Mehr als ein Spieler – Marcus Rashford bekommt in Barcelona die Chance, seine Karriere zu retten


Es geht schon mal ganz gut los: so weit der Eindruck, den Marcus Rashford aus Fernost den Fans des FC Barcelona übermittelt. Vorige Woche wurde die Ausleihe des Angreifers von Manchester United vereinbart, bei Testkicks in Japan und Korea liess er gleich seine Klasse aufblitzen. Technik, Tempo, Torgefährlichkeit: «Marcus ist ein grossartiger Spieler, den ich seit seinem Karrierebeginn verfolgt habe», sagt Hansi Flick, der Trainer: «Hoffentlich kann er seine ganze Qualität hier zeigen.»
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Selten hat ein Leihgeschäft so viel Neugierde geweckt wie dieses. Dafür bürgt schon die Nationalität des Neuen. Rashford ist Engländer und damit eine Seltenheit im Barça-Kosmos. Seit der Winterthurer Hans Gamper, 1899 Gründer des Football Club Barcelona, für seine Schöpfung auf ein starkes Kontingent britischer Expats zählte, war nur noch ein Engländer für die erste Mannschaft aufgelaufen: Gary Lineker, der Starstürmer der 1980er Jahre und spätere Starmoderator.
Der Trainer war ein SchlüsselfaktorDabei blieb es, sosehr im Zuge des Bosman-Urteils alle innereuropäischen Transferschranken fallen mochten. Je stärker sich Barça der niederländischen Lehre von Johan Cruyff verpflichtete und sie im Kurzpassfussball unter Frank Rijkaard und Pep Guardiola sublimierte, als umso inkompatibler wurde der robuste, athletische Fussballertypus von der Insel betrachtet.
Doch die Dinge haben sich geändert. Der Deutsche Flick mag es technisch, schon klar, aber auch direkt und schnell. In der Vorsaison überführte er damit das Barça-Modell erfolgreich in die Gegenwart. «Flick war ein Schlüsselfaktor, hierherzukommen», sagt Rashford.
Im Alter von 27 Jahren wollte er unbedingt nach Barcelona – und nur nach Barcelona. «Meine Entscheidung war einfach», sagt er. Dass er bloss als Back-up für das etablierte Angriffsquartett aus Lamine Yamal, Raphinha, Robert Lewandowski und Dani Olmo beginnt, stört ihn erst mal wenig; dass er nur dritte Option für die Planstelle war, stört ihn auch nicht. Spaniens Nationalstürmer Nico Williams, der sich zunächst angedient hatte, verlängerte dann doch für zehn Jahre bei Athletic Bilbao – nicht zuletzt wegen seiner Zweifel ob Barças klammer Finanzlage.
Am Geld scheiterte auch die Akquise von Liverpools Luis Díaz, der stattdessen für 75 Millionen Euro zum FC Bayern wechselte. Rashford hingegen kommt gratis und akzeptierte einen Gehaltsabschlag von 25 Prozent gegenüber seinem Salär in Manchester. Gefallen sich beide Seiten, kann ihn Barça nächsten Sommer für festgeschriebene 30 Millionen Euro erwerben.
Rashford kommt zu einem Klub im üblichen Institutionschaos, der sein Saisoneröffnungsspiel um den Gamper-Pokal am nächsten Sonntag im kleinen Zweitstadion austragen muss, weil die Grossbaustelle Camp Nou auch ein Jahr nach dem ursprünglich anvisierten Einzugstermin noch nicht wieder minimale Sicherheitsansprüche erfüllt.
Aber er kommt auch in ein Team voller Talent, das sich verschworen hat, den in der zum Teil rauschhaften Vorsaison verpassten Champions-League-Titel nachzuholen. Für Rashford bedeutet das eine willkommene Ironie: Wenn man so will, bekommt er einen Karriereknick mit einem Upgrade veredelt.
Rashford, auch das macht dieses Leihgeschäft so spannend, war eigentlich einmal auserkoren, die Galionsfigur des zeitgenössischen englischen Fussballs zu werden – mindestens aber die von Manchester United. Dynamisch, dribbelstark, vielseitig (wenngleich am liebsten auf Linksaussen), mit imposanter Athletik und brillanter Schusstechnik: Das jüngste von fünf Kindern einer alleinerziehenden Mutter aus einem Arbeiterviertel von Manchester galt als bestes Produkt des hauseigenen Nachwuchses seit der Generation Beckham.
Mit seinem Charisma wurde er auch über die Stadtgrenzen hinaus schnell zur Ikone: So kopierten zahlreiche Fussballer, selbst Tennisstar Novak Djokovic und zuletzt auch schon das Barça-Wunderkind Yamal seinen Torjubel, aufrecht stillzustehen und dabei den Zeigefinger an die Schläfe zu halten.
