Donald Trump: Psychiater im Interview über Narzissmus

Von vielen Menschen wird behauptet, sie seien Narzissten – aktuell von Donald Trump. Was sagen Sie dazu?
Die Bezeichnung Narzisst ist kein geschützter Begriff, der in der Bevölkerung für Leute verwendet wird, die sehr von sich überzeugt, arrogant und egoistisch sind. Dass Donald Trump als Narzisst bezeichnet wird, ist nachvollziehbar, weil er die Persönlichkeitseigenschaften von Narzissmus in voller Ausprägung zeigt. Das ist zum Beispiel Selbstidealisierung, Überheblichkeit, Anspruchshaltung und ein Mangel an Empathie. Gleichwohl darf man ihm keine Persönlichkeitsstörung unterstellen.
Wann spricht man von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung?
Das wesentliche Kriterium ist, dass die betreffende Person darunter leidet. Das ist bei Trump nicht der Fall. Zunächst einmal: Jeder gesunde Mensch hat narzisstische Persönlichkeitseigenschaften. Jeder will mal im Mittelpunkt stehen, erfolgreich sein, geschätzt werden, vielleicht auch mal bewundert werden. Man kann es mit dem Blutdruck vergleichen.
Jeder Mensch hat einen Blutdruck, problematisch wird es nur, wenn er dauerhaft zu hoch ist. Bezogen auf Narzissmus ist die Frage: Wie ausgeprägt sind diese Züge? Ein wichtiges Merkmal der Störung ist, dass jemand extrem narzisstische Züge hat, sie aber nicht so regulieren kann, dass er psychisch stabil bleibt. Wenn Sie sich immer selbst idealisieren, immer eine Anspruchshaltung haben, immer der Bessere sein wollen, dann werden Sie sozial negative Konsequenzen erleben. Das heißt, Sie werden vom Partner verlassen werden oder mit Kollegen Konflikte haben. Dann beginnt das Leiden.

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Nehmen wir an, jemand hat einen solchen Leidensdruck, weil es in Beziehungen nie klappt. Wie sehr bringt dieser Mensch das mit seinen narzisstischen Zügen in Verbindung? Wie groß ist also die Krankheitseinsicht?
Das ist häufig ein Problem. Grob geschätzt sagen 50 Prozent der Betroffenen: „Es liegt an den anderen Menschen, ich mache alles richtig.“ Aber es gibt auch die anderen, die sich ihrer narzisstischen Züge durchaus bewusst sind, aber es nicht schaffen, dagegen anzugehen. Einer meiner Patienten hat mal gesagt: „Ich brauche immer das letzte Wort. Ich weiß, dass das für andere schwer zu ertragen ist – aber es ist nun mal so und ich weiß nicht, warum.“
Was ist für die Betroffenen ausschlaggebend, zu Ihnen zu kommen?
Die meisten kommen wegen Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen. Man stellt dann fest, dass diese Erkrankungen auf dem Nährboden einer psychischen Problematik entstanden sind. Manche befinden sich auch in Krisen, etwa weil ihnen gekündigt oder die Partnerschaft einseitig beendet wurde. Andere werden auch von ihren Partnerinnen oder Partnern geschickt. Abgesehen davon gibt es auch einige, die schon irgendwie wissen, was mit ihnen los ist und alleine deswegen kommen.
Ist die Annahme richtig, dass Narzissten meistens Männer sind?
Jein. Neueste Studien zeigen, dass es zwar etwas mehr narzisstische Männer gibt, die Unterschiede aber nur sehr klein sind. Bei Frauen äußert sich Narzissmus vielleicht ein bisschen anders. Aber eigentlich gibt es keine krassen Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Claas-Hinrich Lammers (63) ist ärztlicher Direktor und Chefarzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Asklepios Klinik Nord in Hamburg-Ochsenzoll. Der Psychiater forscht seit vielen Jahren zum Thema Narzissmus und hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben, unter anderem den „Ratgeber Narzissmus: Informationen für Betroffene und Angehörige“ (hogrefe 2024, 63 Seiten, 9,95 Euro).
Quelle: Asklepios
Inwiefern zeigt sich das Phänomen bei Frauen anders?
Frauen zeigen ihren Narzissmus häufiger durch den Fokus auf Attraktivität beziehungsweise Aussehen, während es Männern eher um Status und Erfolg geht. Darüber hinaus gibt zwei Formen von Narzissmus, bei denen sich die Geschlechter möglicherweise unterscheiden. Der grandiose Typ hat eine grandiose und eine vulnerable Seite. Er tut alles, um Anerkennung und Lob zu bekommen, weil er ein verletztes Selbst hat, das von Scham, Einsamkeit und Angst gekennzeichnet ist. Dieses geringe Selbstwertgefühl kompensiert er, indem er sich viel Aufmerksamkeit verschafft. Das ist die Seite, die nach außen sichtbar ist.
