Abschaffung des Eigenmietwerts bringt Steuersenkung in Milliardenhöhe – oder saftige Steuererhöhung


Bei Volksabstimmungen über Steuervorlagen spielt das Portemonnaie der Urnengänger oft eine grosse Rolle. Das dürfte auch für die Reform der Wohneigentumsbesteuerung gelten. Die Reform schafft die Besteuerung des Eigenmietwerts ab. Im Gegenzug verschwindet der Steuerabzug für Liegenschaftsunterhalt, und der Schuldzinsabzug wird stark reduziert.
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Die finanziellen Folgen für die Steuerpflichtigen und den Fiskus hängen entscheidend vom künftigen Niveau der Hypothekarzinsen ab. Je höher das Zinsniveau liegt, desto stärker fällt die Reduktion des Schuldzinsabzugs ins Gewicht – und desto eher kommt es per saldo zu einer Mehrbelastung für die Steuerpflichtigen. Gemäss Bundesschätzung wäre die Reform ohne Berücksichtigung von Verhaltensänderungen der Steuerpflichtigen und der Kantone bei einem durchschnittlichen Zinsniveau von etwa 2,8 Prozent ungefähr aufkommensneutral. Tiefere Zinsen bedeuten im Vergleich zum Szenario ohne Reform eine Steuerentlastung, höhere Zinsen das Gegenteil.
Wer fährt besser?Laut den Schätzungen macht eine Veränderung des Zinsniveaus um 1 Prozentpunkt etwa 1,3 Milliarden Franken pro Jahr aus (vgl. Grafik). Die Reform könnte so bei einem durchschnittlichen Zinsniveau von 1 Prozent für den Fiskus im Vergleich zum Szenario ohne Reform Einnahmeneinbussen von fast 2,5 Milliarden Franken pro Jahr bedeuten, bei einem Zinsniveau von 4 Prozent müssten dagegen die Steuerpflichtigen mit Mehrbelastungen von gut 1,6 Milliarden Franken pro Jahr rechnen. Mitte 2025 betrug der durchschnittliche Hypothekarzins 1,37 Prozent. Bei diesem Niveau würden die Steuerpflichtigen mit der Reform per saldo um knapp 2 Milliarden Franken besser fahren als im geltenden Recht.
Doch entscheidend wird das künftige Zinsniveau sein. Bei einem Volks-Ja an der Urne in zwei Wochen würden die Kantone Zeit für eine Umsetzung brauchen. Laut Bundesangaben träte die Reform nicht vor 2028 in Kraft, vielleicht auch erst 2030. Doch das künftige Zinsniveau kann keiner kennen. Das Bestmögliche ist eine einigermassen verzerrungsfreie Prognose – was heisst, dass keine politische Agenda dahintersteckt und Abweichungen nach oben ähnlich wahrscheinlich sind wie solche nach unten.
Eine naheliegende erste Adresse für eine solche Prognose sind die Finanzmärkte. Hinweise liefert zunächst der Swap-Satz für den Schweizerfranken. Das ist der fixe Zinssatz, der am Markt für einen Austausch mit variablen Kurzfristzinsen für eine bestimmte Periode bezahlt wird. Der dreijährige Swap-Satz liegt derzeit bei etwa null. Das heisst: Der Markt erwartet, dass die kurzfristigen Zinsen in den nächsten drei Jahren durchschnittlich etwa bei null sind.
Längerfristige Swap-Sätze deuten auf eine Markterwartung von durchschnittlich etwa 0,4 Prozent Kurzfristzins in den nächsten zehn Jahren und von rund 0,7 Prozent im Mittel der nächsten zwanzig Jahre. Das heisst: Der Markt erwartet längerfristig keine starken Zinserhöhungen. Die effektiven Markterwartungen mögen noch etwas unter den genannten Swap-Sätzen liegen, da die längerfristigen Sätze typischerweise auch noch eine Unsicherheitsprämie enthalten.
