Ladies & Gentlemen: Die Farben des Frühlings in New York

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Bei kleinen Preisverleihungen wie dem Chaplin Award in New York sind Stars und ihre Looks oft interessanter als bei den großen Events – vielleicht einfach, weil nicht so viele Kameras zuschauen.
Awards gibt es wie Sand am Meer, bis zum Burn-out berichtet wird aber immer nur über Mega-Events wie die Oscars. Das ist schade, weil es bei den Mikro-Preisverleihungen lustiger zugeht. Die Leute, die da Preise für Lebenswerke entgegennehmen und feiern, sind oft nicht blutjung und total angesagt. Deswegen werden sie auch nicht von übereifrigen Stylisten in Kleider und Diamantencolliers geschossen, die die größtmögliche Aufmerksamkeit für jene Marken generieren sollen, die sie zur Verfügung stellen. Und deswegen sind diese Promis schon gar nicht auf Ozempic, um noch schnell irgendwo reinzupassen. Kurz: Leute, die auf kleine Preisverleihungen gehen, haben Spaß. Die Almodóvar-Muse Rossy de Palma zum Beispiel, letzte Woche in New York bei den Chaplin Awards: Sie trägt ein Spitzenkleid mit sehr breiten Schultern, dessen Herkunft wir aus oben genannten Gründen nicht erfahren haben. Interessanter aber sind die Accessoires. Statt Diamanten trägt sie eine Handvoll echter Rosen im Haar, außerdem ihr Markenzeichen, den Fächer, und eine riesige Sonnenbrille. Jedes einzelne dieser Accessoires ist für Leute, die von Showbusiness-Berichterstattung leben, eigentlich eine kleine Katastrophe: Die Sonnenbrille verstellt Fotografen den Blick in die Augen, der Fächer bei Ausbreitung sowieso alles, und die Rosen? Die lassen sich ja gar nicht mit einer Markennennung versehen! Ist das etwa Verweigerung? Einer Frau, die so lustig posiert (von vorne, von hinten, mit breit aufgestellten Beinen), kann man das alles natürlich wirklich nicht vorwerfen. Vielmehr erinnert uns die Schauspielerin daran, dass man als Frau zwar Hollywoodstatuen annehmen darf, aber niemals eine werden sollte.

Große Lebensaufgabe: Alt werden, aber nicht beige werden! Bei vielen Menschen halten so etwa ab dem 60. Geburtstag Beige, Grau- und Brauntöne unerbittlich Einzug in die Garderobe, bei den Frauen geht die Entwicklung oft von den Füßen her, bei den Männern schleicht sie sich meist in Form von Westen oder Hosen ein. Das folgt womöglich der Annahme, man müsse sich in diesem Lebensabschnitt unsichtbar machen oder zumindest möglichst wenig auffallen, weil die große Bühne nun mal anderen gehöre. Aber das stimmt nicht, und dass auch ältere Semester vermeintlich junge Farben tragen können, zeigt der 75-jährige Pedro Almodóvar bei seinem Auftritt in New York.
Wichtig ist dabei immer, dass der Mut zur Farbe nicht das allgemeine Stilempfinden übertrumpft. Es geht eben nicht um Buntheit um jeden Preis, sondern um einen stimmigen Einsatz und wohldosierte optische Stimulanzien. Ewiges Negativbeispiel wäre in diesem Zusammenhang der Geck in Thomas Manns „Tod in Venedig“. Diese Figur trägt bei der ersten Begegnung einen „modischen“ hellgelben Sommeranzug und eine rote Krawatte zur braunen Perücke, vergreift sich also ganz offensichtlich in der Zusammenstellung der Farben. Regisseur Almodóvars Look wirkt hingegen gar nicht übertrieben laut, was vermutlich auch daran liegt, dass die gewählten Farben nicht banal sind. Der Anzug im Farbton Cyan ist erfrischend und dennoch viel leiser, als wenn er in Richtung Kobalt gehen würde, was tatsächlich zuletzt eine Farbe der Jugend war. Und das Halstuch changiert elegant von Orange ins Pink, ist also auch nicht eindimensional, wie ein knallrotes Halstuch es wäre. Diese beste Altersversicherung ist aber natürlich sowieso, für sich selbst künstlerisch, modisch und moralisch hohe Ansprüche beizubehalten und nicht irgendwann nur noch in Grau- oder Brauntönen zu denken.
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