Digitalisierung der polnischen Industrie: Sprungbrett statt kleiner Schritte

- „Unternehmen, die umfassend investieren, bauen moderne, flexible Fabriken der Zukunft. Das Konzept der Dark Factories – hochautomatisierte, nahezu wartungsfreie digitale Anlagen – wird weltweit zunehmend umgesetzt. Angesichts des demografischen Wandels ist dies eine praktikable Richtung, bei der Maschinen Wiederholbarkeit und Menschen kreative Aufgaben übernehmen“, betont Maciej Zieliński, CEO von Siemens Polska.
- Industrie 5.0? – Meiner Meinung nach ist sie eine absolute Notwendigkeit. Eine natürliche Entwicklung, die Innovation, Nachhaltigkeit, Menschenorientierung und Krisenresistenz (Klima, Energie, Geopolitik, Cyber-Bedrohungen) vereint. Die Frage ist nicht „ob?“, sondern „wie und wann?“ – glaubt der Manager.
- Die Digitalisierung polnischer Unternehmen schreitet zu langsam voran. „Viele Hindernisse tragen dazu bei: finanzielle Hürden (obwohl EU-Mittel und abonnementbasierte „As-a-Service“-Modelle die Situation verbessern werden), die Wahrnehmung der Digitalisierung als Kostenfaktor ohne schnelle Kapitalrendite, Qualifikationslücken und regulatorische Unsicherheit“, erklärt Maciej Zieliński.
- Dieses Gespräch ist Teil einer Interviewreihe, die als Grundlage für den Bericht „Vom Band zum Algorithmus: Wie die Digitalisierung die Zukunft der Industrie prägt“ dient, der von WNP Economic Trends in Verbindung mit dem New Industry Forum (Katowice, 14.-15. Oktober 2025) erstellt wird. Die Premiere findet im Oktober statt.
Was lässt sich über die Digitalisierung der Industrie in Polen in den letzten fünf Jahren sagen?
Wir beobachten ein stetiges Wachstum bei Investitionen in Robotik, Automatisierung und Produktionsmanagementsysteme. Unternehmen verstehen, dass die Digitalisierung eine Reaktion auf Kostendruck, Personalmangel und schwankende Nachfrage ist.
Es wird viel über künstliche Intelligenz gesprochen, doch die tatsächliche Umsetzungsrate liegt noch bei wenigen Prozent. Ich erwarte jedoch einen „Sprung-Effekt“ : Mit zunehmender Nachfrage und der Entstehung bewährter ROI-Modelle (Return on Investment) werden polnische Unternehmen ihre Aktivitäten beschleunigen und die Zwischenphasen überspringen.
Wie schätzen Sie die digitale Reife polnischer Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen, heute ein? Was wird in den kommenden Jahren dominieren?
Zwar gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren, doch das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Transformation ist weit verbreitet. Dies zeigt sich beispielsweise im Investitionsboom im Lebensmittelsektor.
In den kommenden Jahren werden vorausschauende Wartung, die Integration von Produktionsdaten mit Analytik, der Einsatz von KI in Logistik und Planung sowie Standardisierung und Interoperabilität in Lieferketten dominieren. Die Digitalisierung wird zudem zunehmend ein Instrument zur Messung und Reduzierung des CO2-Fußabdrucks sein.

Was ist heute wirklich ausschlaggebend für grünes Licht bei digitalen Investitionen?
Zwei Faktoren erleben ein Comeback: Finanzierung und Kompetenzen – auch auf Vorstandsebene. Auch Cybersicherheit und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, einschließlich ESG, spielen eine immer wichtigere Rolle.
Und wo liegen die Grenzen? Kleinere Unternehmen tun sich schwer mit Entscheidungen, wenn sich der Erfolg nicht sofort einstellt. Noch gravierender ist der Mangel an qualifizierten Fachkräften: Wir wissen zwar, wie man Daten sammelt, aber nicht immer, wie man sie in sinnvolle Entscheidungen umsetzt. Darüber hinaus mangelt es EU-weit an Stabilität und Einheitlichkeit der Vorschriften – die Gesetzgebung hinkt der Innovation hinterher, was den Entscheidungsprozess erschwert.
In einem solchen Umfeld werden Partnerschaften immer wichtiger. Mit wem arbeiten polnische Unternehmen am häufigsten zusammen? Und wo liegen die Hindernisse?
- Die stärksten Ergebnisse werden durch Partnerschaften zwischen Technologieanbietern, Startups, Universitäten, Forschungs- und Entwicklungszentren usw. erzielt. In unserer Organisation bauen wir dies unter anderem durch das Solution Partners-Programm und das offene Siemens Xcelerator-Ökosystem auf, das den Zugang zu skalierbaren Lösungen und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Einheiten erleichtert.
Wir arbeiten auch eng mit Universitäten zusammen – wir sitzen in Programmgremien, führen Schulungen durch, statten Labore aus und entwickeln Bildungsinitiativen wie Inżynierki 4.0.
