«Meine Karriere zeigt, dass vieles machbar ist», sagt die Sprinterin Mujinga Kambundji


Vor 16 Jahren sind Sie erstmals an internationalen Titelkämpfen gestartet, an den U 18 WM in Italien. Erinnern Sie sich noch, wie das für Sie als damals 17-jähriger Teenager war?
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Mujinga Kambundji: Es fühlt sich nicht an, als sei das schon 16 Jahre her. Wir waren ein kleines Team und reisten mit dem Bus an. Es war aufregend, an einer WM teilzunehmen und gegen Athletinnen aus Jamaica oder den USA zu laufen – Frauen aus Nationen, die du sonst nur am TV siehst.
Kurz darauf wurden Sie Schweizer Meisterin über 100 und 200 m bei den Aktiven. War das damals Ihr Horizont: beste Schweizerin zu sein?
Natürlich ist es speziell, wenn du zum ersten Mal Landesmeisterin wirst. Aber ich verglich mich auch mit Ausländerinnen und sah, dass ich mit meinen Zeiten in Deutschland nicht einmal in den Final gekommen wäre. Ich lief in beiden Disziplinen U-18-Rekord, das freute mich sehr – mir war aber auch klar, dass ich noch weit weg war von der Elite.
Wann kam der Punkt, an dem Sie gesagt haben: Ich will internationale Medaillen?
Nach den Schweizer Meisterschaften gewann ich am Europäischen Olympischen Jugendfestival (EYOF) Silber über 100 m und Gold mit der Staffel. Aber international bei den Erwachsenen aufs Podest zu laufen, war damals kein grosses Ziel. Ich war immer sehr realistisch und sah, was es an EM oder WM für Leistungen braucht. Damals war ich nicht überzeugt, dass ich das schaffen könnte.
Mit inzwischen zwei WM-Titeln in der Halle und elf internationalen Medaillen innerhalb von neun Jahren sind Sie die langlebigste und erfolgreichste Athletin der Schweizer Leichtathletik. Was bedeutet Ihnen das?
Das macht mich sehr stolz, vor allem, weil ich einfach angefangen und nicht früh schon sehr spezielle Sachen gemacht habe. Das ist schön, weil es den Jungen zeigt: Es ist machbar. Heute sagen viele, sie möchten Profi werden und Medaillen gewinnen. Ich selbst hatte als junge Frau nie die mega grossen Ziele, aber ich wollte mich immer verbessern und sehen, wo mich mein Weg hinführt. Und das hat internationale Titel, Medaillen und Finals an Olympischen Spielen ergeben.
Seit über zehn Jahren ist die heute 32-Jährige internationale Klasse. Bevor die Bernerin antrat, galt es als undenkbar, dass jemand aus der Schweiz im Sprint internationale Medaillen gewinnt. Inzwischen ist Kambundji zweifache Hallenweltmeisterin über 60 m und gewann 11 Medaillen an grossen Titelkämpfen. Ihre Landesrekorde über 100 m (10,89) und 200 m (22,18) sind Weltklasse.
Wie leben Sie mit der Rolle als Vorbild für junge Athletinnen und Athleten? Üben Sie diese bewusst aus?
Ich nehme sie sehr ernst, versuche mich nicht zu verstellen und ich selbst zu sein. Das zeichnet meiner Meinung nach ein gutes Vorbild aus. Ausserdem will ich zeigen, welchen Weg ich gegangen bin und was möglich ist. Mir war schon vor 16 Jahren wichtig, dass ich diesen Sport für mich ausübe – und dass ich auch an mich glaube, wenn Leute sagen: «Das geht doch nicht!» Meine Karriere zeigt, dass vieles machbar ist. Es braucht dafür keine Hexerei, nur den Glauben an sich selbst.
Michael Buholzer / Keystone
Heute ist es fast selbstverständlich, dass Schweizer in Weltsportarten nach internationalen Medaillen streben – in der Leichtathletik, aber auch im Schwimmen. Spüren Sie, dass sich da etwas grundsätzlich verändert hat?
Ich denke, dass das Mindset ganz anders ist als noch vor zehn Jahren. Das Ziel, Profi zu werden, gab es damals gar nicht. Und es hat heute eine gewisse Selbstverständlichkeit, als Leichtathletin oder Schwimmer an eine Meisterschaft zu gehen und um Medaillen zu kämpfen. Ich fand es cool, als 2021 zwei Schwimmer Olympiamedaillen gewannen.
Warum?
Das ist eine weitere Weltsportart, die im Grunde sehr einfach ist: Du brauchst ein Becken und Badehosen. Wir Leichtathleten brauchen eine Bahn und nicht einmal zwingend Schuhe. In diesen Sportarten ist die Dichte sehr gross, aber wenn du konsequent arbeitest, kannst du überall die Basis für den Erfolg legen – auch in der Schweiz.
Über die Jahre haben Sie Ihr Umfeld auf allen Ebenen professionalisiert. Gab es auch Situationen, in denen Sie gegenüber dem Verband gesagt haben, was sich Ihrer Meinung noch bessern muss?
Ich versuche ständig zu sagen, was wir brauchen und was nicht gut ist. Ich habe das Gefühl, dass die Athleten in vielen Dingen professioneller unterwegs sind als der Verband. Viele internationale Topathleten bewegen sich ausserhalb von nationalen Verbandsstrukturen. Das liegt in der Natur unserer Sportart, die sehr individuell ist. Jeder Athlet versucht, das für sich optimale Umfeld zu schaffen.
