Er galt als «der schönste Junge der Welt»: Der Schauspieler Björn Andrésen ist gestorben

Als Tadzio in Luchino Viscontis «Death in Venice» wurde Björn Andrésen weltberühmt. Später sagte er, der Film habe sein Leben zerstört. Nun ist Andrésen siebzigjährig gestorben.

Eigentlich wäre er lieber Musiker geworden. Und wenn schon Filmschauspieler, dann hätte Björn Andrésen lieber in einem Horrorfilm gespielt. Mit Christopher Lee, dem legendären Dracula-Darsteller. Doch es kam anders. Und es begann traurig. Als Andrésen zehn Jahre alt war, nahm sich seine Mutter das Leben. Er wuchs bei der Grossmutter in Stockholm auf, die aus ihm einen Schauspieler machen wollte. Einen Star. Sie schleppte ihn von Casting zu Casting. «Weil sie eine Berühmtheit in der Familie haben wollte», bemerkte Andrésen später spitzig. Das gelang ihr schliesslich auch.
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1970 nahm die Grossmutter den damals vierzehnjährigen Enkel mit zu einem Casting von Luchino Visconti, der Schauspieler suchte für die Verfilmung von Thomas Manns Erzählung «Der Tod in Venedig». Für die Hauptrolle, Gustav von Aschenbach, hatte er einen hochkarätigen Darsteller gefunden: Dirk Bogarde. Noch fehlte ihm aber die Besetzung für Tadzio, den Knaben, dem Aschenbach im Hotel in Venedig begegnet und in den er sich verliebt.
Monatelang war Visconti durch ganz Europa gereist, um einen Tadzio zu finden. Einen Jüngling, auf den Thomas Manns Beschreibung passte: vollkommen schön, mit bleichem, «anmutig verschlossenem Antlitz» und honigfarbenem Haar. Dutzende von jungen Männern mussten vor dem Maestro posieren. Er war mit keinem zufrieden. Bis er Björn Andrésen traf. Bei der ersten Begegnung habe Visconti lange geschwiegen, erzählte seine Assistentin später. Dann habe er ihn gebeten, den Pullover auszuziehen und in die Kamera zu blicken.
Lunch mit Jack NicholsonWenige Monate später begannen die Dreharbeiten. Andrésen hatte bisher erst einmal eine Nebenrolle gespielt, in einer Liebeskomödie. Erfahrung im Filmbusiness hatte er keine. Jetzt musste er sich in der höchsten Liga bewähren. Dirk Bogarde erinnerte sich später, er sei erstaunt gewesen, wie professionell Andrésen gearbeitet habe. Er sei kein Kinderdarsteller gewesen, sondern «ein richtiger Schauspieler». Andrésen erzählte, Bogarde habe sich ihm gegenüber immer sehr höflich und respektvoll verhalten.
1971 kam «Death in Venice» in die Kinos, wurde ein Erfolg und machte Andrésen über Nacht berühmt. Sein Gesicht blieb allen in Erinnerung, die den Film gesehen hatten. Der Junge wurde zum Star, die Kritik lobte seine Darstellung, noch mehr allerdings sein Aussehen. Die Medien sprachen vom «schönsten Jungen der Welt», verklärten ihn zur Ikone jungenhafter Anmut. «Der Rummel machte mir Angst», erinnerte sich Andrésen später. Bei der Premiere des Films in Tokio versuchten Fans ihm Locken aus den Haaren zu schneiden.
Mit einem Mal war Björn Andrésen in einer anderen Welt. Er war fünfzehn Jahre alt, schüttelte in London der Queen die Hand und traf sich an den Filmfestspielen in Cannes mit Jack Nicholson zum Lunch. «Ich fühlte mich wie in einem James-Bond-Film», sagte er vor einigen Jahren in einem Interview: «Die Leute überschlugen sich, wie toll ich in der Rolle gewesen sei. Aber mal im Ernst, ich spreche ja nicht einmal eine Zeile Dialog.»



Der Rummel um seine Person war das eine. Die Art, wie er auf dem Set behandelt wurde, das andere. Björn Andrésen wurde bei den Dreharbeiten von seiner Grossmutter und einer Lehrerin begleitet. Er sollte schulisch nichts versäumen. Visconti sei liebenswürdig gewesen, «ein echter Aristokrat». Aber zugleich «ein kulturelles Raubtier, das für seine Arbeit alles und jeden opfern würde», sagte Andrésen vor ein paar Jahren dem «Guardian». Er habe ihn für den Film ausgenutzt.
Nach den Dreharbeiten nahmen Visconti und sein Team Björn mit an wilde Partys in Schwulenklubs, wo getrunken und gekokst wurde. Die Grossmutter scheint sich daran nicht gestört zu haben. In den Klubs überliessen sie den Jungen sich selbst. «Fast die gesamte Crew war schwul» erzählte Andrésen, «und die Kellner machten mir das Leben schwer. Sie sahen mich an, als ob ich ein leckeres Fleischgericht wäre. Ich fühlte mich wie ein exotisches Tier in einem Käfig.» Er habe sich nicht getraut, sich zu wehren: «Das wäre sozialer Selbstmord gewesen.»
Aus heutiger Sicht ist klar: Was Visconti tat, war Missbrauch. Andrésen war minderjährig, und auch wenn er nicht Opfer von direkten sexuellen Übergriffen wurde, wurde er ausgenutzt. Der ätherische, blondgelockte Jüngling war ein Objekt der Begierde. Nicht nur im Film für Gustav von Aschenbach. Sondern auch im richtigen Leben. Für Luchino Visconti, der damals mit dem österreichischen Schauspieler Helmut Berger liiert war. Und für die Crew um ihn herum.



Das Etikett des «schönsten Jungen der Welt» wurde Andrésen nicht mehr los. Er empfand die frühe Berühmtheit als Belastung, geriet immer wieder in psychische Krisen, litt an Depressionen. Die Karriere als Musiker, die er anstrebte, verlief harzig. «Keiner wollte mich ernst nehmen. Für die Leute blieb ich immer Tadzio.» Tadzio sei ein Schatten gewesen, der ihn immer verfolgt habe. «Death in Venice» habe sein Leben zerstört. Auch als Schauspieler konnte Andrésen nicht an den Erfolg anknüpfen, den er mit dem Film gefeiert hatte. Ab und zu spielte er kleine Rollen. In Filmen, die mässig erfolgreich waren.
Wenn er gewusst hätte, was mit dem Film auf ihn zukomme, hätte er die Rolle nicht angenommen, sagte Andrésen einmal. Aber er wurde gar nie gefragt. Die Grossmutter entschied. Und verhandelte schlecht. Für die Rolle des Tadzio erhielt Andrésen fünftausend Dollar. Dirk Bogardes Gage betrug hundertzwanzigtausend Dollar. Andrésen kämpfte ein Leben lang mit finanziellen Problemen. Er lebte mit seiner Frau, einer Tochter, einem Hamster und einer Katze in einer kleinen Wohnung in Stockholm. Ein Sohn war im Säuglingsalter gestorben.
Sein Wunsch, in einem Horrorfilm mitzuspielen, wurde schliesslich erfüllt. In «Midsommar» von Ari Aster spielte er 2019 den Dorfältesten einer heidnischen Kommune, der sich in einer Zeremonie selbst opfert. Andrésen war von der Rolle begeistert: «In einem Horrorfilm getötet zu werden», sagte er einem Journalisten, «ist der Traum jedes Jungen.» Am vergangenen Samstag ist Björn Andresen siebzigjährig in Stockholm gestorben.
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