Ein wichtiger Schritt ist unsere kürzlich gegründete Zusammenarbeit mit dem Łukasiewicz-Forschungszentrum – in den Bereichen industrielle Digitalisierung, Energiewende und Cybersicherheit, einschließlich Dual-Use.
Wenn es um die Gesamtbewertung der Barrieren geht, sehe ich diese im Ausmaß und der Nachhaltigkeit solcher Initiativen, solcher Partnerschaften… Wir brauchen mehr Mechanismen für eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung sowie einen schnelleren Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis.
Und wie sieht die Praxis im Bereich der Datennutzung aus: Smart Factory, IIoT, Digital Twins, Cloud?
Das Interesse wächst, doch die Implementierung erfolgt in unterschiedlichem Ausmaß. Die geringe Cloud-Akzeptanz bleibt ein Problem – fast die Hälfte der Unternehmen nutzt sie nicht, was Analysen und Skalierung erschwert.
Unternehmen, die umfassend investieren, bauen moderne, flexible Fabriken der Zukunft. Das Konzept der Dark Factories – hochautomatisierte, nahezu wartungsfreie digitale Fabriken – wird weltweit zunehmend umgesetzt. Angesichts des demografischen Wandels ist dies eine praktikable Richtung , bei der Maschinen repetitive Aufgaben übernehmen und Menschen kreative Aufgaben übernehmen.
Der B2B-Datenaustausch birgt enormes Potenzial, aber auch Risiken. Wie lassen sich diese ausbalancieren?
„Das Potenzial liegt in der Optimierung der Lieferkette, besseren Nachfrageprognosen und personalisierten Angeboten. Und die Risiken? Sicherheitsverletzungen, der Verlust sensibler Daten und industrielle Hackerangriffe. Dies erfordert ausgereifte Sicherheitsrichtlinien, bewährte Schutztechnologien und einen Ansatz zur kontinuierlichen Verbesserung. Dies muss eine Strategie sein, keine Ad-hoc-Maßnahme.“
„Wir haben hervorragende Studierende und eine wachsende Zahl moderner Studiengänge an technischen Universitäten, aber das Tempo des technologischen Wandels übertrifft noch immer das der akademischen Welt …“Inwieweit ist sich die Industrie in Polen der Cyberbedrohungen bewusst und tatsächlich geschützt?
Das Bewusstsein wächst, reicht aber noch nicht aus, um das Ausmaß der Bedrohungen zu bewältigen. Unsere diesjährige Studie zeigt, dass über 70 % der Unternehmen über keine umfassende Cybersicherheitsstrategie verfügen. Hinzu kommt ein Mangel an Fähigkeiten – die Grundlagen sind bekannt, aber es fehlt an praktischen Fähigkeiten.
Mittlerweile nehmen die Angriffe auf kritische Infrastrukturen in Europa zu – dies geht unter anderem aus den Berichten der ENISA (der Cybersicherheitsagentur, die die Cybersicherheitspolitik der Europäischen Union umsetzt – Anm. d. Red.) hervor. Cyberoperationen sind mittlerweile ein übliches Element geopolitischer Konflikte – der Krieg in der Ukraine ist ein Beispiel dafür.
„Cybersicherheit muss unbedingt ein integraler strategischer Bestandteil der industriellen Transformation werden“Was sollte der Staat dagegen tun?
Erstens: Schaffen Sie ein Bewusstsein dafür, dass Cyberangriffe heute für jedes Unternehmen ein reales Szenario darstellen. Zweitens: Finanzieren Sie systematisch Präventionsmaßnahmen: Audits, Schulungen, Weiterbildung und Schutztechnologien.
In Polen werden jährlich über 100.000 Cybervorfälle bearbeitet, weshalb die Regierung ihre Ausgaben für den Schutz erhöht – sie kündigt für 2025 Rekordinvestitionen in diesem Bereich an.
Entscheidend ist, dass die Programme (und das Geld) mit Kompetenzen und einem langfristigen Ansatz einhergehen (denn es geht nicht um Virenschutz); sie werden zu einem kontinuierlichen Prozess des Aufbaus von Resilienz.
Digitale Transformation bedeutet auch eine veränderte Führungskultur. Was verändert sich konkret in Organisationen?
Meiner Meinung nach gibt es drei Schlüsselthemen: Kompetenzen (Steigerung der digitalen Fähigkeiten und der Datenkompetenz), Strukturen (Transformationsführer und End-to-End-Rollen entstehen) und Organisationskultur (mehr abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, Experimentieren, kontinuierliches Lernen und Anpassung an Veränderungen). Digitalisierung ist kein IT-Projekt, sondern eine langfristige Strategie, die Menschen, Prozesse und Technologie kombiniert.
Bildung für Industrie 4.0… Wo stehen wir und was muss verbessert werden?
