Thomas Müller mit Vancouver in der MLS Favorit?

Der Deutsche Ernst Tanner kennt die Major League Soccer (MLS) bestens. 2018 übernahm er das Amt als Sportdirektor beim US-Fußballklub Philadelphia Union. Zuvor war Tanner für 1860 München, die TSG Hoffenheim und RB Salzburg tätig. Der 58-Jährige spricht über Thomas Müller als Star-Attraktion der MLS, einen möglichen Transfer von Mario Götze, die Erfahrungen der Klub-Weltmeisterschaft und die Erwartungen an die „richtige“ WM in Nordamerika im kommenden Jahr.
Sie führen mit Philadelphia die MLS, die in zwei Conferences aufgeteilt ist, fünf Spieltage vor Schluss als Erster von 30 Teams an. Damit winkt der Gewinn des Supporter Shield, also des Hauptrundentitels. Welche Bedeutung hat das?
So wie die US-Amerikaner sportlich ticken, interessiert sie das nur bedingt. Die Play-offs sind das A und O, da geht es um die hochgepriesene Silberware. Ich hingegen sehe das eher als Tüpfelchen auf dem i. Die Hauptrunde ist aus meiner europäischen Sicht für die Entwicklung und den Erfolg über eine gesamte Spielzeit maßgeblich. Ich bin froh über die gute Saison mit einigen unserer jungen Topspieler. Wir haben keine überragenden Einzelkönner und kommen mehr übers Team.
Die Einzelkönner spielen woanders: Lionel Messi und einige Altinternationale bei Inter Miami, Marco Reus bei LA Galaxy – und die neueste Attraktion heißt Thomas Müller. Wieso kamen die nicht zu Ihnen?
Ganz einfach: Die können wir uns nicht leisten. So viel Geld stellt mein Eigentümer dafür nicht zur Verfügung. Außerdem passen sie bei uns weniger ins Konzept. Thomas Müller kommt aus einer völlig anderen Spielphilosophie. Dass die passt, hat oberste Priorität. Als uns Thomas angeboten wurde, habe ich gleich gesagt, dass wir dafür erstens finanziell eine Nummer zu klein sind und zweitens von der Spielidee her einen anderen Weg gehen.
Ernst Tanner, MLS-Manager
In der Nacht zu Sonntag (3.30 Uhr) deutscher Zeit geht es für Ihr Team in Vancouver gegen den Weltmeister von 2014. Wie sehr strahlt der Müller-Effekt bislang auf die gesamte Liga ab?
In Philadelphia bekommt normal keiner mit, was in Vancouver passiert, dort wiederum niemand, was in Kansas los ist. Die Liga aber wird zentral vermarktet und medial gepusht. Thomas ist eine der größten Persönlichkeiten im Weltfußball, die MLS nutzt das. Dadurch wird das schon überall wahrgenommen. Der regionale Müller-Effekt ist aber viel größer.

Was konkret erwartet man sich von ihm?
Einige Zeit hat man den Fokus verstärkt auf eine Initiative mit unter 22-Jährigen gelegt. Viele davon kamen aus Südamerika. Sie wurden geholt, um sie zu entwickeln und dann teuer nach Europa zu verkaufen. Allmählich geht man eher dazu über, wieder mehr auf Superstars zu setzen. Mit Namen wie Thomas Müller erhofft sich die Liga im Jahr vor der WM eine Steigerung der Attraktivität.
Ernst Tanner, MLS-Manager
Und sportlich? Reus gewann 2024 in der ersten Saison mit LA Galaxy direkt den Meistertitel.
Der Fußball hier ist anders, gerade im Hinblick auf die äußeren Bedingungen. Wir spielen im Kalenderjahr, also auch im Hochsommer. Die Teams bei der Klub-WM haben gemerkt, wie sich das mit extremer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit anfühlt. Sich körperlich anzupassen, fällt zudem schwer bei weiten Reisen mit vielen Flugstunden und dem Zeitunterschied. Taktisch aber passt jemand wie Reus gut zu Teams, die ihren Fokus auf das Spiel mit Ball legen. Er hat bei Galaxy schnell entscheidenden Einfluss gehabt, gegen den Ball muss er eher weniger arbeiten.

