Staatlicher Mindestlohn in Genf kostet Arbeitsplätze im Reinigungs- und Gastgewerbe


Salvatore Di Nolfi / Keystone
Staatliche Mindestlöhne sind eine versteckte Subvention für betroffene Arbeitnehmer. Die Kosten sind nicht direkt im Staatsbudget ausgewiesen, sondern diffus und breit verteilt. Das macht die Sache attraktiv für die politische Linke. Sie war in der Schweiz 2014 mit einer Volksinitiative zur Einführung eines nationalen Mindestlohns gescheitert, doch hat sie in diesem Dossier ihre Liebe zum Föderalismus entdeckt. Das Ergebnis waren Vorstösse für kantonale und sogar städtische Mindestlöhne.
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Zurzeit kennen fünf Kantone einen staatlichen Mindestlohn: Neuenburg, Jura, Genf, Tessin und Basel-Stadt – mit Mindestvorgaben zwischen 20 und gut 24 Franken pro Stunde plus Feriengutschriften. Der Arbeitgeber kann die Kosten theoretisch über verschiedene Kanäle verteilen: an die Arbeitnehmer selbst zum Beispiel durch Reduktion von Stellen, Arbeitsstunden oder Vergütungen jenseits des Lohns; oder an die Kunden durch Erhöhung der Preise; oder an die Eigentümer durch Reduktion der Margen. Von Mindestlöhnen sind jedoch Tieflohnbranchen betroffen, die kaum durch hohe Margen auffallen.
Putzpersonal stark betroffenDie Folgen staatlicher Mindestlöhne sind Gegenstand einer breiten internationalen Forschungsliteratur. In der Schweiz gibt es mangels Daten noch wenig Forschung dazu. Neue Schätzungen zum Genfer Mindestlohn hat am Donnerstag eine vom Kanton bestellte Studie der Genfer Verwaltungshochschule und der Universität Genf geliefert. Genf hatte einen staatlichen Mindestlohn im November 2020 eingeführt. Heuer liegt dieser Mindestlohn bei 24.48 Franken pro Stunde. Das ist der höchste staatliche Mindestlohn in der Schweiz.
Die Studie versuchte, aufgrund von Beschäftigungsdaten in fünf Tieflohnsektoren den Einfluss des Mindestlohns zu eruieren. Die Basis war ein statistisches Schätzmodell mit einem Vergleich der Beschäftigungsentwicklung in diesen Sektoren mit vier Kantonen ohne kantonalen Mindestlohn (Bern, Freiburg, Waadt und Wallis). In drei der fünf Sektoren gab es laut dem Papier genügend Daten für eine Analyse: Gastgewerbe/Hotellerie, Reinigungsgewerbe und Coiffeure/Schönheitssalon. In allen drei Sektoren hat der Mindestlohn laut den Schätzungen die Beschäftigungsentwicklung in Genf gehemmt – gemessen an der Zahl der Stellen wie auch an der Zahl der Arbeitsstunden.
Am deutlichsten ist der geortete Effekt im Reinigungsgewerbe, wo die Beschäftigung umgerechnet auf Vollzeitstellen im Jahr 2022 rund 11 Prozent tiefer lag, als sie ohne Mindestlohn gelegen wäre. Die Autoren vermuten, dass es bedeutende Verlagerungen in den Kanton Waadt gab. Im Sektor Gastgewerbe/Hotellerie belief sich der geschätzte negative Beschäftigungseinfluss des Mindestlohns auf 4 Prozent, was die Autoren als relativ kleinen Effekt werten. Bei den Coiffeuren und Schönheitssalons lagen die georteten Einbussen unter 1 Prozent, und sie waren zudem statistisch nicht signifikant.
Die Aussagen einer einzelnen Studie wie dieser sind mit Vorsicht zu geniessen. Die betrachtete Untersuchungsperiode ist kurz, und mit statistischen Schätzmodellen lässt sich der Effekt eines einzelnen Bestimmungsfaktors wie des Mindestlohns auf die Gesamtbeschäftigung nicht wasserdicht isolieren.
So ist in der internationalen Forschungsliteratur die Bandbreite der Schätzungen zu den Folgen von staatlichen Mindestlöhnen gross. Ein Literaturüberblick von 2024 durch zwei Forscher aus Grossbritannien und den USA erfasste 72 publizierte Studien. Laut der mittleren Schätzung senkt eine Erhöhung des Mindestlohns um 10 Prozent die Beschäftigung von Betroffenen um 1,3 Prozent (Median-Schätzung) beziehungsweise 2,5 Prozent (Durchschnitt).
Weitere Genfer Studie folgtIm Kanton Genf war 2023 eine Studie zu dem Schluss gekommen, dass der kantonale Mindestlohn insgesamt die Arbeitslosigkeit nicht eindeutig erhöhte, aber gewisse Jugendliche arbeitslos machte. Eine weitere Analyse, die laut Kantonsangaben noch dieses Jahr kommen soll, wird die Entwicklung der Löhne unter die Lupe nehmen.
Der Nationalrat hat diese Woche einem Gesetzesprojekt zugestimmt, welches verhindern soll, dass kantonale Mindestlöhne allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge (GAV) übersteuern. Kommt dieses Gesetz durch, könnte es vor allem im Kanton Genf zu gewissen Lohnsenkungen kommen – namentlich in den Sektoren Gastgewerbe, Coiffeure und Reinigung.
nzz.ch