Experte: Das Anschauen von Memes ist eine schnelle Belohnung für unser Gehirn (Interview)

Das Anschauen sogenannter Reels oder Memes wirkt auf unser Gehirn wie eine schnelle Belohnung – es werden Hormone ausgeschüttet, die uns Freude bereiten, sagte Dr. Radosław Aksamit vom Institut für Journalismus und Medienkommunikation der Schlesischen Universität und Kommunikationsdirektor der Universität Schlesien gegenüber PAP.
PAP: Immer häufiger hört man, dass Facebook zu einem Medium für ältere Menschen geworden ist. Sind jüngere Nutzer tatsächlich auf andere Plattformen ausgewichen?
Radosław Aksamit: Ja, wir sehen einen deutlichen Wandel. Noch vor wenigen Jahren war Facebook ein Trendsetter, heute bevorzugen junge Leute Instagram und TikTok. Diese Plattformen basieren auf kurzer, visueller Kommunikation und schnellem Surfen – genau das, was die jüngere Generation sucht und worauf sie ihre Präferenzen für die Geschwindigkeit des Zugriffs auf Inhalte gründet.
PAP: Was bedeutet das für Institutionen, die ein junges Publikum erreichen möchten?
RA: Vertreter von Institutionen erkennen zunehmend, dass sie diese Kanäle nutzen und ihre Sprache sprechen müssen, um Beziehungen zu pflegen und ein jüngeres Publikum zu erreichen. Die Rolle von Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen besteht über die Forschung hinaus darin, mit ihrem Umfeld in Verbindung zu bleiben. Im aktuellen Umfeld bedeutet dies unter anderem, ansprechende und dennoch substanzielle Inhalte zu erstellen. Nur so können wertvolle Inhalte aus der Vielzahl inhaltsloser Memes und Reels hervorstechen. Dies ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir als Universitäten durch unsere wissenschaftliche Kommunikation erfüllen, einschließlich der Popularisierung der Wissenschaft.
Darüber hinaus ist die „Übernahme“ der Social-Media-Formel von Instagram oder TikTok durch Kommunikationsspezialisten auch eine Möglichkeit, pathologische Inhalte zu eliminieren, die für junge Benutzer schlicht gefährlich sein können.
Ein Beispiel hierfür sind Challenges, die – wie in der Vergangenheit – zu gesundheitlichen Problemen oder sogar zum Tod der Teilnehmer führen können. Dies war beispielsweise bei dem Jungen der Fall, der an der sogenannten Blackout Challenge teilnahm, einer Challenge, bei der es ums Ersticken ging.
PAP: Kürzlich berichtete die polnische Presseagentur (PAP) über einen Trend, bei dem sich junge Menschen in der Pose des gekreuzigten Jesus an hohen Gegenständen erhängen – natürlich kommt es dabei zu gefährlichen Unfällen. Eltern sind sich dessen jedoch nicht bewusst; sie erkunden andere Internetangebote als ihre Kinder. Sie schauen sich lustige Katzen an, während ihr Nachwuchs über die Stränge schlägt.
Es gibt ein Sprichwort, dass schlechtes Geld oft gutes Geld verdrängt. Dasselbe gilt leider auch für Social-Media-Inhalte. Ein weiteres Problem ist, dass Algorithmen bestimmte Inhalte auf bestimmte Zielgruppen ausrichten und wir oft nicht verstehen, wie diese Mechanismen funktionieren.
Eltern und Erziehungsberechtigte sollten hier noch sensibler sein und Verantwortung dafür übernehmen, was ihre Kinder sehen. Eltern sollten in erster Linie für die Medienerziehung ihrer Kinder verantwortlich sein.
Wir dürfen nicht vergessen, dass sich Medientrends schnell ändern. Vor nicht allzu langer Zeit rauften wir uns die Haare über Reality-Shows. Man sagte voraus, Big Brother würde das Ende der Medienkultur bedeuten und Schlimmeres könne nicht passieren. Heute wissen wir, dass dies im Vergleich zu dem, was in den heutigen Medien akzeptiert wird, harmlose Spiele waren.
Umso wichtiger ist Medienbildung, die jungen Zuschauern die Alternative bewusst macht: Etwas kann attraktiv, „cool“ und gleichzeitig wertvoll sein. Wir sollten alles daran setzen, dass junge Zuschauer lernen, solche Inhalte zu suchen und kritisch zu hinterfragen, auch in den sozialen Medien. Auch die etwas älteren Generationen, die nicht zu den sogenannten Digital Natives gehören, müssen im Umgang mit sozialen Medien unterstützt werden – auch sie benötigen zahlreiche Erklärungen, zum Beispiel zu Deepfake -Inhalten. Ich stelle mir vor, dass Wissenschaftskommunikation im Idealfall genauso attraktiv ist wie manche weniger wertvolle Trends.
PAP: Die meisten dieser kurzen Inhalte sind oberflächlich, machen aber gleichzeitig süchtig.
Natürlich. Studien zeigen, dass das Ansehen von Reels oder Memes eine schnelle, belohnende Wirkung auf unser Gehirn hat – es setzt Hormone frei, die uns Freude bereiten, was wiederum den Wunsch weckt, weiterzuscrollen. Und das gilt nicht nur für junge Menschen. Auch Erwachsene tappen in diese Falle.
PAP: Sie haben die Rolle der Medienerziehung erwähnt. Wie sollte diese aussehen?
Medienerziehung bedeutet vor allem nicht, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Online-Inhalten zu verbieten und stattdessen andere Inhalte zu bevorzugen. Es geht darum, ihnen beizubringen, Inhalte bewusst auszuwählen. Wir müssen Alternativen aufzeigen: die Möglichkeit, wertvolle Inhalte zu finden, die den Wissenserwerb über die Welt unterstützen, und das Bewusstsein dafür stärken, dass es neben pathologischen Trends auch wertvolle Kanäle zur Kompetenzentwicklung gibt. Wissenschaftspopularisierer wie Tomasz Rożek, Karol Wójcicki und Katarzyna Siudziak sind hierfür hervorragende Beispiele.
PAP: Wie schätzen Sie das Risiko von Desinformation in sozialen Medien ein?
Dies ist bedeutsam. Soziale Medien können ein Schauplatz für Desinformationsaktivitäten sein, sowohl von Unternehmen als auch von Staaten. Dies zeigt sich am Beispiel von TikTok, dessen Eigentümerstruktur Fragen aufwirft. Ähnliche Probleme betreffen jedoch auch Facebook und X. Daher sind die Sensibilisierung der Nutzer und die Stärkung der institutionellen Rechenschaftspflicht von entscheidender Bedeutung. Die jüngste Abkehr der Social-Media-Plattformen von den in der Vergangenheit implementierten Mechanismen zur Faktenprüfung scheint in dieser Hinsicht bedeutsam. Dies macht die Rolle der wissenschaftlichen Kommunikation und die damit verbundene Erstellung wertvoller Inhalte auf der Grundlage wissenschaftlicher Methoden der Daten- und Wissensgewinnung umso wichtiger.
PAP: Es ist also unmöglich, sich von den sozialen Medien abzuschotten?
Nein, sie sind Teil der modernen Welt. Unsere Aufgabe ist es, sie weise zu nutzen und sie allen Generationen beizubringen.
Interview mit: Mira Suchodolska (PAP)
mir/ mark/ mhr/
naukawpolsce.pl