In diesem Sommer zieht es wieder viele Fußball-Stars in die Wüste. Über 400 Millionen Euro sind dafür aus dem Gastgeberland der WM 2034 geflossen. Im Besitz des saudischen Staatsfonds ist auch Newcastle United, das wohl Nick Woltemade verpflichtet. Was hinter dem nächsten Großangriff steckt.
Welchen Einfluss trauen Sie Thomas Müller in Vancouver zu – oder plakativ gefragt: Reicht ein Thomas Müller, um den Titel zu holen?
Nein, diese Denkweise funktioniert nicht. Du kommst nicht einfach rüber, kickst und kannst einem Superstardasein frönen. Dafür ist die MLS zu gut. Das weiß Thomas genau. Trotzdem gehört Vancouver zum erweiterten Favoritenkreis.
Wo ist die MLS qualitativ einzuordnen?
Es reicht freilich nicht für europäische Top-Fünf-Ligen. Ich würde es mit gehobenem Zweitliga-Niveau in Deutschland vergleichen. Halb Lateinamerika spielt bei uns, hinzu kommen viele Europäer. Dank der guten Arbeit der Akademien sehen wir einen kompetitiven Mix. Die europäischen Trainer heben zudem das taktische Niveau. Die Kultur muss noch weiterentwickelt werden. Die Liga gibt es nicht einmal drei Jahrzehnte.

Sie lockt nun weiterhin namhafte Profis. Mario Götze, deutscher Goldjunge von 2014, könnte – womöglich schon im Januar 2026 zum Start ins WM-Jahr – der Nächste sein.
Das ist möglich und denkbar, hängt aber davon ab, wie Eintracht Frankfurt mit ihm plant, ob man sich das im Winter leisten kann. Wenn Mario das machen möchte und in Frankfurt alles in die richtige Richtung läuft, kann es durchaus sein, sonst im Sommer kurz vor der WM. Finden wird er in der MLS immer was, so viel steht fest. Mario Götze würde auch zu einem MLS-Klub passen, der diesen Unterschiedsspieler sucht.
Braucht die USA, die mit Kanada und Mexiko das Weltturnier austragen, denn noch ein Zugpferd nach der durchwachsenen Klub-WM?
Ich sehe das anders, die Klub-WM war kein Reinfall. Sie war als Testpilot ein Highlight für die fußballbegeisterte Bevölkerung hier. Meiner Meinung nach hat die Fifa es schlecht beworben und viele Fehler gemacht, allen voran mit Anstoßzeiten in der prallen Sonne. Zwischen 12 und 15 Uhr kann nur in einem Dome (klimatisiertes Kuppelstadion; d. Red.) gespielt werden. Die Fifa wird daraus lernen und einen Kompromiss zwischen vernünftigen Bedingungen und bestmöglicher weltweiter TV-Übertragung finden. Außerdem wird die WM sicherlich anders beworben.
Damit die sehr großen US-Arenen auch voller werden.
Eins steht fest: Die Topstars und Spitzenklubs haben die Stadien bei der Klub-WM ausverkauft. Besonders ab der K.-o.-Phase waren sie gut gefüllt. Auch bei der WM werden die namhaften Spiele voll sein, weniger klangvolle Partien eher nicht.
Abschließend: Welche Rolle übernimmt Donald Trump, der sich gern mit Weltverbandsboss Gianni Infantino ablichten lässt, um das Fußball-Großevent zu bewerben?
Nach meinem Kenntnisstand ist der US-Präsident grundsätzlich Fußballfan, seine Söhne haben in Washington bei DC United gespielt, er war seinerzeit gelegentlich am Platz. Die WM ist ein weltpolitisches Ereignis, da wird sich Donald Trump zu positionieren wissen. Aber davor, in den ersten Monaten der neuen MLS-Saison, wird er nicht auftauchen. Da ist ihm die Liga selbst 2026 nicht wichtig genug.
rnd