Gleichgültigkeit der Konservativen: Wie unendliche Geschlechter zur Norm werden

Gesetze, einmal erlassen, bleiben oft bestehen, auch wenn sie schlecht altern. Was in der Entstehungsphase als technische Nebensache, symbolischer Fortschritt oder ideologischer Kleinkrieg abgetan wird, entpuppt sich im Rückblick oft als kostspielige Form institutionalisierter Fahrlässigkeit.
Besonders sichtbar wird das bei Vorhaben zur rechtlichen Verankerung von Geschlechtervielfalt. Kaum ein Politikfeld steht derart im Kreuzfeuer: gefeiertes Prestigeprojekt für die progressive Linke und liberale Mitte, kalkuliert genutzte Steilvorlage für die Rechten – und, vielleicht am gefährlichsten, ein Ort politischer Lethargie in konservativen Kreisen. Diese Mischung aus Enthusiasmus, Verteufelung und Gleichgültigkeit hat ein Klima geschaffen, in dem grundlegende Fragen kaum noch gestellt werden können, bevor die vermeintlichen Antworten in Gesetzesform gegossen sind.
Geschlechterpolitik: Den österreichischen Konservativen unterlief ein „Fehler“Ein Paradebeispiel dafür lieferte Österreich im Herbst 2024 – just in der letzten Sitzung der scheidenden Gesetzgebungsperiode. In der Novelle des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes wurde die bisherige Formulierung „Gleichstellung von Frauen und Männern“ kurzerhand ersetzt – durch die allgemein gehaltene Wendung „Gleichstellung aufgrund des Geschlechts“. Was wie eine sprachliche Modernisierung wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als weitreichender ideologischer Umbau.

Denn das Gesetz definiert „Geschlecht“ nun nicht mehr nur biologisch, sondern explizit auch sozial: als Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Geschlechterrolle. Diese neue Definition gilt im gesamten Bundesdienst – und verändert nicht nur den Diskriminierungsschutz, sondern auch die rechtliche Grundlage für Gleichstellungsmaßnahmen. Sie setzt ein legistisches Präzedenz, das über den konkreten Anwendungsbereich hinaus Wirkung entfalten dürfte, und trägt zur Entstehung eines zunehmend inkohärenten, innerlich widersprüchlichen Rechtssystems bei. Die geschlechtliche Selbstbestimmung hielt damit Einzug durch die Hintertür.
Eingebracht und beschlossen wurde die Novelle von den damaligen Koalitionsparteien, der christlich-konservativen ÖVP und den Grünen. Am Tag der Abstimmung – wie auch in der vorausgegangenen zweijährigen Verhandlungsphase – wirkte es allerdings so, als hätte kaum jemand verstanden (oder überhaupt gelesen), was da im Rahmen einer umfassenden Dienstrechtsnovelle mitverabschiedet wurde. Als die Änderungen und erste Kritik daran öffentlich bekannt wurden, bemühte sich die ÖVP, noch vor der Wahl nicht als genderpolitischer Geisterfahrer dazustehen. Sie ruderte hastig zurück, sprach von einem „Versehen“ und versprach eine „Reparatur“. Diese blieb, wenig überraschend, aus.
Ein Muster, das sich auch in Deutschland zeigt: Beim Selbstbestimmungsgesetz hofften viele vergeblich, dass die CDU wenigstens die offensichtlichsten Absurditäten entschärfen würde – etwa das Offenbarungsverbot, das die öffentliche Diskussion über das biologische Geschlecht einer Person nach Änderung des Geschlechtseintrags unter Strafandrohung stellt. Oder die faktisch fehlende Altersgrenze, bei der selbst Zwölfjährige mit einfacher Zustimmung der Eltern ihr amtliches Geschlecht ändern können. Auch der vielbeschworene Schutz durch das „Hausrecht“ blieb weiterhin nebulös: Nachschärfungen, die kostspielige Gerichtsverfahren verhindern könnten – wie etwa im Fall eines Frauenfitnessstudios, das sich gegen die Nutzung der Frauenduschen durch einen transidentifizierten Mann wehrt – blieben aus.
Das auffällige Schweigen beim Thema GeschlechtIn Großbritannien war es gleich die Tory-Regierung selbst, die 2004 den Gender Recognition Act einführte – der Grundstein für die heutige de facto geschlechtliche Selbstbestimmung. Und sie war es auch, die über Jahre die (mittlerweile geschlossene) Tavistock Gender Clinic gewähren ließ, trotz sich häufender Berichte über die medizinisch fahrlässige Behandlung einer steigenden Zahl minderjähriger Patientinnen und Patienten.

