Wie gesund ist die Carnivore-Diät? - Darum ist der Ernährungstrend gefährlich

Zehn Eier, zwanzig Rinderfiletstreifen und zwei kühlschrankkalte Stück Butter – fertig ist das perfekte Frühstück. Zumindest, wenn man die seit einiger Zeit aus dem Boden schießenden Meat-Fluencer auf den sozialen Plattformen wie Instagram und YouTube fragt. Das Konzept ist simpel: Die Ernährung basiert ausschließlich auf tierischen Produkten. Betitelt wird dieser Essensstil als Carnivore-Ernährung.
Was ungewöhnlich und extrem klingt, lockt mit hohen Versprechungen: gesteigerte Energie, besserer Schlaf, gesunde Haut, mentale Klarheit und das Lindern von Darmbeschwerden. Also zurück zur Steinzeit? Was steckt hinter der Carnivore-Diät? Und wie ist sie wissenschaftlich zu bewerten? Die beiden Ernährungswissenschaftler Veronika Albers und Marco Spielau ordnen die neue Ernährungsform ein und zeigen auf, was es bei der ungewöhnlichen Diät zu beachten gibt.
„Bei der Carnivore-Diät ernähre ich mich nur von tierischen Produkten und lasse alles Pflanzliche weg“, erklärt Marco Spielau. Er ist diplomierter Ernährungswissenschaftler an der Universität in Halle, berät vorrangig Sportler zum Thema Ernährung und Gesundheit und kommt selbst aus dem Profi-Sport Rudern. „Das Ziel ist es, entzündliche Prozesse im Körper zu verringern und mich dadurch besser zu fühlen.“
Zu tierischen Produkten zählen zuallererst jegliche Fleisch- und Fischarten. Auch Eier und Milchprodukte werden ergänzt, strenge Verfechter der Carnivore-Diät lassen sie weg. Für Spielau ist diese Ernährungsform ein Gegentrend zur veganen Ernährung, außerdem auch nichts Neues. „Anfang der 70er-Jahre gab es den US-Mediziner Robert Atkins. Der schwörte auch schon nur auf Fleisch und Fett“, weiß der Experte. „Die Ernährung nennt sich vielleicht anders, aber das gab es auch schon früher.“
Das Hauptargument der Meat-Fluencer: Die Carnivore-Diät helfe beim Abnehmen. Dem stimmen beide Ernährungswissenschaftler zu. Grund dafür sind allerdings nicht die zugeführten Lebensmittel, sondern das, was wegfällt. „Weil ich mich auf die tierischen Produkte konzentriere, verzichte ich auf stark verarbeitete Lebensmittel wie Fast Food und Zucker“, führt Veronika Albers aus. Sie ist staatlich geprüfte Diätassistentin, Diplom-Ökotrophologin und leitende Ernährungsberaterin bei der Abnehm-App Oviva. Der Verzicht wiederum führe zur Gewichtsabnahme. Gleiches Ergebnis könne aber auch mit jeglichen anderen Diätformen erreicht werden.

Veronika Albers ist staatlich geprüfte Diätassistentin, Diplom-Ökotrophologin und leitende Ernährungsberaterin von der Abnehm-App Oviva. Die Carnivore-Diät sieht sie kritisch.
Quelle: Sophie Brand
Außerdem soll die rein tierische Ernährung bei Darmbeschwerden helfen. In bestimmten Fällen findet Albers das nachvollziehbar: „Gerade bei Unverträglichkeiten oder Reizdarm kann das Weglassen bestimmter Lebensmittel die Beschwerden verringern.“ Auch Hauterkrankungen und Allergien können aus ihrer Sicht durch die Diät gelindert werden. „Die meisten Allergien werden durch Obst oder Gemüse verursacht“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin. „Wenn ich diese weglasse, wird auch keine Reaktion hervorgerufen.“
Als größtes Risiko sehen beide Experten die gesteigerten LDL-Cholesterinwerte, die die Carnivore-Diät auslöst. Das LDL-Cholesterin steht im Verdacht, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu steigern. „Durch erhöhte Werte kann es zu Ablagerungen an den Arterien, Plaques genannt, kommen“, sagt Albers. In der Folge entstehen Verengungen, und der Blutfluss wird beeinträchtigt. Im schlimmsten Fall erleiden Betroffene einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Problematisch ist auch das Fehlen von Ballaststoffen. „Ein gesunder Darm braucht Ballaststoffe, die in pflanzlichen Lebensmitteln zu finden sind“, erklärt Marco Spielau. Sie würden nicht nur die Darmflora fördern, sondern dort auch das Krebsrisiko verringern. Wer die Ballaststoffe dauerhaft weglässt, muss mit Verstopfungen rechnen. „Wird der Darm nicht entleert, kann es zu Schmerzen kommen“, so Veronika Albers.
Eine weitere Gefahr: die geringe Zufuhr an Nährstoffen und Antioxidantien. Dazu zählen beispielweise Folsäure, die hauptsächlich in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten ist, oder Vitamin C und E. Durch das Fehlen komme es langfristig zu Mangelerscheinungen wie Konzentrationsschwäche, Blutarmut oder Muskelschwäche, weiß Spielau.
