Wer nach Wolgograd reist, landet neu auf dem Flughafen Stalingrad – doch Putins Geste geht manchen Russen noch zu wenig weit

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Wer nach Wolgograd reist, landet neu auf dem Flughafen Stalingrad – doch Putins Geste geht manchen Russen noch zu wenig weit

Wer nach Wolgograd reist, landet neu auf dem Flughafen Stalingrad – doch Putins Geste geht manchen Russen noch zu wenig weit
Vor zwei Jahren, zum 80. Jahrestag des Endes der Schlacht von Stalingrad, wurde vor dem Panorama-Museum in Wolgograd eine Büste des sowjetischen Diktators Josef Stalin enthüllt.

Die Szene wirkte so gestellt, wie sie vermutlich auch war: Zum Abschluss seines Besuchs in Wolgograd am Dienstag traf der russische Präsident Wladimir Putin den Provinzgouverneur Andrei Botscharow zum Gespräch. Am Ende, schon im Stehen, äusserte dieser eine Bitte: ob es nicht möglich sei, auf Wunsch von Veteranen der «militärischen Spezialoperation» dem örtlichen Flughafen den Namen Stalingrad zu geben, wie die Stadt zwischen 1925 und 1961 geheissen hatte?

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Putin überlegte nicht lange. «Deren Bitte ist mir Gesetz», antwortete er. Noch in der Nacht veröffentlichte der Kreml den entsprechenden Erlass, und am nächsten Tag wurde an der Fassade des gläsernen Flughafenterminals die rote Aufschrift «Stalingrad» angebracht.

Erster Schritt oder Trostpreis?

Eine Nacht-und-Nebel-Aktion ist die Umbenennung kaum, auch wenn dieser Eindruck entstanden sein mag. Am 9. Mai wird Russland den 80. Jahrestag des sowjetischen Sieges über das nationalsozialistische Deutschland begehen. Putins Geste könnte die Avance für etwas Grösseres, die dauerhafte Umbenennung der ganzen Stadt in Stalingrad, sein – oder der Trostpreis dafür, dass es eben doch beim alten Namen bleibt.

Seit Jahren bringen Kommunisten, Nationalisten und Veteranenverbände diese Frage immer wieder auf, auch in diesen Wochen wieder. Der Verweis auf den Krieg gegen die Ukraine, die «militärische Spezialoperation», ist ein sehr wirksames Argument in diesen Zeiten. Schon jetzt heisst Wolgograd an ausgewählten Tagen Stalingrad – am Jahrestag der deutschen Kapitulation in der berühmten Schlacht und am «Tag des Sieges». Manchen geht das allerdings zu wenig weit.

Am Tag nach seinem Besuch in der Stadt baten junge Frauen aus Wolgograd Putin darum, auch die Stadt umzubenennen, als er an einem propagandistischen Jugendforum im Moskauer Siegespark auftrat. Es gebe auf jeden Fall eine Logik dahinter, meinte er. «Entideologisiert man die Bezeichnung, so gut es geht, ist sie natürlich mit unserem Sieg verbunden.» Er verwies darauf, dass in Westeuropa bis heute Strassen und Plätze den Namen Stalingrad trügen. Aber man müsse die Meinung der heutigen Wolgograder berücksichtigen, gab er zu bedenken.

Der Gouverneur der Region Wolgograd, Andrei Botscharow (links), zeigt Präsident Wladimir Putin bei dessen Besuch ein neues Buch über die Schlacht von Stalingrad.

Mikhail Metzel / Kreml via Imago

Mehrheit will keine Umbenennung

An Umfragen dazu mangelt es nicht, und alle brachten bis jetzt dasselbe Resultat: Die Mehrheit der Bevölkerung will keine Rückkehr zum alten Namen. Wolgograd, das sich über dreissig Kilometer entlang des westlichen Ufers der Wolga erstreckt, erwacht nur langsam aus der Provinzialität. Einst wichtige Fabriken stehen still, die Modernisierung der Stadt verläuft langsam. Lieber wäre es vielen Bürgern, der Lebensstandard in dieser schrumpfenden Stadt von knapp einer Million Einwohnern würde verbessert und nicht nur die Vergangenheit bewirtschaftet.

Gleichzeitig lebt die Stadt vom Mythos Stalingrad. An Hauswänden, auf Plakaten und Souvenirs ist Josef Stalin, der sowjetische Diktator und Generalissimus, in Wolgograd so unbefangen präsent wie an keinem anderen Ort in Russland. Vor zwei Jahren wurde auch eine Büste von ihm aufgestellt. Hier wird Stalins Name nicht mit Greueltaten und Repression in Verbindung gebracht, sondern mit dem Sieg in einer mörderischen Schlacht, die zwar fast die ganze Stadt auslöschte, aber zur Vorentscheidung im Krieg gegen Nazideutschland wurde.

Die symbolische Umbenennung des Wolgograder Flughafens passt zur schleichenden Tendenz, den Massenmörder Stalin als vorbildlichen Modernisierer, starken Führer und grossen Sieger zu rehabilitieren und das Verhältnis zu ihm umzuwerten – gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. Nicht ohne Grund wurde die Organisation Memorial zerschlagen, die sich mit den düsteren Seiten der sowjetischen Vergangenheit beschäftigte. Sie störte den Zeitgeist, in dem die Verfolgung politisch Andersdenkender wieder zum Alltag gehört.

Vorläufig ist der neue Name des Flughafens vor allem ein politisches Zeichen und ein Zusatz zur offiziellen Bezeichnung Wolgograd-Gumrak. Auch diese geografische Bezeichnung hat mit der Geschichte zu tun: In Gumrak errang die Rote Armee einen für den späteren Sieg im Kessel von Stalingrad wichtigen Zwischenerfolg.

nzz.ch

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