Im Sommer entliess der EV Zug drei Spieler aus laufenden Verträgen – es ist eine Radikalität, die man von diesem Standort nur aus der Steuerpolitik kennt


Der Sommer ist im Eishockey die Zeit des Vergessens. Die Probleme schmelzen mit den Gletschern einfach weg; und wenn der ganze Ärger kondensiert ist, melden sich die Klubs eilig mit den Formularen für die Saisonabonnemente, damit ab August neue Hoffnung spriessen kann: So funktionieren die Gezeiten in diesem Geschäft.
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In Zug aber haben sie anders gemacht. Der Sommer 2025 war einer der Veränderung. Und zwar in einer Radikalität, die man an diesem Standort maximal beim Kampf gegen Steuererhöhungen erlebt hat. Die teilweise befremdenden Auftritte im mit 0:4 verlorenen Play-off-Viertelfinal gegen Davos erschütterten den Klub offenkundig nachhaltig. Der EVZ hatte im März ein beklagenswertes Bild abgegeben, es fehlte ihm an Disziplin und Stil.
«Es ist inakzeptabel, eine Saison einfach wegzuwerfen. Und das haben wir getan. Wir gaben einfach auf. Ich kann und will mir das nicht leisten», sagt der Torhüter Leonardo Genoni. Seine Miene verfinstert sich, wenn er in diesen Erinnerungen kramt. Genoni ist vor wenigen Tagen 38 geworden. Ein junger Mann, gesellschaftlich gesehen. Aber was den Spitzensport angeht schon kurz vor der Einweisung ins Pflegeheim. Genoni war sieben Mal Meister, Rekord, er würde seine üppige Trophäensammlung gerne erweitern. Und weiss, dass ihm dafür nicht mehr viel Zeit bleibt. Genoni erzählt, dass es über den Sommer viele Gespräche gegeben habe, auch mannschaftsintern.
Ein Trio wurde aussortiert – und durch Hochkaräter ersetztIn diesen Diskussionsrunden nicht mehr dabei waren die schwedischen Nationalspieler Gabriel Carlsson, Niklas Hansson und Fredrik Olofsson. Der Klub verabschiedete sie aus laufenden Verträgen heraus, immer mit Kostenfolge. Es waren fast so einschneidende Massnahmen wie 2001, als die «Viererbande» mit Dino Kessler, Patrick Sutter, André Rötheli und André Künzi als Unruhestifter gebrandmarkt und aussortiert wurde. Damals wie heute wollte der Klub so signalisieren, dass Mittelmass nicht toleriert wird. Dass andere Standards gelten.
Seit der Milliardär Hans-Peter Strebel 2015 Präsident und Klubbesitzer wurde, ist Zug nicht für Aktionismus bekannt. Strebels Bestreben ist es, seine im von ihm finanzierten Leistungssportzentrum Oym verwirklichte Vision von ganzheitlichem, langfristigen Denken auch im hyperemotionalen Tagesgeschäft des Profi-Eishockeys zu implementieren. Bisher hat das ganz gut funktioniert: Es gab in seiner Ära zwei Meistertitel und null Trainerentlassungen.
Aber auch der EVZ kann sich dem Wellengang dieses Geschäfts nicht einfach verschliessen. Zu gross war der Unmut im Umfeld – die Meistertitel von 2021 und 2022 haben Begehrlichkeiten geweckt und Erwartungen geschürt. Im April erklärte sich der CEO Patrick Lengwiler in epischer Länge auf der Klubwebseite über 17 000 Zeichen. Seine Einlassungen waren der Vorbote für den stürmischen Transfersommer. Bei den Nachfolgern für das schwedische Trio bediente Zug sich mit dem Torschützenkönig Dominik Kubalik (Ambri), dem langjährigen NHL-Profi Tomas Tatar (New Jersey Devils) sowie dem tschechischen Nationalverteidiger David Sklenicka (Lausanne) im obersten Regal. Und liess sich diese Premiumtransfers etwas kosten.
