Breitling-Chef Georges Kern zum Zolldebakel: «Die Schweiz ist in Geiselhaft der Pharmaindustrie»


Die Zahl 39 sucht die Wirtschaft heim wie ein Plagegeist. So hoch ist der Zoll, den die amerikanische Regierung künftig auf alle Schweizer Produkte draufschlagen will. Die Ankündigung vom Freitagmorgen hat vielen Schweizer Firmenchefs die Sprache verschlagen. Über Nacht hat sich für Exportfirmen die Ausgangslage dramatisch verschlechtert.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Besonders betroffen ist die Uhrenindustrie. Sie setzt seit je auf das Gütesiegel «Swiss made». Der wichtige amerikanische Markt wird nun mit einem der höchsten Zölle verbarrikadiert, den die Trump-Regierung überhaupt ausgesprochen hat. Entsprechend aufgebracht ist Georges Kern, Chef und Miteigentümer der Uhrenmarke Breitling.
«Ich bin schockiert über das Ergebnis der Verhandlungen. Wer verhandelt, muss immer auch die Risiken einkalkulieren. Stattdessen hat man bei uns einen falschen Optimismus verbreitet», sagt Kern.
Er wirft der Schweizer Regierung vor, nicht verstanden zu haben, worum es Präsident Donald Trump wirklich gehe: um die Gesundheitskosten. Er stehe unter massivem Druck, diese zu senken. «In den USA gibt es keine Versicherungssysteme wie in Europa. Hier werden die hohen Medikamentenkosten von der Allgemeinheit getragen – im Gegensatz zu den USA.»
Kern hat die Hoffnung auf einen besseren Deal in letzter Minute noch nicht aufgegeben. Doch nun müsse der Bundesrat das Gespräch mit der Pharmaindustrie suchen, um faire Preise in den USA zu gewährleisten. «Die Margen für die Medikamente sind enorm. Die USA sind für Roche und Novartis ein Eldorado», sagt Kern. Trump wolle die im Vergleich zu Europa teilweise dreimal so teuren Medikamente nicht mehr bezahlen. «Genauso wenig wie die 20-Millionen-Gehälter einiger Pharma-CEO.»
«Keine guten Lösungen»Für Kern sind die Verantwortlichen ausgemacht: «Die Schweiz ist in Geiselhaft der Pharmaindustrie. Das betrifft alle exportorientierten Branchen ausser einer: Zynischerweise ist die Pharma, welcher wir die Situation zu verdanken haben, von den hohen Zöllen vorerst ausgenommen.»
Richard B. Levine / Imago
Aber was kann man jetzt als Firma tun, die in der Schweiz produziert und stark vom amerikanischen Markt abhängig ist? Als Unternehmer habe man nicht viele Möglichkeiten, sagt Kern. «Man kann effizienter werden. Man kann mit einer geringeren Marge operieren. Und man kann die Preise erhöhen.» Dies müsse man allerdings überall tun, nicht nur in den USA. Und: 40 Prozent auf einen Schlag, das gehe nicht. «Das würde den Markt abwürgen.»
Tatsächlich hätten Unternehmen, die auf «Swiss made» setzten, nur wenige Möglichkeiten, auf die Zölle zu reagieren, sagt Simeon Probst, Leiter Zollberatung und internationaler Handel bei der Unternehmensberatung PwC Schweiz.
Auch für alle anderen gilt: «Gute Lösungen gibt es nicht. Aber als Schweizer Firma muss man jetzt schauen, wie man die Situation schlau optimiert.» Und hierfür hat Probst zumindest ein paar Tipps.
Der Zollexperte hat allein am Freitag, als Donald Trumps Megazollsatz bekanntgegeben wurde, mehrere Anfragen von Schweizer Firmen erhalten. «Trotz den vielen Freihandelsabkommen der letzten Jahre wurde dem Thema Zoll nur wenig Priorität geschenkt. Das ändert sich jetzt radikal», sagt er.
Laut Probst sind viele Unternehmen nicht optimal auf die Situation vorbereitet. Dies, weil Zölle bis jetzt kaum ins Gewicht gefallen seien. Nun sei es aber wichtig, lückenlos nachweisen zu können, welche «Nationalität» ein Produkt habe. Oftmals fehlten die entsprechenden Prozesse und ein sauberes, digitales Track-and-Trace-System.
Denn: Wenn eine Schweizer Unternehmung eine Niederlassung in der EU oder in den USA hat, kann sie sich dies zunutze machen. «Angenommen, eine Schweizer Firma produziert in der EU, hat den Vertrieb aber in der Schweiz. Dann muss sie bei einem Export in die USA nachweisen können, dass es kein Schweizer, sondern vielmehr ein EU-Produkt ist. Somit fallen dann nur 15 statt 39 Prozent Zoll an.»
Eine andere Möglichkeit, um die Kosten möglichst tief zu halten, sei es, Schweizer und EU-Halbfabrikate separat in die USA zu schaffen und dort zusammenzubauen. Das setze aber nicht nur mehrere Standorte, sondern auch ein sehr gutes Nachweissystem voraus, so Probst.
Amerikanische Firma kaufenWie man als Schweizer Firma trotz Trump-Zöllen erfolgreich in den USA operieren kann, zeigt die Frauenfelder Agrar-, Putz- und Räumungsfahrzeug-Firma Aebi Schmidt. Sie wagte Anfang Juli den Börsengang in New York – und wurde brutal abgestraft. Die Aktie fiel von 80 auf gegenwärtig knapp 10 Dollar.
Das beunruhigt den Aebi-Schmidt-CEO Barend Fruithof allerdings nicht. Die Investoren könnten nur noch nicht richtig einschätzen, wie stark Aebi Schmidt von den Zöllen betroffen sei, sagt er. «Wenn wir unsere ersten Zahlen veröffentlichen, werden wir zeigen können, dass uns die aktuelle Situation nur minimal tangiert.»
Der Grund: Aebi Schmidt produziert laut Fruithof fast alles, was sie in den USA verkauft, auch dort – selbst die Ersatzteile. Auch dank Zukäufen kommt die Firma auf einen reinen Umsatz in den USA von 1,3 bis 1,5 Milliarden Franken.
Laut Fruithof sind Übernahmen der «Königsweg», um die Zollproblematik zu umgehen. Denn in den USA sei es relativ einfach, eine Firma zu kaufen. «Es gibt keine politischen Hürden, und Aus- und Umbaupläne sind relativ schnell umsetzbar.»
Für Aebi Schmidt, die mehrheitlich dem Bahnunternehmer Peter Spuhler gehört, war es ein strategischer Entscheid, den amerikanischen Markt nur aus den USA aus zu beliefern. Das zahlt sich nun aus. «Wir wollten das politische Risiko, wenn immer möglich, kleinhalten», sagt Fruithof.
Allerdings räumt er ein, dass auch ein wenig Glück dabei war. Die Strategie war beeinflusst vom Umstand, dass Aebi Schmidt beispielsweise Flughäfen beliefere. Diese operieren mit öffentlichen Geldern und sind deswegen ohnehin der «Buy-American-Act» unterworfen. Sprich: Sie sind verpflichtet, bei Beschaffungen in den USA hergestellte Produkte zu bevorzugen.
Barend Fruithof sagt: «Die grosse Frage für viele Schweizer KMU wird sein, ob sie es schaffen, in den USA eine eigene Produktion aufzubauen, die die kritische Grösse erreicht, die es zum Erfolghaben braucht.»
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
nzz.ch