Die Zeit der aktiven Blockade der Gleichstellung von Lesben und Schwulen scheint bis heute als konservatives Trauma nachzuwirken. Als schlechtes Gewissen führt es zu Kompromissen und einer bequemen Symbolpolitik – etwa in Form interparlamentarischer LGBTIQ-Arbeitsgruppen.
Das auffällige Schweigen beim Thema Geschlecht ließe sich vielleicht erklären, wenn Konservative tatsächlich fürchten müssten, damit allein dazustehen oder schon wieder als gestrig zu gelten. Aber das trifft längst nicht mehr zu. Zahlreiche Einzelpersonen und Gruppen haben sich bereits exponiert, viele davon aus dem progressiven Spektrum, oft unter erheblichem Risiko für Karriere oder Reputation.
In Irland wird die öffentliche Debatte zum Thema Gender vermiedenWährenddessen läuft das strategische Playbook des Queer-Aktivismus weiter: Das sogenannte Dentons Document, veröffentlicht 2019 von der internationalen Anwaltskanzlei Dentons in Kooperation mit der Thomson Reuters Foundation und der LGBTIQ+-Jugendorganisation IGLYO, ist ein Handbuch für politische Umsetzung und öffentliche Kommunikation in Sachen Geschlechtsidentitätsgesetzgebung. Es trägt den unmissverständlichen Titel „Only Adults? Good Practices in Legal Gender Recognition for Youth“ und enthält einen bemerkenswert unverblümten Hinweis: Empfohlen wird, Gesetzesinitiativen möglichst geräuschlos einzubringen, etwa als Teil größerer Gesetzespakete oder in der Schlussphase von Legislaturperioden, wenn die mediale Aufmerksamkeit geringer ist.
Siehe Irland: Dort verabschiedete die Regierung – unter Beteiligung der christlich-konservativen Fine Gael – 2015 ein Selbstbestimmungsgesetz, das eng mit den Diskussionen um die Ehe für alle verbunden war – ein Thema, das damals bereits auf breite gesellschaftliche Zustimmung stieß.
Um die rechtliche Anerkennung von Geschlechtsidentität insbesondere bei Jugendlichen international voranzubringen, wird empfohlen, die politische Kommunikation auf sogenannte „Safe Messages“ zu konzentrieren und eine öffentliche Debatte möglichst zu vermeiden, da dies die Erfolgsaussichten gefährden könne.
Diese Kommunikationsstrategie ist längst nicht mehr nur theoretisches Planspiel internationaler NGOs, sondern ein globales Exportmodell für ideologisch getragene Gesetzesinitiativen, bei dem kritische Rückfragen etwa zu Auswirkungen auf Frauenräume, Fairness, den Jugendschutz oder die Meinungsfreiheit systematisch als „transfeindlich“ delegitimiert werden, anstatt sie öffentlich auszuhandeln.
Warum wachen die Konservativen nicht auf?Doch wer glaubt, all das wäre Anstoß genug für die Konservativen, aufzuwachen und ihre bemerkenswerte Teilnahmslosigkeit zu beenden, irrt. Tatsächlich setzen manche sich zurücklehnende Konservative mittlerweile darauf, dass ohnehin bald die Rechten das Ruder herumreißen werden: seien es Trump, die AfD, FPÖ, Orbán, Meloni oder Le Pen.
Repressive Bausch-und-Bogen-Maßnahmen wie Viktor Orbáns Verbot der Regenbogenparade sind aber nicht nur ein autokratischer Angriff auf grundlegende demokratische Rechte wie die Versammlungsfreiheit. Sie widersprechen auch jedem christlich-demokratischen Grundwertekanon und wirken letztlich als willkommener Mobilisierungsschub und politischer Hebel für die queere Bewegung und ihre verbündeten Parteien.
Gerade in einer Phase, in der internationale Fördergelder wie jene von USAID gestrichen werden und das jüngste Urteil des britischen Supreme Court als herber Rückschlag empfunden wird. Völlig entgrenzte Aktionen – vom Verbrennen von Regenbogenfahnen bis zum Ausblenden realer Probleme wie Geschlechtsdysphorie, familiärer und gesellschaftlicher Homophobie oder psychischer Belastungen bei Jugendlichen – sind keine Lösung, sondern ein kulturkämpferischer Amoklauf, der gesellschaftlichen Schaden anrichtet und zurecht als „woke right“ kritisiert wird.
Es ist Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und anzupackenDie Antwort auf diese Sackgasse liegt weder im „Hände falten, Goschn halten“ (österreichisch für: Beten und Mund halten) noch in ideologischer Einseitigkeit und abwertender Zuspitzung – sondern in der Bereitschaft zur Komplexität und Vielstimmigkeit derer, die an belastbare demokratische Prozesse glauben.

Hier gäbe es für Konservative ein breites Betätigungsfeld: Sie könnten Plattformen und Sichtbarkeit für kritische Stimmen schaffen – auch für jene, mit denen sie in anderen Fragen fundamental uneins sind. Für Eltern, die um ihre Kinder bangen. Für Feministinnen, die aus jahrzehntelanger Praxis und Theorie sprechen. Für Detransitionierte, die mit ihren Erfahrungen und Bedürfnissen bislang weitgehend im Stich gelassen wurden. Und sie könnten Ressourcen bereitstellen.
Die schottische Autorin J.K. Rowling, die eine der bekanntesten Stimmen der genderkritischen Bewegung ist, hat erneut Geld in die Hand genommen und einen Rechtshilfefonds eingerichtet, der Frauen im Vereinigten Königreich und Irland unterstützt, ihre geschlechtsbasierten Rechte vor Gericht durchzusetzen. Eine vergleichbare konservative Initiative ist im europäischen Raum bislang nicht zu sehen – erst recht keine, hinter der Einzelpersonen stehen, die bereit wären, auch nur annähernd so mutig und entschlossen finanziell in die Vorlage zu gehen. Währenddessen hat das Global Philanthropy Project binnen kurzer Zeit an die 150 Millionen Dollar an Spendenzusagen für den globalen Kampf für „LGBTI-Rechte“ gesammelt.
Wer in der Prävention spart – oder schlichtweg schläft –, bezahlt dafür nicht nur mit der politischen Glaubwürdigkeit, sondern beteiligt sich aktiv an einem gesellschaftlichen Umbau mit sehr realen Konsequenzen und einer erbarmungslos langen Halbwertszeit. Wer das nicht will, muss die Ärmel hochkrempeln und selbst anpacken. Es wird kein Ritter in glänzender Rüstung erscheinen – nicht von rechts, nicht von links, und schon gar nicht aus einer konservativen Mitte, die auf Zeit spielt.
Berliner-zeitung