Vieles muss neu sein in Zug, besser, teurer. Aber beim Trainer sagten sich die Verantwortlichen: Jetzt befördern wir einmal den Assistenten. Er heisst Michael Liniger, ein junger Schweizer, der als Coach die gleichen Werte zu verkörpern scheint wie schon als Spieler: Bescheidenheit, Seriosität, Kompetenz. Es ist seine erste Stelle als Cheftrainer in der National League, seine Berufung ist auch: Ein Wagnis. Liniger ist der erste einheimische EVZ-Trainer seit 1991.
Es ist nicht so einfach, sich nach zwei Jahren als Assistent von einem der profiliertesten Trainer Europas zu emanzipieren. Und das ist Dan Tangnes, Linigers ehemaliger Chef, der zweifache Meistercoach, der aus familiären Gründen zurück nach Schweden zog. Als Assistent hatte Liniger 2023 die Klubikone Josh Holden ersetzt, die damals als Trainer des HC Davos eingesetzt wurde. Holden verrichtet beim Rekordmeister exzellente Arbeit, seine Entwicklung bekräftigte die Zuger Chefetage darin, mit Liniger einen Tangnes-Zögling zu ernennen.
Dan Tangnes ist im EV Zug Geschichte – aber im Werbespot grüsst noch immer er vom VideowürfelBeim Saisonauftakt am Dienstag gegen Bern zeigte sich, wie lang der Schatten des Vorgängers ist: Der Sponsor Novartis liess wieder und wieder einen Werbespot auf den Videowürfel projizieren, in dem sich das Pharmaunternehmen für seine «Innovation» selbst auf die Schulter klopft. Prominent darin zu sehen ist Tangnes, obwohl der 1050 Kilometer entfernt vermutlich gerade seinen Hund spazieren führte. Ob Liniger das bemerkte, ob es ihn störte? «Ich habe andere Sorgen», sagte der Emmentaler lächelnd.
Liniger weiss, wie wichtig ein guter Start ist. Zug braucht Ruhe, nachdem seit März einiges auf den Verein eingeprasselt ist. Dauerthemen sind das Oym, das hohe Kosten verursacht und die Frauenequipe, um die sich teilweise der Irrglaube festgesetzt hat, dass sie der Grund für die Baisse bei den Männern sei – schon nur aus finanziellen Gründen. Der CEO Lengwiler hat recht deutlich bekräftigt, dass das nicht stimmt; dank einem Zuschauerschnitt von über 1000 Besuchern ist das semiprofessionelle Frauenteam selbsttragend. Und eben: Es ist semiprofessionell. Für das Salär der Nationalstürmerin Lara Stalder, dem Zuger Aushängeschild, würde sich ein Spieler des Formats von Kubalik nicht einmal die Schlittschuhe binden.
Es sind Irritationen, wie es sie in der Stunde des Misserfolgs überall gibt; in einer Zeit, in der steile Thesen Hochkonjunktur haben, weil sich die schmählichsten Niederlagen mit einfachen Antworten ein bisschen besser ertragen lassen. Aber der EVZ muss aufpassen, dass sich diese Narrative nicht verselbstständigen. Am Dienstag blieben fast 700 Plätze leer, trotz attraktiver Affiche, 174 Tagen Pause und Sehnsucht auf den Saisonstart. Das muss ein alarmierendes Zeichen für einen Verein sein, der gerade dabei ist, sein Stadion um 1300 Plätze auf eine Kapazität von 9000 zu erweitern.
Immerhin: Der 3:0-Sieg zum Auftakt gegen einen mut- und ideenlosen SCB wird helfen, die angespannten Nerven im Umfeld etwas zu beruhigen. Die Perspektiven stimmen ohnehin: Die Zuger leisten sich eine hochkarätige Mannschaft, die zu den Titelfavoriten gehört. Wenn Leonardo Genoni seine Vorderleute zur Räson zu bringen vermag, wird mit diesem Team zu rechnen sein.
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