Jet2Holidays: Wie die Trump-Regierung ein beliebtes Sommer-Meme instrumentalisiert

„Nothing beats a Jet2Holiday“: Wer diesen Slogan auf Tiktok oder Instagram hört, der weiß: es folgen Pleiten, Pech und Pannen.
Der Werbespot des britischen All-Inclusive-Reiseanbieters Jet2Holidays hat sich in den vergangenen Monaten zu einem Meme entwickelt: Der Ton des übermäßig fröhlichen Werbeclips wird von Nutzerinnen und Nutzern humoristisch mit Bildern überlegt, die stets im harten Kontrast dazu stehen. Sie zeigen: völlig verregnete Zeltausflüge, Road-Trip-Unfälle oder Hotelzimmer mit viel zu kleinen Fenstern:
Andere mixen den Werbeslogan mit Bildern aus ihrem letzten Mallorca-Urlaub: Es stürmt und regnet, ganze Abdächer fliegen durch die Gegend:
Und manche kombinieren den Sound gleich mit anderen bekannten Memes – etwa dem der unrühmlichen Kisscam-Panne beim Coldplay-Konzert, die kürzlich tausendfach im Netz die Runde machte:
Inzwischen hat das beliebte Sommer-Meme jedoch auch einen bitteren Beigeschmack bekommen: Erst diese Woche nutzte das Weiße Haus den Clip in den sozialen Medien für eine fragwürdige Kampagne. Die Urheberinnen des Clips zeigen sich entsetzt.
Was sollte man über das Meme wissen?
Dass der Werbeclip überhaupt so erfolgreich ist, ist auf mehreren Ebenen bemerkenswert: Es handelt sich nämlich um überaus virales Marketing, ohne dass der Reiseveranstalter dies offenbar geplant hatte.
Ursprung des Memes ist eigentlich ein gewöhnlicher Fernsehwerbespot: Eine Familie läuft darin auf einen Flughafenschalter, dann auf ein Flugzeug und schließlich auf ihren Hotelpool zu – dazu spricht eine weibliche Werbestimme die heute ikonischen Werbesätze: „Nichts geht über einen Jet2Holiday! Und jetzt können Sie 50 Pfund pro Person sparen – das sind 200 Pfund Ersparnis für eine vierköpfige Familie.“
Laut der Website „Know your Meme“ wurde der Clip wohl Ende 2024 erstmals auf der Plattform Tiktok ironisch verfremdet. Auf einem Video aus dem November ist etwa zu sehen, wie ein Kamel in der Wüste offenbar eine Touristin attackiert – im Hintergrund läuft der Ton des Jet2Holidays-Werbespots. Später wurden dann immer neue Pannen-Videos mit Urlaubsbezug mit dem Werbespot unterlegt.
Mindestens genauso ikonisch ist inzwischen die Hintergrundmusik des Spots: Genutzt wird der Song „Hold my Hand“ der britischen Sängerin Jess Glynne aus dem Jahr 2015. Der Werbspot beginnt stets mit den Worten „Darlin‘, hold my hand“. Beides in Kombination ist heute ein Selbstläufer: Im Internet verbreiten sich Videos von Konzerten, auf denen Glynne ihren Song präsentiert. Das Publikum jedoch singt nicht mehr die Textzeilen des Stückes mit – sondern die des Reisewerbespots:
Auch die Sprecherin der Werbezeilen erfährt durch die Bekanntheit des Memes eine ganz neue Prominenz: Zoë Lister wurde einst für ihre Rolle der Zoe Carpenter in der Channel-4-Soap „Hollyoaks“ bekannt – heute ist sie unter anderem als Synchronsprecherin tätig. Auf Instagram postete Lister kürzlich ein Video, das sie allein in einem Cafe zeigt. Nur ihre Stimme sei nun berühmt – doch niemand kenne ihr Gesicht und interessiere sich für sie. „Der Kampf ist real, wenn du eine geheime Ikone bist“, schrieb Lister.
Inzwischen werden jedoch auch immer mehr Menschen auf Lister als Person aufmerksam: Der britische Radio-DJ Chris Stark nahm Lister kürzlich mit zu einem Auftritt, wo sie ihren Werbespot live vor Publikum auf einer Bühne performte. Der Radiosender Capital brachte Lister und Sängerin Glynne schließlich sogar für ein Interview zusammen:
Für den Reiseanbieter Jet2Holidays dürfte sich Hype mehr als lohnen. Im Vereinigten Königreich genoss das Unternehmen zuletzt nicht immer einen guten Ruf: Die Werbespots werden dort dermaßen häufig eingesetzt, dass sich Fernsehzuschauer regelmäßig darüber beschwerten. Selbst Sängerin Glynne sah sich irgendwann gezwungen, sich dazu zu äußern: Sie habe Jet2 die Verwendung ihres Songs zwar gestattet, erklärte sie 2018 in einer Radiosendung. Aber sie habe nicht gewusst, dass der Werbespot derart häufig eingesetzt würde. Die Sängerin entschuldigte sich bei allen, die sich von dem Spot und dem Song inzwischen gestört fühlten.
