Die Fifa will sich gegen Kritik immun machen

Der Fussball-Weltverband will gegen Diskriminierung vorgehen – aber offenbar auch gegen Kritik an sich selbst. Diese könnte bald Konsequenzen haben.
Stefan Osterhaus, Berlin
Daniele Mascolo / Reuters
Ein Fussballstadion ist ein Ort der Emotionen. Es gehört zum Wesen eines solchen Ortes, dass es hoch hergeht, und manchmal verlassen manche Äusserungen den Rahmen dessen, was auch mit viel Wohlwollen vertretbar ist. In einem Stadion wird beleidigt, was das Zeug hält, der Gegner wird geschmäht, wie die eigene Mannschaft gefeiert wird.
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Immer wieder allerdings werden Grenzen überschritten, werden Fussballer auf eine Weise beschimpft, die nicht hinnehmbar ist. Etliche schwarze Spieler können von rassistischen Beleidigungen berichten, auch Antisemitismus ist in den Fankurven nicht selten. Im Grunde also ist es ein nobles Unterfangen, wenn sich die Fifa, der wohl einflussreichste Sportverband der Welt, dieses Missstandes annimmt und solche Verstösse künftig entschieden bestrafen will.
Der Hintergrund ist ein andererNur hat die Sache offenbar einen ganz anderen Hintergrund, wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtet. Anscheinend will der Weltverband, um dessen öffentliche Reputation es schon lange nicht mehr zum Besten steht, sich Kritik vom Leib halten. Denn der Artikel 15 des Fifa-Disziplinarkodexes («Diskriminierung und rassistische Beleidigung») ist ein Gummiparagraf: Zur Rechenschaft zu ziehen seien demnach Personen, «die die Würde oder Integrität eines Landes, einer Person oder einer Gruppe von Menschen durch verächtliche, diskriminierende oder herabwürdigende Worte oder Handlungen» verletzten.
Dabei soll es nicht nur um rassistische oder sexistische Schmähungen gehen. Laut Satzung kann die Fifa auch «politische oder sonstige Meinungen» mit Sanktionen belegen, genauso wie solche, die sich auf die wirtschaftliche Situation beziehen («Vermögen»), sofern es nach Ansicht der Regelwächter einen Verstoss darstellt. Auch bei den möglichen Sanktionen zeigt sich der Weltverband nicht von der kleinlichen Seite: Ein Minimum von zehn Spielen Sperre ist vorgesehen. Das ist zumindest der gegenwärtige Stand. Allerdings möchte die Fifa noch viel weiter gehen. Bis zu fünf Millionen Franken Busse stellt sich der Weltverband bei Verstössen vor.
Es träfe Spieler wie Fans. Ungewiss ist, was dies für Gesänge wie den Fankurven-Klassiker «Scheiss-Millionäre» bedeutet. Aber es bedarf keiner allzu grossen Phantasie, sich auszumalen, dass auch Funktionäre, die mit dem Adjektiv «umstritten» äusserst freundlich umschrieben wären, von einer solchen Regelung profitieren würden.
Zwar kann die in der «Süddeutschen Zeitung» formulierte Frage, ob die Fifa noch kritisiert werden dürfe, mit einem klaren Ja beantwortet werden. Berechtigt ist sie dennoch, denn es geht da längst nicht nur um die Fifa-Wettbewerbe. Auch die Nationalverbände müssen dies umsetzen. Und zwar nicht nur im Profifussball, sondern bis hin zu den Amateuren, auch bei den Senioren.
Der Anlass wirkt vorgeschobenEin solches Begehren wirft Fragen auf. Im Prinzip, so hat es den Anschein, möchte sich die Fifa damit eine Art Generalklausel schaffen. Der hehre Vorwand wirkt vorgeschoben. Wer sich Diskussionen um sogenannte Hassrede anschaut, der erkennt ein Muster: Hier wird versucht, einen ausserrechtlichen Tatbestand zu konstruieren, mit dessen Hilfe sich dann auf recht bequeme Weise Sanktionen verhängen liessen. Die Durchsetzung wäre für die Fifa eine Immunisierungskur.
Der Auslegungsspielraum ist bei solch wachsweichen Formulierungen extrem gross. Zum anderen ist das Potenzial einer Kollision mit der in vielen Staaten verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit programmiert. Insofern ist es nur verständlich, dass etliche Sportverbände ihre Mühe mit der Umsetzung dieses Ansinnens haben. Im Zweifel bedeutet es für die Nationalverbände erheblich mehr Ärger als zuvor – und auch die Fifa hat ihren Ruf mit diesem Vorhaben gewiss nicht aufpoliert.
nzz.ch