Zu Rashfords besten Zeiten wussten die Kritiker kaum, was sie mehr von den Sitzen riss: der Fussballer, der bei United wenigstens mal Lichtkegel durch die Düsternis seit dem Abgang des legendären Trainers Alex Ferguson schickte. Oder der empathische, vielfach gewürdigte Ordensträger des britischen Empires und Ehrendoktor der Universität Manchester.
Rashford verteilte im Rahmen einer selbst initiierten Kampagne Hunderte Essens- und Kleidungspakete an Obdachlose; er gab den Juror bei einem Gedichtwettbewerb von Gehörlosen und lernte ihre Sprache; er organisierte das Verteilen von Büchern an Kinder aus prekären Verhältnissen und wurde darüber selbst Schriftsteller: Für «You are a champion» erhielt er den British Book Award.
Geradezu zum gesellschaftlichen Machtfaktor wurde er während der Corona-Pandemie. Rashford («Ich weiss, wie sich Hunger anfühlt») half, Spenden über 20 Millionen Pfund einzusammeln, damit bedürftige Kinder einen Ersatz für das Schulmittagessen bekamen, und lobbyierte erfolgreich dafür, dass die Politik das Programm weiterführte.
Der damalige Premierminister Boris Johnson lobte Rashford als «effizienter» bei der Regierungskontrolle als die parlamentarische Opposition. Die «Sunday Times» setzte ihn auf Platz eins ihrer «Giving List» der grössten Philanthropen Britanniens.
Traurig, wie die Zeiten auch sind: Rashford wurde wegen seines Aktivismus zur besonderen Zielscheibe von Rassisten, als er im verlorenen Elfmeterschiessen des EM-Finals 2021 gegen Italien nur den Pfosten traf. Unterkriegen liess er sich davon allenfalls nur vorübergehend.
Die Saison 2022/23 machte er mit 30 Toren zur besten seiner Karriere. Seine Druckresistenz hoben Trainer immer wieder als eine seiner wichtigsten Eigenschaften hervor; der markante Torjubel soll genau diese mentale Stärke symbolisieren. Was Rashfords Karriere dann entgleisen liess, waren eher Eskapaden. So jedenfalls wurde es in seinem Verein dargestellt.
Gerügt als Spieler, der nicht das Maximum gibtSchon unter dem Trainer Erik ten Hag war er dafür bestraft worden, dass er trotz einer Derby-Niederlage seinen Geburtstag feiern ging, zu spät zu einer Teamsitzung kam oder sich nach einer Tequila-Sause in Belfast für ein Pokalspiel krankmeldete. Sein Nachfolger Rúben Amorim sprach dann nach weiteren Partygerüchten das Todesurteil: «Ich stelle eher Vital (den 63-jährigen Torwarttrainer, d. Red.) auf als einen Spieler, der nicht jeden Tag sein Maximum gibt.»
Der Botschafter Manchesters, das Kind des Vereins, in den er mit acht Jahren eingetreten war – all das war damit erledigt. Wie manche andere Spieler in der Post-Ferguson-Ära hinterlässt Rashford die Frage, ob es an ihm selbst lag oder an dem häufig als toxisch beschriebenen United dieser Jahre. Womöglich an beidem, weil ihn der Verfall eines Tabellen-Fünfzehnten schlicht etwas demotivierte.
In Katalonien kann er nun zeigen, wie weit ihn sein Talent trägt – nachdem eine halbjährige Ausleihe bei Aston Villa zuvor immerhin gut genug gelaufen ist, damit er nicht disqualifiziert wird. Bei Barça, wo sie sich als «més que un club» verstehen und damit nicht zuletzt ihr soziales Engagement meinen, freuen sie sich, einen verpflichtet zu haben, der mehr als ein Spieler ist.
Und verweisen für alles andere auf Flick, der als Inbegriff von Arbeitsethos gilt und in seiner ersten Saison schon Spieler wie Raphinha auf ein Level verhalf, das sie in Barcelona noch nie gesehen hatten. Wenn Rashford es dort nicht schafft, so der Eindruck, dann wird er es nirgendwo mehr schaffen.
An der Gabelung seiner Laufbahn wird er die Rückennummer 14 tragen, die Zahl des Vereinsheiligen Cruyff und auch die seines Vorbilds Thierry Henry. «Eine historische Nummer», freut sich Rashford, «alles in diesem Klub ist einzigartig.» Viel Geschichte umweht seine Ankunft. Jetzt muss er sie nur noch weiterschreiben.
nzz.ch