolge bestimmte Gegenstände als Yorishiro (Anziehungskraft auf Götter oder Geister) dienen können. Einer dieser Gegenstände ist der Regenschirm.
Dieser Glaube ist tief in der Geschichte des Landes verwurzelt.
Regenschirme tauchten in Japan zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert auf. Doch anstatt die Menschen vor schlechtem Wetter zu schützen, dienten sie als Symbole politischer oder spiritueller Macht.
Frühe Regenschirme, wie der Sashikake-Gasa mit dem langen Griff, waren politischen und religiösen Autoritäten vorbehalten – und wurden von Dienern gehalten, um die Elite zu schützen.

„Japaner neigen zu einer animistischen Denkweise“, sagte Danjyo der BBC.
„Die runde Form [des Regenschirms] ähnelt der Form einer Seele und der Griff sieht aus wie eine Säule … Man glaubte, dass dies ein zugänglicher Ort sei, an dem eine Seele hinabsteigen könnte.“
Danjyo behauptet, dass Regenschirme im 12. Jahrhundert in der breiten Öffentlichkeit viel häufiger verwendet wurden. Und in den folgenden Jahrhunderten blieb ihre spirituelle Bedeutung bestehen.
An diese spirituelle Bedeutung wird heute bei Festivals im ganzen Land erinnert.
Beim Yasurai Matsuri, das jedes Jahr in der zweiten Aprilwoche in Kyoto stattfindet, glaubt man, dass mit Blumen geschmückte Regenschirme Böses und Krankheiten von den Menschen fernhalten.
Während des Hakata-Donkatu-Festes, das jährlich am 3. und 4. Mai in der nordjapanischen Stadt Fukuoka stattfindet, ziehen unzählige Kasaboko durch die Straßen. Unter einem hindurchzugehen, soll Gesundheit und Glück bringen.
Auf der Insel Okinoshima in der Präfektur Kōchi errichten die Bewohner jedes Jahr vom 13. bis 16. August bunt geschmückte Schirmkonstruktionen, um den Geistern der kürzlich Verstorbenen während des jährlichen Obon-Festes Schutz zu bieten.
In der Nacht des 16. August werden alle zwei Jahre Regenschirme in einem rituellen Tanz um eine zentrale Plattform getragen. Sie geleiten die Geister symbolisch sicher zurück in die Geisterwelt.
Regenschirme dienten sogar als Inspiration für eine der bekanntesten übernatürlichen Figuren Japans: den Kasa Yokai („Regenschirmgeist“). Diese übernatürlichen Geister erscheinen in historischen Kunstwerken, beispielsweise in den antiken Gemälden der Nachtparade der 100 Dämonen, die verlassene Haushaltsgegenstände zeigen, die wieder zum Leben erwachen.

Kasa Yokai werden oft mit einem Auge und einem einzigartigen Erscheinungsbild dargestellt und spiegeln den animistischen Glauben Japans wider, dass sogar Gegenstände eine Seele haben können, insbesondere solche, die verwendet, benutzt und schließlich weggeworfen wurden.
Touristen, die sich für die Geschichte und Handwerkskunst traditioneller japanischer Regenschirme interessieren, können diese in Werkstätten und Museen im ganzen Land persönlich erleben.
Wenn Sie also das nächste Mal in Japan einen Regenschirm aufspannen, insbesondere wenn es sich um einen Wagasa (einen traditionellen Papierschirm) handelt, denken Sie daran, dass dieser viel mehr kann, als Sie nur vor Nässe zu schützen.
Möchten Sie mehr erfahren?Yodoe Umbrella Folklore Museum: Dieses Museum in Tottori im Südwesten Japans präsentiert die Wagasa der Region und ihre Verbindung zum lokalen Glauben. Besucher können auch an Workshops zur Regenschirmherstellung teilnehmen.
Kyoto Tsujikura: Gegründet 1690, gilt dieser Hersteller als der älteste traditionelle Schirmhersteller Japans. In seiner Werkstatt in Kyoto haben Besucher die Möglichkeit, ihre eigenen Miniatur -Wagasa-Schirme in verschiedenen Farben und Designs herzustellen.
Matsuda Wagasa: In Kanazawa im Südwesten Japans sind Regen und Schnee das ganze Jahr über üblich. Matsuda Wagasa (gegründet 1896) ist das letzte traditionelle Regenschirmgeschäft der Stadt. Um dem feuchten Klima Kanazawas standzuhalten, werden Wagasa über zwei Monate hinweg aus dickem Washi- Papier, robustem Bambus und einzigartigen Verstärkungstechniken handgefertigt.
Lesen Sie die Originalversion dieser Geschichte (auf Englisch) auf der BBC Travel- Website .
BBC News Brasil – Alle Rechte vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung ohne schriftliche Genehmigung von BBC News Brasil ist untersagt.
terra