- Wir haben hervorragende Studenten und eine wachsende Zahl moderner Studiengänge an technischen Universitäten, aber das Tempo des technologischen Wandels ist der akademischen Welt noch immer voraus ...
Wir brauchen Brücken zwischen Universitäten und Unternehmen, gemeinsame Programme, praktische Kurse, hochkarätige Labore und echte gemeinsame Projekte. Der Staat sollte solche Projekte ebenfalls finanzieren und für Infrastruktur und regulatorische Stabilität sorgen.
Die Rolle der Unternehmen besteht darin, aktiv an der Entwicklung von Programmen mitzuwirken und Know-how und Praxiserfahrungen weiterzugeben. Nur so können Absolventen mit sofort einsatzbereiten Kompetenzen in den Markt einsteigen.
Inwieweit fördert oder behindert die Digitalisierung der Verwaltung die Wirtschaft? Ein kleiner Einblick in die Praxis …
E-Services und der elektronische Dokumentenfluss (einschließlich des Nationalen Steuer- und Finanzdienstleistungssystems) reduzieren den Verwaltungsaufwand erheblich. Auch Änderungen bei der innovationsfördernden Steuererleichterung tragen dazu bei.
Die regulatorische Unsicherheit belastet: Wir warten auf die Umsetzung des KI-Gesetzes, und gleichzeitig müssen sich Unternehmen schnell an NIS2 [die NIS 2-Richtlinie für Netzwerk- und Informationssicherheit 2; dies ist eine EU-Verordnung zur Erhöhung der Cybersicherheit in Europa – Anm. d. Red.] anpassen. Hier sind Vorhersehbarkeit und Unterstützung bei der Umsetzung gefragt, denn das schafft Vertrauen und ermutigt zum Handeln.
Warum ist die Digitalisierung polnischer Unternehmen noch immer zu langsam?
- Dem stehen viele Hindernisse im Weg: finanzielle Schwierigkeiten (obwohl die Situation durch EU-Mittel und Abonnementmodelle „as a service“ verbessert wird), die Wahrnehmung der Digitalisierung als Kostenfaktor ohne schnellen ROI, Kompetenzlücken und regulatorische Unsicherheit.
Die gute Nachricht ist jedoch: Das Bewusstsein hierzulande wächst und die Bereitschaft, gemeinsame, branchenübergreifende Projekte zu initiieren, steigt. Gerade Technologiepartnerschaften und Bildungsprogramme beschleunigen die Umsetzung.
„Ich bin überzeugt: Ohne Digitalisierung gibt es kein wirksames ESG“Warum ist der Einsatz künstlicher Intelligenz in unserer Wirtschaft im Vergleich zur EU so gering – und wo wird KI in der Industrie die schnellsten Ergebnisse erzielen?
Zu den Herausforderungen zählen Personalmangel, Kosten sowie organisatorische und rechtliche Aspekte. Das größte Potenzial liegt in der Produktionsoptimierung, der Ausfallvorhersage, der Planung und Logistik sowie in personalisierten Lösungen.
Es ist jedoch wichtig, zwischen generativer KI im Büro und industrieller KI, die in kritischen Prozessen eingesetzt wird, zu unterscheiden. Die Schlüsselfaktoren sind Strategie, ROI, Pilotprojekte, Partner und die Bereitschaft des Unternehmens zur Veränderung.
Werden systemische Megapläne – wie etwa die „KI-Gigafabriken“ der EU, andere europäische Programme (z. B. Quantentechnologien) oder die nationale Digitalisierungsstrategie für Polen 2035 – zu echter Unterstützung führen?
- Das können und sollten sie! Es geht um Investitionen in Milliardenhöhe, die Steigerung der Rechenleistung und den Aufbau von Kompetenzen.
Voraussetzung ist allerdings, das Praxiswissen von Unternehmen und Technologiepartnern einzubeziehen – dann lassen sich effiziente und effektive Umsetzungs- und Geschäftsergebnisse leichter erzielen.
Industrie 5.0… Kurz gesagt: Mode oder Notwendigkeit?
Meiner Meinung nach ist es eine absolute Notwendigkeit. Eine natürliche Entwicklung, die Innovation, Nachhaltigkeit, Menschenzentriertheit und Krisenresistenz (Klima, Energie, Geopolitik, Cyber-Bedrohungen) vereint. Die Frage ist nicht „ob?“, sondern „wie und wann?“
Und schließlich: Unterstützt die Digitalisierung ESG in polnischen Unternehmen und wenn ja, wie?
Ich bin überzeugt: Ohne Digitalisierung gibt es kein wirksames ESG. IIoT und Analytik unterstützen die Optimierung des Energie- und Rohstoffverbrauchs; digitale Zwillinge und Prognosen reduzieren Ausfallzeiten und Abfall; und fortschrittliche Berichtssysteme sorgen für die Transparenz von Umwelt- und Sozialdaten.
Dies stärkt das Vertrauen der Stakeholder und steigert die Wettbewerbsfähigkeit deutlich.
wnp.pl