Davon abzugrenzen ist der vulnerable Narzissmus. Das sind Menschen, die nach außen eher bescheiden auftreten und unauffällig sind. Wenn man sie näher kennenlernt, haben sie aber klar narzisstische Züge wie Selbstidealisierung, eine hohe Anspruchshaltung und wenig Empathie für andere. Sie verbergen diese Eigenschaften, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen haben. Die Frage ist, ob diese Form bei Frauen häufiger vorkommt. Aber dazu gibt es noch nicht genügend Studien.
Mangelnde Empathie ist ein wesentliches Merkmal von Narzissmus. Wie kommt es dazu?
Mehrere Studien haben gezeigt, dass Narzissten keinen nahen Kontakt zu anderen Menschen haben möchten. Und zwar aus mehreren Gründen. Der Erste ist, dass ihnen das für ihre narzisstischen Bedürfnisse nichts bringt. Ungefähr so: Was habe ich davon, wenn ich mich in eine andere Person einfühle? Das Zweite ist, dass narzisstische Menschen die Nähe scheuen. Alles, was in Richtung Gefühle geht, auch Sensibilität und Schwächen, ist den Betroffenen fremd und unangenehm. Sie wollen nach außen stark, dominant und erfolgreich auftreten. Deswegen können sie mit Empathie nichts anfangen. Denn Empathie heißt ja, einem anderen Menschen nahezukommen.
Kann man das lernen?
Man kann schlecht direkt das Gefühl trainieren. Aber Empathie ist auch eine kognitive Angelegenheit – es geht auch darum, sich gedanklich mit den Bedürfnissen anderer Menschen zu beschäftigen. Das trainiert man in der Psychotherapie, in dem man bei Konfliktsituationen, die Patienten mitbringen, immer fragt: Warum hat die andere Person so reagiert? Was hätte sie eigentlich gebraucht? Dieser ständige Perspektivwechsel ist ein wesentlicher Teil der Psychotherapie.
Die Betroffenen sollen erkennen: Wenn sie die Bedürfnisse eines anderen Menschen nicht wahrnehmen, dann wird er sich gegen ihre Bedürfnisse stellen. Das heißt, im Grunde genommen schießen sie sich damit ins eigene Knie. Erst wenn sie lernen, die Bedürfnisse anderer Menschen zu sehen, werden diese ihnen stärker entgegenkommen.
Ist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung schwer zu behandeln?
Persönlichkeitsstörungen sind allgemein eher schwer zu behandeln, weil sie, wie der Name schon sagt, die gesamte Persönlichkeit betreffen. Man darf nie davon ausgehen, dass sich die Betroffenen grundsätzlich ändern. Was ich immer am Anfang einer Therapie vermittle, ist, dass 70 oder 80 Prozent der Persönlichkeit ja auch vollkommen in Ordnung ist.
Man darf gerne Porsche fahren, laut in der Öffentlichkeit sein und so weiter. Das, was letztendlich Probleme bereitet, sind die restlichen 20 bis 30 Prozent. Ich sage auch: Wenn Sie bereit sind, häufiger auf die Bedürfnisse Ihrer Frau beziehungsweise Ihres Mannes zu achten, müssen Sie sich gar nicht groß ändern. Aber wenn Sie das schaffen, dann wird Ihre Beziehung stabilisiert.
Können Freunde und Partner lernen, möglichst gut mit den Betroffenen umzugehen?
Ja, das ist eine große Herausforderung. Also im Grunde gibt es drei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist, dass man sich trennt. Die zweite Strategie ist, dass man sagt, ich halte das einfach aus. Ich akzeptiere es, dass mein Mann bzw. meine Frau diese Art hat, und versuche nicht mehr, dagegen anzurennen. Der dritte Weg - und das ist der komplizierteste - ist der Versuch, an der Beziehung zu arbeiten.
Da gibt es einige Strategien, zum Beispiel, dass man nicht versucht, Diskussionen emotional zu führen, sondern immer Gemeinsamkeiten herauszustellen, und eine vernünftige Auseinandersetzung führt. Also zum Beispiel: Wir haben doch das Ziel, dass wir gemeinsam unsere Kinder großziehen wollen. Deshalb fände ich es hilfreich, dass du mich nicht vor den Kindern heruntermachst. Man sollte also wenig Emotionalität, dafür aber sehr, sehr viel Vernunft einsetzen und klare Ziele formulieren. Es geht immer darum, zu betonen, was man gemeinsam erreichen kann.
rnd