Letzte Ruhe am Berg – warum der Leichnam von Laura Dahlmeier nicht geborgen wurde


Laura Dahlmeier ist tot, ihr Leichnam liegt in 5700 Metern Höhe am Laila Peak in Pakistan. Die Deutsche wusste, dass das Bergsteigen Risiken birgt, und sie hat sich auch Gedanken über den schlimmsten Fall gemacht. Es war ihr ausdrücklicher und niedergeschriebener Wille, dass niemand sein Leben für eine Bergung riskieren darf.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
«Ihr Wunsch war es, ihren Leichnam in diesem Fall am Berg zurückzulassen. Dies ist auch im Sinne der Angehörigen, die ausserdem ausdrücklich darum bitten, Lauras letzten Wunsch zu respektieren», hiess es in einer Mitteilung an die Medien. Doch dann waren die Nachrichten aus Pakistan uneinheitlich.
Erst hiess es, der Leichnam der am Montag durch einen Steinschlag verunglückten zweifachen Olympiasiegerin könne nicht geborgen werden. Unter den derzeit schwierigen Bedingungen mit Steinschlag und einem Wetterumschwung am Laila Peak sei eine Bergung zu riskant. Doch dann machten Meldungen die Runde, wonach die pakistanischen Behörden darauf bestehen würden, den Leichnam vom Berg zu holen.
Zu viele Leichen schaden dem ImageIn Pakistan gibt es eine solche Verpflichtung jedoch nicht. Stirbt ein Bergsteiger am Berg, kann sein Leichnam dort bleiben. Dagegen sind in Nepal Expeditionsveranstalter verpflichtet, tote Teilnehmer oder auch Sherpas und Hochträger vom Berg zu holen. De facto besteht diese Verpflichtung aber auch dort nur auf dem Papier. Gefährdet die Bergung Menschenleben, wird sie ausgesetzt.
In früheren Jahren war es üblich, dass Expeditionen die Toten in einen Schlafsack packten und zum Beispiel in Gletscherspalten versenkten, um sie zu bestatten. Waren Bergsteiger allein unterwegs, wie zum Beispiel George Mallory und Andrew Irvine 1924 bei ihrem Versuch, den Gipfel des Mount Everest von der Nordseite zu erreichen, dann blieben sie im Todesfall am Berg zurück.
Erst 2001 entdeckte eine internationale Forschungsexpedition in 8440 Metern Höhe den Leichnam von George Mallory. Und im vergangenen Herbst stiess eine amerikanische Expedition auf einen alten Lederstiefel, darin ein Fuss samt Kniestrumpf, auf den ein Etikett mit der gestickten Aufschrift «A. C. Irvine» aufgenäht war.
Warum Nepal hier zumindest auf dem Papier strenger geworden ist? Das liegt unter anderem an zu viel Berichterstattung über die negativen Seiten der Achttausender-Expeditionen. Dazu gehören die Toten am Rand der Aufstiegsrouten – thematisiert in Artikeln mit Überschriften wie «Tot, gefroren, auf dem Gipfel zurückgelassen» oder «Die tödliche Geografie des Mount Everest». Inklusive einer Karte des Berges, auf der die Toten eingezeichnet sind.
Manchen von ihnen wurden sogar Namen gegeben. Der berühmteste Everest-Tote ist der mit den grünen Stiefeln. «Green Boots» diente früher als Orientierungsmarke auf der Route über den Nordsattel. Gemäss Berichten wurde er von einer chinesischen Expedition etwas abseits der Route deponiert.
Doch zu lange sollte es nicht mehr Praxis bleiben, Tote nicht vom Berg zu holen. In diesem Frühjahr starben fünf Menschen am höchsten Berg der Welt. Im vergangenen Jahr waren es neun. 2023 war die schlimmste Everest-Saison mit achtzehn Toten. Bei immer mehr Expeditionen und Teilnehmern, die versuchen, den Gipfel des Mount Everest zu erreichen, wird es irgendwann allzu makaber.
2019 hat die Regierung von Nepal zum ersten Mal eine Expedition auf den Weg gebracht, um Tote vom Berg zu holen. In diesem Frühjahr hat eine Militärexpedition weitere fünf Leichen und ein Skelett aus der sogenannten Todeszone oberhalb von 8000 Metern Höhe geborgen, darunter die Leichname eines tschechischen und eines amerikanischen Bergsteigers, die 2017 starben.
Bleibt die Frage, weshalb am Laila Peak nicht einfach ein Helikopter geschickt wurde, der Dahlmeier in etwa 5700 Metern Höhe aus der Wand holte? Eine organisierte Bergrettung wie in den Alpen gibt es in Pakistan nicht. «Da wartet niemand darauf, dass etwas passiert», sagt David Göttler, der Ende Juni den Gipfel des Nanga Parbat erreicht hat.
Deshalb bildete sich Anfang der Woche ein internationales Team von Bergsteigern, um Dahlmeiers Leiche zu bergen. Das erwies sich jedoch als zu riskant. Rettungsflüge unternimmt in Pakistan das Militär. Bis alle Formalitäten erledigt sind, vergehen normalerweise mehrere Tage, ehe ein Helikopter sich auf den Weg macht. Zudem verzögert das Wetter oft solche Flüge.
Dass im Fall von Laura Dahlmeier schon am Morgen nach dem Unglück ein Heli startete, ist für Pakistan ungewöhnlich schnell. Zum Vergleich: Der polnische Höhenbergsteiger Waldemar Kowalewski wurde am 11. Juli am Broad Peak von einer Lawine mitgerissen und verletzte sich schwer am Bein. Ein Bergsteigerteam brachte ihn ins Basislager. Erst eine Woche nach dem Unfall wurde er mit einem Helikopter von dort in eine Klinik in der Provinzhauptstadt Skardu gebracht.
Eine Woche auf die Retter gewartetZudem hat die Rettung aus der Luft in Pakistan Grenzen. Eine Windenrettung ist bei den schweren Helikoptern, die das pakistanische Militär im Einsatz hat, nicht vorgesehen. Und auch Taubergungen sind nur möglich, wenn der in Not geratene Bergsteiger noch selbst handeln kann.
Wie Alexander Gukov vom Nordgrat des Latok I. Der Russe war im Juli 2018 gemeinsam mit Sergey Glazunov an dem 7145 Meter hohen Berg unterwegs. Glazunov stürzte ab. Gukov hatte allein keine Chance, weiter abzusteigen. Er wurde eine Woche nach Glazunovs Tod mit einer spektakulären Helikopterbergung gerettet.
Der slowenische Bergsteiger Tomaž Humar wurde 2005 mithilfe eines Helikopters aus der Rupal-Wand am Nanga Parbat befreit. Sechs Tage lang sass er in etwa 6000 Metern Höhe fest. Er hatte versucht, eine neue Route im Alleingang zu begehen. An einem Tau wurde er an den Fuss des Berges gebracht.
Laura Dahlmeier war laut Einschätzungen der Spezialisten nach dem Steinschlag sofort tot. Deshalb wäre nur eine hochriskante terrestrische Bergung möglich gewesen. Es war zweifellos sinnvoll, ihren letzten Willen zu respektieren.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
nzz.ch