Rentenstreit über Beamte und Politiker: „Privilegien sind aus der Zeit gefallen“

Die SPD möchte zum Unmut der Union die Rentenkasse mit Pensionen aufbessern. Realistisch? Notwendig, sagt die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. Ein Gespräch.
Kaum im Amt, sorgt die neue Arbeitsministerin Bärbel Bas bereits für kontroverse Diskussionen: Mit dem Vorschlag, künftig auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, stößt sie eine grundlegende Reformdebatte an. Die Sozialdemokratin, die als mögliche Co-Vorsitzende ihrer Partei vorgeschlagen worden ist, weckt damit hohe Erwartungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Gleichzeitig bringt sie mit diesem Vorstoß Unruhe in die Regierungskoalition – insbesondere der Koalitionspartner Union zeigt sich wenig begeistert.
Die Christdemokraten favorisieren stattdessen die sogenannte Aktivrente, die es älteren Menschen ermöglichen soll, bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei hinzuzuverdienen. Unterstützung erhält Bas hingegen von Verena Bentele, der Präsidentin des Sozialverbands VdK. Die Berliner Zeitung hat mit ihr gesprochen.
Frau Bentele, Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas provoziert gerade damit, dass auch Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen könnten – der VdK fordert das schon lange. Glauben Sie, jetzt einen Schritt weiter zu sein?
Lassen Sie mich als Erstes Frau Bas zu ihrem mutigen Start beglückwünschen. Es ist schon lange notwendig, überkommene Privilegien zu hinterfragen. Es ist komplett aus der Zeit gefallen, dass sich Beamtinnen und Beamte sowie Politikerinnen und Politiker der solidarischen Rentenversicherung entziehen. Ich hoffe sehr, dass wir mit dem Vorstoß von Frau Bas einen Schritt vorankommen. Aber wir haben ja alle bereits den Gegenwind mitbekommen, den sie auf ihren Vorstoß bekommen hat.
Also rechnen Sie nicht mit einem echten politischen Willen in Berlin – oder scheitert eine solche Reform vielleicht auch daran, dass viele Politiker selbst Beamte sind oder Beamtenstatus genießen?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ein echter Wille für eine Reform fehlt und die Widerstände sehr groß sind. Für mich stehen bei der Debatte auch gar nicht die Mehreinnahmen im Vordergrund, sondern dass wir alle Erwerbstätigen gleich behandeln sollten. Die vielen Sondersysteme und Leistungen, die es für Beamtinnen und Beamte, für Politiker, aber auch für Privatversicherte gibt, sind aus der Zeit gefallen. Ich will also eine Gleichbehandlung aller Menschen, was ihre gesetzliche Alterssicherung, ihre Gesundheitsversorgung oder ihre Pflege angeht. Wer dann noch zusätzlich privat für Extraleistungen vorsorgen will und kann, der soll das tun. Aber eine gute Rente, Arzttermine und grundlegende Pflegeleistungen sollten allen gleichermaßen zustehen, und alle sollten auch Beiträge dafür zahlen.
Steuerzahler finanziert 1,7 Millionen Pensionäre mit 60 Milliarden EuroGegner der Reform warnen, die Einbeziehung der Beamten würde das Rentensystem kurzfristig sogar teurer machen. Ist das ein vorgeschobenes Argument, um Privilegien zu sichern?
Erst mal zu den Fakten: Der Steuerzahler finanziert heute 1,7 Millionen Pensionäre und deren Hinterbliebene mit 60 Milliarden Euro und 21 Millionen Rentner mit 80 Milliarden Euro. Kurzfristig würde das System auf keinen Fall teurer werden. Der Sachverständigenrat hat das in seinem Gutachten 2023/2024 durchgerechnet und geht bis in die 2070er-Jahre von positiven Einnahmeeffekten aus. Und heute schon drücken sich ja viele Bundesländer davor, für ihre Beamten Versorgungsrücklagen aufzubauen, oder holen sich da ständig Geld raus. Klar würden dann der Bund, die Länder und die Kommunen Rentenversicherungsbeiträge zahlen müssen. Aber wenn man endlich mal große Vermögen ordentlich besteuern würde, dann hätten wir da große Spielräume und könnten die Rentenkasse durchaus entlasten.
Nehmen wir mal an, es wird doch nicht ganz vom Tisch gewischt. Wie lange würde es brauchen, bis solch ein Kurswechsel vollzogen ist und alle in eine Kasse einzahlen?
Man müsste aus Gründen des Bestandsschutzes mit den neuen Beamten beginnen. Dann hätte man zwar zu Beginn durchaus positive Einnahmeeffekte, aber wenn diese Generation in Rente geht, müssten natürlich auch entsprechende Rentenansprüche bedient werden. Der Clou dabei ist aber, dass wir die kommenden 20 Jahre, in denen die Babyboomer in Rente gehen, Mehreinnahmen zu verzeichnen hätten.
