Joël Mall spielt mit Servette um den Meistertitel. Der vielseitige Aargauer ist Zyperns Nationaltorhüter


Joël Mall sagte einmal: «Die dümmste Erfindung im Fussball ist der VAR.» Ein anderes Mal sagte er: «Es ist schwierig, nach diesem Spiel ein Fazit zu ziehen. Das kann der TV-Experte Beni Huggel im Studio, der den Match auf dem Sofa mit einem Käfeli und dem Notizblock geschaut hat.»
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Der Servette-Torhüter Mall ist einer jener Super-League-Spieler, die in der Deutschschweiz nach Partien am meisten vor der TV-Kamera zu sehen sind. Das liegt daran, dass es im Kader des Genfer Teams kaum andere Fussballer gibt, die Deutsch sprechen. Und vor allem daran, dass Mall authentisch spricht und keiner ist, der Phrasen drischt. Kürzlich konnte man sich von seinen kommunikativen Qualitäten auch im «Sportpanorama» des SRF überzeugen, als er dort zu Gast war.
Der 34-Jährige ragt heraus, und das nicht nur, weil er mit fast zwei Metern einer der grössten Spieler in der Geschichte der Schweizer Fussballliga ist. Er sagt, er könne nicht anders, als direkt und offen zu reden. «Selbst wenn ich manchmal denke, dass es vielleicht besser gewesen wäre, etwas nicht zu sagen.»
Auf und Ab auch in Zypern, wo Mall bei vier Klubs spielteJoël Mall entspricht nicht dem Klischee des oberflächlichen Fussballers. Und wenn er sagt, er finde in einer Kabine selten mehr als einen oder zwei Mitspieler, mit denen er neben dem Fussball komplett auf einer Wellenlänge liege, meint er das keineswegs abschätzig. Er sagt: «Ich habe gelernt, damit umzugehen, dass ich für viele Menschen nicht der typische Fussballer bin. Aber ich komme mit allen Teamkollegen sehr gut klar. Und ich denke, dass ich einer Mannschaft mit meiner positiven Art viel geben kann.»
Malls Karriere verlief aussergewöhnlich: Nach dem Durchbruch bei seinem Herzensklub FC Aarau wechselte er zu GC. Dort hatte er zu wenig Geduld, ging zum Bundesliga-Absteiger Darmstadt, setzte sich nicht durch, zog 2018 nach Zypern zu einem Klub mit dem Namen Paphos FC. Vier Jahre später war er arbeitslos, bewarb sich in der Schweiz bereits bei Banken und Versicherungen, suchte parallel längere Zeit erfolglos einen neuen Klub, unterschrieb schliesslich ein weiteres Jahr in Zypern, wo er insgesamt bei vier Vereinen unter Vertrag stand.
Zweimal wurde Mall zum besten Torhüter der zypriotischen Liga gekürt, nach seiner Einbürgerung stieg er sogar zu Zyperns Nationalspieler auf. Mittlerweile hat Mall 15 Länderspiele absolviert, zuletzt im März.
Die Liste von Malls Ausbildungen unterstreicht seine vielschichtige Persönlichkeit. Nach der Matur studierte er Wirtschaft, Sportmarketing und -management, später erlangte er vom Europäischen Fussballverband (Uefa) ein Zertifikat in Fussballmanagement, bildete sich zum Mentaltrainer weiter, ist als Goalietrainer in der U 15 des FC Meyrin tätig und hat sich mit Themen wie Börse und Krypto beschäftigt. «Ich brauche das als Ausgleich für den Kopf und den Geist», sagt Mall.
In mehreren Podcasts hat er derart unterhaltsam über sich, seinen Werdegang und das Fussballgeschäft gesprochen, dass man sich fragt, weshalb er nicht selbst Host eines eigenen Formats ist. «Meine Interessen helfen mir, mit dem Wahnsinn, dem Druck und dem Adrenalin im Fussball besser zurechtzukommen», sagt er.
