Manchester United vs. Tottenham im Europa-League-Finale: Cup der Verlierer

„Unsere Saison ist eine Enttäuschung“, seufzte Spurs-Coach Ange Postecoglou vor dem siegreichen Halbfinal-Rückspiel beim FK Bodö/Glimt (2:0, Hinspiel 3:1). „Aber wie oft wirst du schon in der Position sein, einen solchen Titel holen zu können?“ Naheliegende Antwort, die Postecoglou natürlich nicht aussprach: Hoffentlich nie mehr, schließlich wollen wir ja lieber in der Champions League spielen als in dieser komischen Europa League.
Bei Tottenhams Finalgegner am 21. Mai im Estadio de San Mames von Bilbao dürfte man kaum anders denken. „Die Champions League kann alles verändern“, erklärte United-Trainer Ruben Amorim vor kurzem in einer Presserunde. Fun Fact: Der Portugiese war eigentlich nach der Bedeutung des Europa-League-Titels gefragt worden. „Wenn man in der Champions League dabei ist, hat man ein anderes Budget, um für die folgende Saison eine bessere Mannschaft aufzustellen“, erklärte Amorim gnadenlos ehrlich – als hätte er den Begriff „Europa League“ gar nicht wahrgenommen.
Die Regel ist hinlänglich bekannt: Wer die Europa League gewinnt, bekommt automatisch ein CL-Ticket für die folgende Saison – unabhängig von der Platzierung in der nationalen Liga. Arséne Wenger würde diesen Mechanismus am liebsten abschaffen: „[Die Europa-League-Gewinner] sollten sich automatisch wieder für die Europa League qualifizieren, aber nicht unbedingt für die Champions League“, bemängelte der „Direktor für globale Fußballförderung“ beim Weltverband FIFA, „vor allem dann nicht, wenn sie in der Premier League spielen, wo sich bereits fünf Teams qualifizieren können.“
Zur Erklärung: Durch das starke Gesamtabschneiden der englischen Klubs in der laufenden Europacup-Saison bekommt die Premier League für die kommende CL-Spielzeit einen zusätzlichen fünften Startplatz. Durch das Europa-League-Finale zwischen Tottenham und United kommt nun noch ein sechster hinzu. „Ich denke, das ist etwas, worüber die UEFA nachdenken und es überprüfen sollte“, mahnte Wenger. „Andererseits wird man sagen, dass man [dem Europa-League-Gewinner] diese Belohnung in Aussicht stellen muss, um den Fokus, das Interesse und die Motivation in diesem Wettbewerb aufrecht zu halten.“ Traurig. Aber wahr.
„Diese Regel gibt es schon länger, deshalb wundert mich die Kritik daran“, konterte Postecoglou den Zwischenruf des ehemaligen Arsenal-Trainers Wenger mit grimmiger Miene. „So ist das eben bei den Spurs: Wir sind immer ein Gesprächsthema, das die Leute in Wallung bringt, und genau das liebe ich an uns.“ Nun plant Postecoglou den ultimativen Affront: „Wenn unser Gewinn der Europa League für Unmut sorgen sollte, freut mich das umso mehr.“

Die eigentliche Geschichte der Europa-League-Saison 2024/25 aber schrieben andere, Klubs aus der zweiten und dritten Reihe: Da war zum Beispiel Athletic Bilbaos großer Traum vom Finale in der heimischen Fußball-Kathedrale, der erst in der tragischen 0:3-Heimpleite im Halbfinal-Hinspiel gegen United sein Ende fand (Rückspiel 1:4). Oder der historische Husarenritt des kleinen FK Bodö/Glimt, der die Schwarz-Gelben u.a. über Porto, Belgrad, Tel Aviv, Enschede, Piräus und Rom führte – bis in ein europäisches Semifinale. Ein Sensationscoup, den kein norwegischer Klub zuvor bewerkstelligt hatte.
Statt Athletic und Bodö/Glimt werden wir im Endspiel nun zwei (gefallene) Giganten aus England sehen, denen der Gewinn der Europa League augenscheinlich so viel bedeutet wie ein Trostpreis an der Kirmes-Losbude. Tottenham und United spielen in Bilbao nicht um den früheren UEFA-Pokal, den schon Franz Beckenbauer in den 90ern als „Cup der Verlierer“ verunglimpfte, sondern um die Champions-League-Millionen.
Verbindlichkeiten von fast einer Milliarde EuroDiesen Jackpot haben beide Klubs in der laufenden Premier-League-Saison vorzeitig und krachend verpasst: United belegt drei Spieltage vor Schluss nur Rang 15, die Spurs liegen sogar noch einen Platz dahinter. Insbesondere der Megaklub aus Manchester braucht die Königsklassen-Kohle jedoch wie einen Bissen Brot. Der einstige Abonnement-Meister der Premier League steht sportlich und ökonomisch so schwach da wie selten zuvor in seiner 147-jährigen Geschichte. Der Stand der Verbindlichkeiten betrug Ende 2024 fast eine Milliarde (!) Euro – Tendenz: stetig steigend.
Durch einen Sieg im Finale von Bilbao könnte ManUnited mindestens 120 Millionen einspielen, wie die BBC ausgerechnet hat. Der Betrag setzt sich zusammen aus der Prämie für den Europa-League-Titel, vor allem aber aus Antritts- und Punkteprämien für die kommende Champions-League-Saison sowie aus fälligen Boni von Sponsoren. Geld, Geld und nochmals Geld, das bei den englischen Großklubs traditionell durch den Schornstein gefeuert wird.
United-Trainer Amorim hat für den Fall des Europa-League-Gewinns bereits eine beherzte Sommer-Transferoffensive eingefordert. Nach dem jüngsten 3:4 in der Meisterschaft beim FC Brentford, wo der Portugiese den zweiten Anzug auf Strapazierfähigkeit testete, klagte er publikumswirksam: „Wir sind einfach noch nicht so weit, dass wir in der Premier League wettbewerbsfähig sein und gleichzeitig in der Champions League spielen können. Das ist wirklich ein Dilemma.“
Die zweitklassige Europa League hingegen kann ein Tabellen-15. oder 16. aus England mal eben im Vorbeigehen gewinnen. Die Frage lautet nur noch: Wer zieht das große Los? Die Spurs, die in den zurückliegenden Jahrzehnten noch fast jede Titelchance zielsicher verspielt haben? Oder das historisch erfolgsverwöhnte United? „Wir müssen gewinnen“, betont Amorim, „wir müssen kämpfen, um diese Trophäe zu holen und damit in die Champions League einzuziehen.“
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