2013 gingen Sie nach Deutschland, um weiterzukommen. War das mit finanziellen Risiken verbunden, oder waren Sie damals schon so gut aufgestellt, dass Sie sich das Abenteuer leisten konnten?
Es hat nicht sehr viel gekostet, der Zug nach Deutschland war billig, das Übernachten war auch nicht sehr teuer. Klar musste ich etwas investieren, aber ich wurde vom Verband unterstützt und auch vom Verein, und ich hatte auch schon kleine Sponsoren. Die Frage, ob ich mir das leisten kann, hat sich nie gestellt.
Die Schweizer Leichtathletik steht heute ganz anders da als 2013. Ist es für Athletinnen nun auch einfacher, vom Sport zu leben?
Es hat sich sehr viel getan. Klar, es brauchte Erfolge in Form von Medaillen und Titeln, aber auch mehr Professionalität in sämtlichen Bereichen, damit man sich wieder erinnerte, wie wertvoll, cool und angesagt die Leichtathletik ist. Globale Brands, nationale Sponsoren, Medien und Fans haben gemerkt, dass die wichtigste olympische Sportart nicht nur alle vier Jahre kommerziell spannend ist. Entsprechend wird investiert.
Weil von den Athletinnen und Athleten in Form von Leistungen etwas zurückkommt?
Je stärker die Athleten, je besser die Resultate, je mehr Medaillen und Starts in der Diamond League, desto sichtbarer wird unsere Sportart. Dadurch entsteht eine positive Dynamik, und unser Marktwert wird erhöht.
Der Skifahrer Marco Odermatt hat schon früh eine AG gegründet und lässt sich von dieser einen Monatslohn auszahlen. Sind Sie auch eine Firma?
Ich bin eine Einzelfirma. Auf dem Weg dahin hatte ich viel Unterstützung von meinem Management, das alles angeschaut und sich gefragt hat, was in meiner Situation das Beste sei. Das war dann eben diese Firma.
2023 und 2024 hatten Sie eine schwierige Phase zu überstehen, als Sie wegen Fussbeschwerden nicht voll belasten konnten. Ist das vollständig überwunden, oder müssen Sie im Training immer noch dosieren?
Mittlerweile ist es vollständig überwunden, aber ich passe immer noch sehr gut auf, sobald ich etwas spüre. Ich mache meine Übungen, nehme Supplemente. Aber im Training muss ich keine Kompromisse mehr eingehen und im Wettkampf spüre ich nichts.
Sie haben damals alternative Methoden ausprobiert, etwa kurze, hohe Belastungen auf dem Indoor-Bike. Haben Sie dabei Dinge entdeckt, die auch gesunden Sprinterinnen helfen können?
Die Sachen auf dem Velo machen wir weiterhin. Auch meine Schwester Ditaji und William Reais, die mit mir trainieren, haben das in ihren Trainingsplänen. Dadurch kann man den Anteil der Läufe der Bahn ein wenig reduzieren. Und alles, was Ausdauer ist, machen wir auf natürlichem Untergrund, um den Körper etwas zu schonen.
Verletzung sind das eine, das Alter das andere. Worauf müssen Sie mit 32 Jahren besser achten als noch mit 20?
Die Erholung braucht etwas mehr Zeit. Ich habe das 2023 in der Halle deutlich gesehen, als ich in Polen lief und drei Tage später in Frankreich. Ditaji war damals mit mir unterwegs. Ich lief in Polen sehr gut, aber drei Tage später spürte ich, dass ich noch nicht genügend erholt war. Das Rennen war dann auch nicht gut. Ditaji, die zehn Jahre jünger ist, lief noch einmal super. Ich brauche also mehr Erholung, bin aber nach einer Pause schneller wieder auf einem hohen Niveau. Im Training mache ich nicht mehr gleich viel, aber die Qualität ist sogar höher als in jungen Jahren.
Die Saison 2025 wird extrem lang, mit der WM erst Mitte September. Trotzdem haben Sie eine Hallensaison mit zwei Titelkämpfen bestritten und sind bereits im April in die Diamond League eingestiegen. Wird das nicht irgendwann zu viel?
Das sehen wir dann. Man muss manchmal etwas Neues ausprobieren. Bei mir bedeutet das, dass ich nach der Hallensaison nicht noch einmal einen grossen Aufbau gemacht habe. Die Amerikaner machen das im College so, für die Ozeanier beginnt nach der Hallensaison sofort der Sommer. Ich bin gespannt, wie ich darauf reagiere.
Auf Trainings und Rennen mit der Staffel verzichten Sie vorläufig. Kann es sein, dass dieses Kapitel für Sie bald definitiv zu Ende ist?
Das sehe ich in den nächsten Jahren. Bei mir hat sich bezüglich Training, Erholung und Saisonplanung einiges verändert. Deshalb ist es wichtig, dass ich mich auf meinen Weg konzentrieren kann. Staffel bin ich immer gerne gelaufen, aber es gibt auch eine junge dynamische Generation, die heranwächst und den Stab irgendwann buchstäblich übernehmen soll. Im Sommer werden wir schauen, ob und wie es für mich und auch für die anderen Athletinnen passt.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
nzz.ch