Auch wenn Geiseln freikommen: Netanjahu will im Gazastreifen bis zum Ende gehen

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Auch wenn Geiseln freikommen: Netanjahu will im Gazastreifen bis zum Ende gehen

Auch wenn Geiseln freikommen: Netanjahu will im Gazastreifen bis zum Ende gehen

Menschen holen Patienten aus dem Europäischen Krankenhaus in Chan Junis. Dort soll sich der Chef der Kassam-Brigaden versteckt haben, ob er nich lebt, ist unklar.

(Foto: AP)

In Katar laufen Verhandlungen über eine neue Waffenruhe im Gaza-Krieg an. Sie sollen "unter Feuer" geführt werden, betont Israels Regierungschef, an Plänen für eine Umsiedlung von Palästinensern hält er fest. Der UN-Nothilfechef warnt vor einem "Völkermord".

Die Zivilbevölkerung im Gazastreifen muss sich auf eine neue großangelegte Offensive Israels zur Zerschlagung der palästinensischen Terrororganisation Hamas einstellen. Der Einsatz solle "in den kommenden Tagen" beginnen, kündigte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an. Ziel sei es, die Hamas vollständig zu besiegen und die verbliebenen Geiseln in ihrer Gewalt zu befreien. UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher kritisierte Israels Umgang mit dem nach außen abgeriegelten Küstengebiet scharf und warnte vor einem "Völkermord".

Eine neue Militäroffensive dürfte die Notlage der Menschen im dicht besiedelten und nach mehr als anderthalb Jahren Krieg großflächig zerstörten Gazastreifen weiter verschlimmern. Schon jetzt seien 2,1 Millionen Palästinenser wegen zurückgehaltener humanitärer Hilfe vom Hungertod bedroht, mahnte Fletcher. "Israel schafft bewusst und schamlos unmenschliche Bedingungen für die Zivilbevölkerung in den besetzten palästinensischen Gebieten", sagte er vor dem UN-Sicherheitsrat bei einer Sitzung in New York.

"Welche Beweise brauchen Sie jetzt noch?", fragte Fletcher in die Runde des mächtigsten UN-Gremiums. "Werden Sie entschlossen handeln, um Völkermord zu verhindern und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu gewährleisten? Oder werden Sie stattdessen sagen: 'Wir haben alles getan, was wir konnten'?"

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron übte ebenfalls heftige Kritik. "Was die Regierung von Benjamin Netanjahu aktuell macht, ist inakzeptabel", sagte er im Sender TF1. Humanitäre Hilfe aus Frankreich und anderen Ländern für die Bevölkerung in Gaza werde von Israel blockiert. Die humanitäre Krise sei verheerend, es gebe kein Wasser und keine Medikamente. Macron sprach von einer Schande.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte laut einer Sprecherin bei einem Treffen mit Netanjahu in Jerusalem die Dringlichkeit, "den Zugang der Bevölkerung in Gaza zu humanitären Hilfen wieder zu gewährleisten". Israel lässt seit Anfang März keine Lieferungen mehr in den abgeriegelten Küstenstreifen, um zu verhindern, dass die Güter der Hamas in die Hände fallen.

Krieg soll erst enden, wenn die Hamas vernichtet ist

Netanjahu sagte bei einem Treffen mit verwundeten Reservisten, die Zerschlagung der Hamas und die Befreiung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gehörten untrennbar zusammen. "In den kommenden Tagen werden wir mit voller Kraft hineingehen, um die Kampagne zu vollenden." Selbst wenn die Hamas anbiete, weitere Geiseln freizulassen, werde Israel den Krieg nicht beenden, sagte Netanjahu. Eine zeitlich begrenzte Waffenruhe sei möglich, nicht aber ein dauerhaftes Ende der Kämpfe.

Die Armee hatte zuletzt mit der Mobilisierung zehntausender Reservisten begonnen. Laut israelischen Medien sollte vor einer neuen Offensive erst das Ende des dreitägigen Besuchs von US-Präsident Donald Trump in der Golfregion abgewartet werden. Trump war am Dienstag in Saudi-Arabien eingetroffen und wird in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten erwartet.

Er gehe davon aus, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Gazastreifen verlassen würde, wenn entsprechende Ausreisemöglichkeiten bestünden, sagte Netanjahu. Israel arbeite derzeit daran, Drittstaaten für eine Aufnahme der Menschen zu gewinnen. Viele Palästinenser fürchten eine neue Welle der Flucht und Vertreibung aus dem Gazastreifen, ähnlich wie während des Kriegs im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekriegs 1967.