Bei Malls spektakulärer Biografie und seinem öffentlichen Auftreten könnte man einen zappeligen Menschen vermuten. Dabei ist Mall entspannt, im Gespräch beim Stade de Genève spricht er fast leise und sagt von sich, er sei als Bub introvertiert gewesen.
Und er findet, alle Entscheidungen in seiner Karriere, auch die auf den ersten Blick falschen, hätten ihre erfreulichen Seiten gehabt. In Darmstadt lernte er seine Frau kennen, mit der er zwei Kinder hat; heute arbeitet sie an der deutschen Schule in Genf als Lehrerin. Und in Zypern hat es ihm und seiner Familie trotz teilweise besonderen Strukturen sehr gefallen.
Der «unsägliche» Videobeweis nervt Mall allerdings immer noch gewaltig. Obwohl er kürzlich davon profitiert hat. Beim 2:1-Sieg Servettes im Heimspiel gegen Luzern wurde der späte Ausgleichstreffer des FCL nach Intervention des VAR überraschend aberkannt, nachdem Mall weit ausserhalb des Fünfmeterraumes den Ball hatte fallen lassen und dabei leicht von einem Gegenspieler touchiert worden war.
Danach sagte er, es sei ihm bewusst, dass nicht viele Spielleiter so entschieden hätten. Und er bezeichnete die Luzerner als «schlechte Verlierer», weil sie in den Katakomben mit ihm diskutiert hätten statt mit dem Schiedsrichter.
Mall ist kaum der beste und bestimmt nicht der modernste Goalie in der Super League. Die Aktionen des früheren Schweizer Nachwuchsnationalspielers sehen manchmal ungelenk aus, was auch seiner Grösse geschuldet ist. Doch dank seiner Ruhe, seiner Routine und den starken Reflexen ist er ein Stabilisator im Servette FC. Sein Trainer Thomas Häberli sagt, Mall sei mit seiner Energie ein Traum für ihn als Coach.
Im letzten Cup-Final führte er Servette zum TitelFür einen, der seine Karriere vor drei Jahren fast schon beendet hatte, ist die Entwicklung Malls aussergewöhnlich. 2023 wechselte er zu Servette, zunächst als Nummer 2 hinter dem Captain und der Identifikationsfigur Jérémy Frick. Unvergessen ist, wie der Elfmeterspezialist Mall im Cup-Final gegen Lugano vor einem Jahr in der 119. Minute eingewechselt wurde, in der 120. Minute beim Stand von 0:0 eine herausragende Parade zeigte und im Penaltyschiessen zum Helden avancierte, weil er die Versuche der Schweizer Nationalspieler Renato Steffen und Albian Hajdari abwehrte.
Auch in dieser Saison ist Mall bei Servette nicht die unumstrittene Nummer 1, der Konkurrent Frick fiel zuletzt aber verletzt aus. Und nun trifft der Tabellenzweite Servette am Sonntag zum Start der Championship Round auswärts auf den Leader FC Basel – mit einem Sieg könnte der Aussenseiter das Meisterrennen wieder spannend machen. «Wir waren vor ein paar Wochen Erster», sagt Mall. «Natürlich macht man sich Gedanken, was möglich sein könnte.»
Diese Aussage gilt auch für die Zeit nach seiner Karriere als Torhüter. Joël Mall, dessen Vater Uwe einer der besten Handballer der Schweiz war, ist in seinem Leben schon 14-mal umgezogen. Er bezeichnet sich als «Nomade» und wäre vor ein paar Jahren beinahe nach Australien gewechselt, weil er mutige Herausforderungen und andere Kulturen schätzt. Ein Haus gekauft hat er allerdings in der Heimat in Aarau. Er wirkt reif und reflektiert – und entscheidet doch erstaunlich gerne auch nach Gefühl. Nach der Zeit als Goalie, die noch ein paar Jahre dauern soll, dürften Mall viele Türen offen stehen.
Bestimmt würde der kluge Kommunikator auch in der Rolle des TV-Experten eine vorzügliche Figur abgeben.
nzz.ch