„Wer sich rein tierisch ernährt, kann außerdem nicht auf schnell verfügbare Kohlenhydrate zurückgreifen“, gibt Albers zu Bedenken. Dazu zähle insbesondere Glukose. Die Energie, die der Körper täglich benötigt, müsse dann aus anderen Reserven gezogen werden. „Der Körper verfällt in eine Ketose. Das heißt, statt Kohlenhydraten wird Fett in Energie umgewandelt“, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin. Betroffene können in der Folge müde sein, sich abgeschlagen fühlen oder sogar Schlafprobleme bekommen.
Laut Experten ist die unbedenkliche Zielgruppe einer solchen Diät klein. „Am besten nur gesunde, schlanke Männer“, sagt Spielau. Frauen rät er von der Ernährung ab. „Aus der Forschung wissen wir, wie wichtig Kohlenhydrate für die hormonelle weibliche Gesundheit sind“, sagt der Fachmann. Veronika Albers ist es wichtig, dass Ausprobierfreudige sich von einem Arzt professionell begleiten lassen.
Für Menschen mit einem Herz-Kreislauf-Risiko ist die Carnivore-Diät gefährlich. Auch mit anderen Vorerkrankungen raten die Experten von der Ernährung ab. Für Veronika Albers ist das rein tierische Essen außerdem für Schwangere, Stillende, Kinder, Jugendliche oder Ältere ein Tabu.
Marco Spielau empfiehlt, die Carnivore-Diät maximal zwölf Wochen lang auszuprobieren, tendenziell lieber kürzer. „Das ist der Zeitraum, in dem man in der Ernährung am Körper Veränderungen sehen kann, seien sie positiv oder negativ“, sagt er. Außerdem solle man versuchen, eine große Bandbreite an Fleisch- und Fischsorten zu essen und im besten Fall Bio-Produkte. „Wenn die Tiere artgerecht gefüttert und gehalten werden, enthält das Fleisch und die Milchprodukte vielfältigere Vitamine und Mineralstoffe“, führt der Ernährungsberater aus.
Marco Spielau,
Ernährungswissenschaftler an der Universität Halle
Auch das Wissen ist beim Ausprobieren entscheidend. „Es ist wichtig, sich über die Diät zu informieren und die möglichen Risiken zu kennen“, empfiehlt Spielau. Das eine professionelle Beratung durch einen Arzt oder Wissenschaftler sinnvoll ist, finden beide Experten. Und sollten Beschwerden auftreten, gilt es, die Diät sofort abzubrechen. „Dazu zählen beispielsweise starke Müdigkeit, Depression, Verdauungsschwierigkeiten oder Kopfschmerzen“, erklärt Albers.
Die Datenlage zur Carnivore-Diät ist bis heute dünn. Verfechterinnen und Verfechter der Ernährungsform führen insbesondere zwei Studien an, um ihren Erfolg wissenschaftlich zu belegen. In der ersten aus dem Jahr 2021 wurden 2029 Menschen befragt, die sich mindestens sechs Monate lang karnivor ernährt hatten. Das Ergebnis: Den Teilnehmenden geht es gut. Sie berichten selten von negativen Effekten und sehr häufig von einer hohen Zufriedenheit und Verbesserung der allgemeinen Gesundheit.
Den größten Haken der Untersuchung sehen die Experten jedoch in der Rekrutierung: Die Studie setzt ausschließlich auf Selbstberichte von Menschen, die über die sozialen Medien angefragt wurden. Kritisch sei außerdem, dass es keine Vergleichsgruppe von „Normal-Essern“ gebe und Menschen ausgelassen werden, die die Diät frühzeitig abbrechen mussten. „Zu einer Studie gehört, dass man positive sowie negative Aspekte erwähnt“, so Veronika Albers. Ihr Fazit: Dass sich die Ergebnisse der Untersuchung verallgemeinern lassen, sei fragwürdig.
In der zweiten Studie aus dem Jahr 2025 wurde der Zusammenhang zwischen ketogenen Diäten, also Diäten mit einem sehr niedrigen Kohlehydratanteil, und Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Bei den Teilnehmenden stiegen die LDL-Cholesterinwerte aufgrund ihrer Ernährung stark an. Trotzdem wurden bei ihnen keine Anzeichen auf Plaque an den Arterien gefunden. Das Ergebnis legt nahe, dass das LDL-Cholesterin bei stoffwechselgesunden, dünnen, jungen Menschen nicht immer das Herz-Kreislauf-Risiko erhöht.
Veronika Albers kritisiert auch hier die ausschließlich positive Darstellung der Ergebnisse. Frühzeitige Aussteiger würden nicht erwähnt. Obendrein handelt es sich um die ketogene Diät, bei der auch pflanzliche Lebensmittel zu sich genommen werden. Bezüglich der karnivoren Ernährung hätten die Ergebnisse deshalb keine Aussagekraft.
Als größten Kritikpunkt sehen beide Experten die Dauer der Studie. „Ein Jahr ist zu kurz, um nachzuweisen, dass sich Ablagerungen an den Arterien bilden“, erklärt Marco Spielau. Um die langfristigen Folgen der Carnivore-Diät zu untersuchen, brauche es Langzeitstudien von mindestens zehn Jahren.
rnd