Davon ist heute allerdings keine Rede mehr: Inzwischen ist nicht nur der Clip, sondern auch die Reisemarke überpräsent – und das selbst außerhalb Großbritanniens. Als kürzlich die New Yorker U-Bahn nach einem Unwetter unter Wasser stand, wurden viele Clips natürlich mit dem Jet2-Werbeton unterlegt. Auf Tiktok posten Menschen kurze Clips, wenn sie einen Flieger des Unternehmens entdecken: „Ich dachte, das wäre nur ein Meme“, schreibt ein junger Mann auf Tiktok, der sich am Flughafen vor einer Jet2-Maschine filmt.
Das Unternehmen greift den Trend wiederum auf seinen eigenen Kanälen auf und spielt das Marketing weiter. Vor einigen Tagen sponsorte der Reiseveranstalter etwa die Pride-Parade in Leeds – Drag-Performer trugen dabei die Schilder mit der Aufschrift „Nichts geht über einen Jet2-Urlaub“, während Lister ihren ikonischen Satz performte.
Inzwischen allerdings ist der Spaß um das lustige Sommer-Meme etwas verflogen: Am Mittwoch postete der offizielle Instagram-Account des Weißen Hauses ebenfalls ein Video, das mit dem Ton des Werbespots unterlegt ist. Darin zu sehen: keine lustigen Pannen, Regenfälle oder skurrile Urlaubserlebnisse. Stattdessen: eine Deportation der US-Abschiebebehörde ICE.
„Wenn ICE Ihnen einen Jet2-Einwegflug in die Abschiebung bucht“, steht unter dem Clip. Auf dem Video sind Männer in Handschellen zu sehen, die von ICE-Beamten geprüft werden, auf einem Rollfeld in einer Reihe laufen und schließlich in ein Flugzeug steigen.
In den Kommentaren ist vor allem Entsetzen zu lesen: „Was zum Teufel? Das ist verrückt. Unmenschlich“, schreibt jemand. „Das sind Menschen mit Familien, genau wie ihr“, kommentiert jemand anderes. „Das ist eine widerwärtige Art der Nutzung von Social-Media (...). Wer auch immer dafür verantwortlich ist, sollte sich schämen.“ Und: „Das ist abscheulich und peinlich. Ihr macht unsere Nation zum Gespött der Welt.“
Auch den Urhebern des Werbespots ist die Nutzung ihres Sommer-Memes ein Dorn im Auge. „Wir sind uns natürlich eines Beitrags aus dem Social-Media-Account des Weißen Hauses bewusst. Dieser wird von uns in keiner Weise unterstützt, und wir sind sehr enttäuscht, dass unsere Marke für die Werbung für eine solche Regierungspolitik verwendet wird“, erklärt das Unternehmen Jet2Holidays auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Ob das Unternehmen rechtliche Schritte gegen die US-Regierung plant, wollte es zunächst nicht beantworten.
Noch deutlicher wird Sängerin Jess Glynne: Sie finde es „krank“, dass das Weiße Haus den Clip mit ihrem Song nutze und dieser nun für „Spaltung und Hass“ verwendet werde. Sie sagte dem „Guardian“ am Donnerstag: „Ich bin am Boden zerstört, dass mein Song auf diese Weise verwendet wird. ‚Hold My Hand‘ wurde über Liebe, Unterstützung und die Unterstützung von Menschen in allen Lebenslagen geschrieben – es soll Hoffnung und Kraft geben. Es zu verwenden, um für etwas zu werben, dem ich grundsätzlich widerspreche, widerspricht völlig der Botschaft des Songs.“
Synchronsprecherin Zoë Lister erklärte gegenüber der BBC, sie würde „niemals dulden, dass meine Stimme verwendet wird“, um für „Trump und seine abscheuliche Politik“ zu werben. „Das Jet2-Meme hat auf der ganzen Welt viel Freude und Humor verbreitet, aber das Video aus dem Weißen Haus zeigt, dass Trump weder das eine noch das andere besitzt“, fügte sie hinzu.
Das Weiße Haus selbst dürfte die Empörung mit einkalkuliert haben. Angesprochen darauf, erklärte Sprecherin Abigail Jackson gegenüber dem „Independent“: „Es gibt nichts Verbindenderes und Positiveres, als kriminelle illegale Einwanderer abzuschieben und die amerikanischen Gemeinden sicherer zu machen.“
Ob Glynne oder Lister juristisch gegen die Verwendung vorgehen wollen, ist nicht bekannt. Ein urheberrechtliches Vorgehen dürfte aber ohnehin schwierig werden: Donald Trump höchstpersönlich hatte erst vor wenigen Tagen deutlich gemacht, was er von den Werken von Künstlerinnen und Künstlern hält.
Im Rahmen seiner Verkündung eines „KI-Handlungsplan“ hatte Trump in einer Bemerkung gar eine mögliche Abschaffung des Urheberrechts in den Raum geworfen. „Man kann nicht erwarten, dass ein KI-Programm erfolgreich ist, wenn man für jeden einzelnen Artikel, jedes Buch oder alles andere, was man gelesen oder studiert hat, bezahlen muss. Das ist einfach nicht machbar. China macht das auch nicht“, so der US-Präsident.
rnd