In Katar soll wieder verhandelt werden

Die von den USA, Ägypten und Katar vermittelten indirekten Gespräche zwischen Israel und der Hamas waren vor einigen Monaten ins Stocken geraten. Medienberichten zufolge ist nun ein Team israelischer Unterhändler in Katars Hauptstadt Doha zu einer neuen Verhandlungsrunde gelandet. Demnach sollen auch der US-Sondergesandte Steve Witkoff und Trumps Geisel-Beauftragter Adam Boehler an den Gesprächen teilnehmen.

Netanjahu hatte angekündigt, die Verhandlungen sollten "unter Feuer" geführt werden. Eine von Israel geforderte Entwaffnung der Hamas lehnt die Islamisten-Organisation ab. Sie fordert als Bedingung für eine Freilassung der verbliebenen Geiseln ein vollständiges Ende des Gaza-Kriegs.

Das Blutvergießen in Gaza geht derweil weiter. In der Nacht meldeten palästinensische Quellen einen israelischen Luftangriff auf Dschabalija, bei dem es Dutzende Opfer gegeben haben soll. Zuvor hatten Luftangriffe auf zwei Krankenhäuser im Süden des Gebiets nach Klinikangaben mindestens 19 Menschen getötet. Nach Angaben der israelischen Armee handelte es sich um einen gezielten Angriff auf Hamas-Terroristen - das Militär wirft den Islamisten seit Langem vor, Krankenhäuser für Terrorzwecke zu missbrauchen. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

Ungewissheit über Chef der Kassam-Brigaden

Besonders im Fokus stand ein mutmaßlicher Angriff auf Mohammed al-Sinwar, den jüngeren Bruder des im Oktober 2024 getöteten Hamas-Anführers Jihia al-Sinwar. Noch ist unklar, ob er unter den Toten bei dem Angriff auf das Europäische Krankenhaus in Chan Junis ist. Nach der Tötung des Hamas-Militärchefs Mohammed Deif im Juli vergangenen Jahres durch das israelische Militär hatte Mohammed al-Sinwar die Führung des bewaffneten Hamas-Arms, der Kassam-Brigaden, übernommen.

Sollte er nun tot sein, könnte das die Verständigung auf eine Waffenruhe und ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln erleichtern, sagte ein israelischer Regierungsvertreter der "Jerusalem Post". Al-Sinwar sei der extremste Akteur aufseiten der Hamas gewesen, was deren Verhandlungsposition angeht. "Wenn er nicht mehr dabei ist, dürfte das den Bemühungen um ein Abkommen zuträglich sein."

Auch die israelische Attacke auf das Nasser-Krankenhaus in Chan Junis in der Nacht zu Dienstag galt laut Darstellung des Militärs Hamas-Terroristen. Dabei wurden palästinensischen Angaben zufolge drei Menschen getötet. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa sprach von einem "gezielten Angriff" auf den palästinensischen Journalisten Hassan Eslaiah, der wegen Verletzungen in der Klinik behandelt worden sei.

Eslaiah war bereits im vergangenen Monat bei einem Angriff in der Nähe des Nasser-Krankenhauses schwer verletzt worden. Israels Armee sagte damals, der Palästinenser habe sich am 7. Oktober 2023 am Hamas-Massaker in Israel beteiligt. Er sei dabei auf israelisches Gebiet vorgedrungen und habe auch Aufnahmen von Morden, Brandstiftungen und Plünderungen angefertigt und in sozialen Medien veröffentlicht. Als freier Journalist lieferte er unter anderem der größten Nachrichtenagentur der Welt, AP, Fotos.

Raketenangriffe auf Israel

Erstmals seit längerer Zeit wurden aus dem Gazastreifen auch wieder Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Zwei Geschosse wurden nach Militärangaben abgefangen, ein drittes schlug in offenem Gelände ein. Außerdem fing die israelische Armee nach eigenen Angaben erneut eine aus dem Jemen abgefeuerte Rakete ab. Die mit der Hamas verbündeten Islamisten der Huthi-Miliz teilten mit, Ziel ihrer Attacke sei der Flughafen der Küstenmetropole Tel Aviv gewesen.

Der Angriff ereignete sich während des Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Israel. Steinmeier, seine Frau Elke Büdenbender und Teile der Delegation wurden in den Luftschutzraum ihres Hotels gebracht. Dort verbrachten sie etwa 15 Minuten. Zum Zeitpunkt der Attacke hatten die Gäste aus Deutschland gerade zum Abendessen in die Residenz von Israels Präsident Izchak Herzog aufbrechen wollen, was sie dann verspätet taten.

Quelle: ntv.de, ino/dpa

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