Berücksichtigt man noch eine typische Marge für die kreditgebende Bank, kommt man auf eine «Prognose» für durchschnittliche Sätze variabler Hypotheken (Saron-Hypotheken) in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren von 1 bis 2 Prozent. Das ist etwas höher als das derzeitige Zinsniveau für Saron-Hypotheken (0,65 bis 0,85 Prozent), aber es liegt in der gleichen Grössenordnung wie der derzeitige Durchschnittszins aller ausstehenden Hypotheken (1,37 Prozent).
Hinweise liefert der Markt auch mit den Zinssätzen für langfristige Festhypotheken. Für neue 10-Jahres-Festhypotheken zahlen Schuldner mit guter Bonität zurzeit ungefähr 1,3 bis 1,4 Prozent, bei 15-jähriger Laufzeit sind es 1,5 bis 1,6 Prozent. Auch dies liegt somit in der gleichen Grössenordnung wie der derzeitige Durchschnittszins aller ausstehenden Hypotheken.
Die in den Marktdaten steckenden langfristigen Zinsprognosen sind fast sicher falsch; eine korrekte Prognose wäre so zufällig wie ein Lottotreffer. Doch Marktprognosen sind wenigstens politisch nicht verzerrt und besser als ein diffuses Bauchgefühl.
Die andere SichtweiseEinen zweiten gängigen Ansatz zur Abschätzung der längerfristigen Zinsentwicklung liefern volkswirtschaftliche Modellschätzungen von Ökonomen zum langfristig «neutralen» Zinsniveau – jenem Niveau, das die Volkswirtschaft weder anheizt noch bremst.
Hier einige bedeutende Einflussfaktoren für das Zinsniveau: die Inflationserwartungen (je höher die Erwartungen, desto höher das Zinsniveau); die Wachstumsaussichten der Volkswirtschaft (je besser, desto höher das Zinsniveau); die Stärke der eigenen Währung (je stärker, desto tiefer das Zinsniveau); das ausländische Zinsniveau (je höher, desto höher das inländische Zinsniveau); die technische Innovation (je stärker, desto höher das Zinsniveau); die Bevölkerungsstruktur (je älter die Bevölkerung, desto tiefer die Sparquote und damit desto höher das Zinsniveau); die internationale und nationale Staatsverschuldung (je höher, desto höher das Zinsniveau).
Was das Zusammenspiel aller Einflussfaktoren für den künftigen Zinstrend heisst, ist Gegenstand epischer Diskussionen in der Fachwelt. Die naheliegende Adresse für eine Schweizer Einschätzung ist die Nationalbank (SNB), die sich kraft ihrer Funktion besonders intensiv mit dem Thema auseinandersetzen muss und für ihre Schätzungen diverse Modelle betrachtet. Dieses Frühjahr zeigte die Analyse einer Gruppe von Nationalbank-Forschern am aktuellen Rand eine Bandbreite der Modellschätzungen für das neutrale Niveau der SNB-Leitzinsen von real (teuerungsbereinigt) etwa minus 0,3 Prozent bis plus 0,5 Prozent. Bei einer angenommenen Teuerung von durchschnittlich 1 Prozent pro Jahr käme man mit Hinzurechnung einer Marge für die Kreditbank auf Hypothekarzinsen von etwa 1,5 bis 2 Prozent.
Nahe bei 2 ProzentDie Markteinschätzungen ändern sich schneller als die Modellschätzungen der Ökonomen. Zurzeit lassen beide Betrachtungsarten längerfristig nur einen leichten Anstieg der Hypothekarzinsen erwarten. Zu beachten ist indes eine Asymmetrie: Die Hypothekarzinsen werden auch bei längerfristig negativen SNB-Leitzinsen kaum unter 1 Prozent fallen, doch bei einem starken Anstieg der Leitzinsen wäre auch eine starke Erhöhung der Hypothekarzinsen zu erwarten.
Alles in allem liegt eine plausible Langfristprognose für die durchschnittlichen Hypothekarzinsen in der Nähe von 2 Prozent. Auf diesem Niveau würden die Wohneigentümer mit der Reform steuerlich deutlich besser fahren als im Status quo. Die genannte Zahlenprognose wird sich wahrscheinlich als falsch entpuppen, aber etwas Besseres ist heute kaum zu haben.
nzz.ch