Lost Place in der Toskana: Das Horror-Sanatorium von Volterra

Eingebettet in die sanfte Hügellandschaft der Toskana liegt ein Ort, der kaum malerischer sein könnte: Volterra. Mittelalterliche Gassen, Alabaster-Statuen und ein römisches Theater gehören zu den Sehenswürdigkeiten der kleinen Stadt südwestlich von Florenz. Doch Volterra hat eine dunkle Vergangenheit: Auf einem Hügel unweit der Altstadt stand Italiens größte Psychiatrie, in der schreckliche Dinge passierten.

Die mittelalterliche Stadt Volterra in der Toskana.
Quelle: IMAGO/Depositphotos
Das Ospedale Psichiatrico wurde 1888 in der Nähe des Klosters San Girolamo als Station für sogenannte Geisteskranke gegründet. In den ersten Jahren waren es nur an die 100 Patientinnen und Patienten, im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden jedoch Tausende hier untergebracht – viele gegen ihren Willen. Die Zustände wurden schnell katastrophal: Isolation, Überbelegung, fehlende medizinische Betreuung.
Für viele Menschen bedeutete das Leben hinter den Mauern nicht Heilung, sondern Ausgrenzung und Leid. „Wer nach Volterra geht, kommt nie wieder“, hieß es über die Psychiatrie. Bei den damaligen Behandlungsmethoden war das kein Wunder: Bis 1978 zählten Elektroschocks, Isolationszellen, Zwangsfixierung und Eisbäder zum Alltag in den Kliniken.

Der ehemalige Waschraum der Klinik.
Quelle: IMAGO/Dreamstime
Auch die Lobotomie, eine Gehirnoperation, gehörte zum Behandlungsrepertoire. Mit ihrer Hilfe sollten die Patientinnen und Patienten von ihren Wahnvorstellungen befreit werden. Doch das Durchtrennen der Hirnnerven führte nur dazu, dass sie apathisch und emotionslos wurden oder an den Folgen der Operation starben.
In den 1950er-Jahren wurde Volterras Heilanstalt zur größten des Landes: Insgesamt 20 Gebäude wurden für die Unterbringung von Menschen errichtet, außerdem Einrichtungen wie eine Wäscherei, Werkstatt und Bäckerei. Für den Bau der neuen Gebäude wurden auch Patientinnen und Patienten eingesetzt – als Beschäftigungstherapie.
1958 kam Fernando Oreste Nannetti nach Volterra, die Diagnose des 31-Jährigen lautete Schizophrenie. Im Innenhof des Ferri-Gebäudes, in dem er die meiste Zeit untergebracht war, ritzte „NOF4“, wie er sich selbst nannte, mit der Schnalle seines Gürtels unermüdlich eine Botschaft in die Mauern: Wörter, Zeichen und Bilder, die von fernen Galaxien und atomaren Bedrohungen erzählen.

Die eingeritzten Zeichen des Patienten Fernando Oreste Nannetti in einer Wand des Ferri-Hauses.
Quelle: IMAGO/Dreamstime
Heute gelten die Graffiti auf der 180 Meter langen und zwei Meter hohen Mauer als Kunst. Einem der Krankenpfleger ist es zu verdanken, dass ein Bildhauer darauf aufmerksam wurde und Nannetti überzeugte, sein Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Teile der Mauer sind heute im Art-Brut-Museum im schweizerischen Lausanne ausgestellt.

Heute ist die Klinik ein Lost Place.
Quelle: IMAGO/Depositphotos
In den 1970er-Jahren fand schließlich ein Umdenken im Umgang mit psychisch kranken Menschen statt: Der Psychiater Franco Basaglia wollte Zwangseinweisungen abschaffen und die menschenunwürdigen Zustände in den Psychiatrien beenden. Er hatte Erfolg: 1978 wurde in Italien ein Gesetz erlassen, das allgemein als „Basaglia-Reform“ bekannt ist. In der Folge mussten alle psychiatrischen Anstalten schließen, die Patientinnen und Patienten bekamen ihre Freiheit zurück. Und auch Volterras dunkles Kapitel ging damit zu Ende.
Die ehemalige Psychiatrie liegt auf einem Hügel außerhalb des Stadtzentrums von Volterra, in der Viale ex Manicomio. Die Hauptgebäude befinden sich noch in ihrem verlassenen und zunehmend verfallenen Zustand – wegen Einsturzgefahr ist es seit einigen Jahren nicht mehr möglich, sie von innen zu besichtigen. Die modernisierten Nebengebäude werden hingegen vom örtlichen Krankenhaus genutzt.

Das verlassene Gebäude der Psychiatrie.
Quelle: IMAGO/Dreamstime
Um die unrühmliche Geschichte der Psychiatrie und die Schicksale der Patientinnen und Patienten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wurde das Projekt „Manicomio di Volterra“ (übersetzt: Das Irrenhaus von Volterra) ins Leben gerufen. Auf der Website sind Erinnerungen, Dokumente und Fotos zur Geschichte der Anstalt zusammengetragen. Eine Karte gibt Auskunft über die Lage der ehemaligen Gebäude, einige können virtuell erkundet werden.
Sonntags wird für 20 Euro pro Person auch eine Führung angeboten. Die Google-Bewertungen dazu fallen jedoch gemischt aus: Einige Besucherinnen und Besucher kritisieren, dass die Tour nur aus einem Vortrag und ausgedruckten Fotos bestehe. Das Innere der ehemaligen Psychiatrie, das den Reiz des Lost Place ausmacht, bekäme man aber nicht zu sehen.
In der Toskana gibt es noch einen weiteren lohnenswerten Lost Place mit einer düsteren Vergangenheit: die Villa Sbertoli in Pistoia. Das prächtige Gebäude befindet sich in der Via Collegigliato, das Eingangstor liegt in der Via Solitaria. Ursprünglich als Wohnsitz genutzt, wurde sie im 19. Jahrhundert erweitert und zu einer psychiatrischen Klinik für wohlhabende Patientinnen und Patienten umfunktioniert.

Die Eingangshalle der verlassenen Villa Sbertoli.
Quelle: IMAGO/Depositphotos
Nach dem Zweiten Weltkrieg kaufte die Provinz Pistoia das Anwesen und wandelte es in eine kommunale Psychiatrie um. Die Zustände waren kaum besser als in Volterra: Überbelegung, mangelnde Hygiene, schlechte Behandlungsmöglichkeiten und verfallende Räume. Auch sie wurde Mitte der 1980er-Jahre im Zuge der Psychiatriereform geschlossen – seitdem liegen die Villen verlassen da. Wer den Lost Place heute besichtigen möchte, braucht eine Genehmigung des lokalen Gesundheitsamts (Azienda Sanitaria Locale).
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