Wie sieht es derzeit in der Realität aus, also im Vergleich, was erhalten Menschen aus der gesetzlichen Rentenkasse und Beamte aus der Pensionskasse?
Wenn wir uns in Deutschland anschauen, wie viel Menschen im Ruhestand bekommen, dann fällt ein klarer Unterschied auf – und zwar zwischen der gesetzlichen Rente und der Pension für Beamte. Im Durchschnitt erhalten Männer, die 45 Jahre lang Beiträge gezahlt haben, aktuell rund 1900 Euro brutto im Monat. Bei Frauen liegt der Wert niedriger – etwa bei 1560 Euro. Zusammen ergibt das einen Gesamtdurchschnitt von etwa 1800 Euro monatlich. Natürlich gibt es auch regionale Unterschiede: In Ostdeutschland zum Beispiel, also in Ländern wie Sachsen-Anhalt oder Thüringen, liegen die Renten im Schnitt etwas unter dem Bundesdurchschnitt – dort bekommt man etwa 1510 Euro brutto im Monat. Ganz anders sieht es bei den Pensionen für Beamte aus. Sie kommen direkt vom Staat und orientieren sich am letzten Gehalt. Dadurch fallen sie deutlich höher aus. Im Januar 2024 lag das durchschnittliche Ruhegehalt für Beamte bei etwa 3240 Euro brutto im Monat – also etwa doppelt so viel wie bei der gesetzlichen Rente. Bei solch gravierenden Unterschieden müssen wir politisch handeln.
Bentele rechnet vor: „Locker ein Rentenniveau von 50 Prozent finanzieren“Sprich: Wenn wir mehr Beitragszahler im System hätten, also auch Beamte und Selbstständige – könnten dann Rentner endlich von wirklichen Verbesserungen profitieren, statt sich von Rentenreform zu Rentenreform zu hangeln? Gibt es aus Ihrem Haus Berechnungen?Der Sachverständigenrat hat die positiven Einnahmeeffekte bis 2070 vorgerechnet. Wir als VdK haben zusätzlich Berechnungen angestellt, wie wir die Sozialversicherungen insgesamt entlasten könnten, wenn wir die gesamtgesellschaftlichen Leistungen bei Rente, Pflege und Gesundheit aus Steuermitteln finanzieren würden. In der Rente könnten wir damit locker ein Rentenniveau von 50 Prozent finanzieren. Bei der Krankenversicherung wären die Entlastungen noch größer. Aber wir dürfen eins nicht vergessen: Die Rente wird immer noch zu drei Vierteln aus Beiträgen und damit aus den Löhnen der Versicherten finanziert.
Am vielversprechendsten sind also Maßnahmen zur Stärkung der Frauenerwerbstätigkeit, zur besseren Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt und von älteren Beschäftigten. Die Potenziale des Arbeitsmarktes und der Migration offensiv zu nutzen sowie qualitativ hochwertige Betreuungs- und Bildungsinfrastrukturen aufzubauen, bleiben zentrale Ansatzpunkte, um die demografisch bedingten Herausforderungen der gesetzlichen Rente zu bewältigen. Deshalb brauchen wir stärkere Anstrengungen, damit Frauen einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen können, damit Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden und gute Löhne auf dem Bau, in der Landwirtschaft und auch im Büro gezahlt werden.
Diese Ungleichbehandlung sorgt dafür, dass sich Menschen ausgegrenzt fühlen – vor allem dann, wenn sie selbst jahrzehntelang gearbeitet und eingezahlt haben.
Viele Bürger haben das Vertrauen in die Rentenpolitik verloren. Ist die Ausgrenzung bestimmter Gruppen Ihrer Meinung nach ein Grund dafür?
Ein Grund für das schwindende Vertrauen in die Rentenpolitik ist sicher das Gefühl von Ungerechtigkeit. Wenn bestimmte Gruppen wie etwa Beamte deutlich höhere Altersbezüge bekommen, obwohl sie nicht in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen, empfinden das viele als unfair. Diese Ungleichbehandlung sorgt dafür, dass sich Menschen ausgegrenzt fühlen – vor allem dann, wenn sie selbst jahrzehntelang gearbeitet und eingezahlt haben. Viele empfinden das als eine Art Zwei-Klassen-System, in dem einige abgesichert sind, während andere Angst vor Altersarmut haben müssen. Das kann auf Dauer das Vertrauen in das gesamte System untergraben. Aber auch die ständigen Rufe nach Kürzungen bei der Mütterrente, bei der Witwenrente oder der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren tragen dazu bei. Wir brauchen wieder eine positive Erzählung über die Leistungsfähigkeit und über die Krisenfestigkeit der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente.
Berliner-zeitung