Bitte nachmachen! Plötzlich soll sich der Männerfussball an den Frauen orientieren


Georgios Kefalas / Keystone
Das Fest ist vorbei, zurück bleibt der bittersüsse Mix aus Abschiedsschmerz und Erinnerungen. Die Frauen-EM war eine Gefühlsbombe – umso mehr, als wir vor der Haustür nie wieder einen derartigen Anlass erleben werden. Auch der Frauenfussball ist den hiesigen Verhältnissen entwachsen, er wird sich in Zukunft grössere Stadien suchen.
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Das EM-Finalwochenende fiel mit dem Start der neuen Super-League-Saison der Männer zusammen. Zwei Tage nachdem Spanien Deutschland im Halbfinal im Letzigrund niedergerungen hatte, verlor der FC Zürich gleichenorts gegen Sitten. Danach brannten auf einem Tramhäuschen Abfallcontainer, bei einem weiteren Zwischenfall setzte die Polizei Gummischrot gegen FCZ-Anhänger ein. Der Gegenschnitt zu den bunten EM-Fanmärschen war schmerzhaft, die Empörung gross.
Muss nicht sein, wollen wir nicht, dachten sich neben vielen anderen auch sieben Sicherheitsdirektorinnen um die Baslerin Stephanie Eymann. Sie formulierten in einem Brief an den Schweizerischen Fussballverband und die Swiss Football League den Wunsch, nein, die Forderung, dass «künftig der Fussball der Männer in der Schweiz das fröhliche und friedliche Kräftemessen der Frauen nachahmen muss».
Nun hat die EM tatsächlich auf faszinierende Weise gezeigt, wie anders Fussball und seine Rituale interpretiert werden können. Es war schön! Es war berührend! Es hätte ewig so weitergehen können. Doch dass die Ligafans künftig die EM-Fans nachmachen, ist leider völlig illusorisch. Sie haben mit den Nati-Anhängern etwa so viel zu tun wie Opernliebhaber mit Metalheads.
Ist es nicht ein bisschen seltsam? Nachdem der Frauenfussball nun jahrelang zu Recht darauf gepocht hat, nicht mit dem Männer-Pendant verglichen zu werden, schmeisst man jetzt fröhlich und friedlich alle in einen Topf: junge männliche Kurvengängr, die allwöchentlich in der Gruppe die eigene Stärke erproben und dabei Grenzen weit überschreiten. Und Eventfans, die sich als Käse verkleiden.
Das mag zugespitzt sein: Aber wer sich nur ansatzweise mit Fankultur befasst hat, weiss, dass Anhängerinnen und Anhänger von Nationalteams eine völlig andere Gesellschaftsschicht abbilden. Auch an der Männer-EM 2008 in der Schweiz und Österreich gab es keine brennenden Container.
Die Frauenfussball-EM hat archaische Männlichkeitsrituale im Klubfussball nicht entlarvt, wir kennen sie längst. Aber sie hat diese noch schwerer erträglich gemacht. Doch die Probleme werden auch in Zukunft nicht mit Appellen gemildert, sondern durch mühseliges Ringen um Verbesserungen mit ständigen Rückschlägen.
Schwelgen wir in Erinnerungen an den Fanmarsch in Bern, schauen wir uns zum hundertsten Mal das Tor von Riola Xhemaili gegen Finnland an. Seien wir traurig, dass es vorbei ist, und froh, dass es schöner war als in den kühnsten Träumen. Aber Flower-Power für Ultras? Vergessen wir es.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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