Mikroplastik im Körper: Risiken und ungeklärte Fragen

Mikroplastik ist aus unserer Umwelt nicht mehr wegzudenken. Selbst im menschlichen Körper kommen die winzigen Plastikfetzen vor. Was sie dort genau bewirken, ist bis heute nicht vollständig verstanden. Ein Überblick über bisherige Erkenntnisse und Forschungslücken.
Es gibt verschiedene Wege, wie Mikroplastik in den menschlichen Körper gelangen kann. Am häufigsten geschieht das über die Nahrung und das Trinkwasser. Eine Eintragungsquelle seien Plastikgefäße, sagte Eleonore Fröhlich, Leiterin der Abteilung Core Facility Imaging an der Medizinischen Universität Graz in Österreich, vergangene Woche bei einem Pressebriefing des Science Media Centers. Mikroplastik kann bei PET-Flaschen aus dem Flaschenmaterial selbst entstehen oder durch Abrieb beim Öffnen und Schließen der Flasche.
„Aber auch viele Seetiere und auch Salz enthalten vergleichsweise viel Mikroplastik“, so Fröhlich weiter. Die Meere sind voll mit Mikroplastik, sodass Fische und andere Meerestiere die Kleinstteile beim Atmen und bei der Nahrungsaufnahme zu sich nehmen. Das Plastik reichert sich in ihren Körpern an und kann, wenn der Mensch die Tiere später isst, auch in den menschlichen Organismus gelangen.

In den Meeren schwimmt jede Menge Plastik, das Fische einatmen oder verzehren.
Quelle: Unsplash/Naja Bertolt Jensen
Ein anderer Eintragungsweg ist die Atemluft. Unter anderem durch Reifenabrieb gelangen mikroskopisch kleine Plastikfetzen in die Luft, die dann über den Mund oder die Nase eingeatmet werden. Die Partikel haben es aber schwer, bis zur Lunge vorzudringen, da sie zunächst eine Größenbarriere überwinden müssen. Um in die Lunge zu kommen, muss das Plastik kleiner als fünf Millimeter sein, „sonst wird es entweder ausgefiltert oder landet im Mundraum“, erklärte Fröhlich. „Das bedeutet, die Lunge schützt sich da sehr effektiv, weil das weitere Epithel (Gewebe, das alle äußeren und inneren Oberflächen des Körpers bedeckt, Anm. d. Red.) vergleichsweise empfindlich ist.“
Die Aufnahme von Mikroplastik über die Haut könne vernachlässigt werden, meint die Forscherin. Die Haut habe eine derart gute Barriere, dass darüber kaum Partikel in den menschlichen Körper eindringen können.
In Versuchen mit Mäusen habe sich gezeigt, dass Mikroplastik „praktisch in alle Organe“ gelangen kann, und zwar „sehr schnell“, berichtete Lukas Kenner, stellvertretender Direktor des Klinischen Instituts für Pathologie an der Medizinischen Universität Wien. „Schon nach zwei Stunden sind die Partikel praktisch überall.“ Selbst im Blut und im Herzen wurden schon Plastikteilchen gefunden.

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„Wir haben auch gesehen, dass das Plastik sehr schnell ins Hirn geht“, sagte Kenner, „weil es sich praktisch bedecken kann mit Molekülen, zum Beispiel Cholesterinmolekülen.“ Diese Moleküle ermöglichen dem Plastik, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden – also die Barriere zwischen Blutkreislauf und Gehirn, die das Gehirn vor schädlichen Stoffen schützt.
Forscherinnen und Forscher der Universität Murcia in Spanien haben jüngst Mikroplastik in den weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorganen entdeckt. Für ihre Studie hatten sie die Samenflüssigkeit von 22 Männern und die Follikelflüssigkeit von 29 Frauen untersucht. Dabei zeigte sich: In rund der Hälfte der männlichen Proben und mehr als zwei Dritteln der weiblichen waren Mikroplastikpartikel nachweisbar.
Jeder Mensch nimmt jede Woche Mikroplastik im Wert einer EC-Karte (etwa fünf Gramm) zu sich: Diese Behauptung kursiert schon seit Jahren. Doch immer mehr Fachleute bezweifeln, dass sie stimmt. Auch Karsten Grote hält die Aussage für „ein bisschen übertrieben“. „Aber unterm Strich ist es schon so, dass wir pro Woche irgendwo im Grammbereich Mikroplastik aufnehmen“, sagte der Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle Kardiologie an der Klinik für Kardiologie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg.
Die meisten Angaben zur Menge an Mikroplastik im menschlichen Körper sind Schätzungen. Sie sind also mit Unsicherheiten behaftet.
Eine Studie der Universität Toulouse kam nun etwa zu dem Ergebnis, dass besonders in Innenräumen wie Wohnungen und in Autos täglich im Schnitt rund 68.000 winzige Plastikpartikel in die Atemwege eines Erwachsenen gelangen könnten – bei Kindern sind es etwa 47.000. Der direkte Nachweis von Mikroplastik im menschlichen Körper wurde im Rahmen der Studie nicht versucht. Stattdessen wurden Luftproben in Innenräumen genommen und auf dieser Basis berechnet, wie viele Partikel beim Atmen theoretisch aufgenommen werden – etwa im Alltag zu Hause oder im Auto. Dabei legten die Forschenden Standardwerte für das Atemvolumen ruhender Personen zugrunde.
Fröhlich weist darauf hin, dass die Daten auf Messungen aus relativ kleinen Luftvolumina und auf der Analyse nur eines kleinen Teils der Gesamtprobe basieren und deshalb mit Unsicherheiten behaftet sein können: „Jeder kleine Messfehler setzt sich fort.“ Zudem könne körperliche Aktivität die tatsächliche Aufnahme deutlich erhöhen. Für belastbare Aussagen sei eine breitere Datengrundlage notwendig.

Im Wasser, in Kaugummis, in Kosmetika, selbst in der Luft – fast überall ist Mikroplastik zu finden. Umweltverbände und Fachleute sprechen von einer unsichtbaren Gefahr. Doch was macht Mikroplastik so gefährlich? Wie entsteht es? Und wie kann man es vermeiden? Wir klären auf.
Die Oberfläche von Mikroplastik sei ein „Carrier“, sagte Grote. Also ein Träger für andere krank machende Substanzen – etwa für Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt. PAKs entstehen vorwiegend bei der unvollständigen Verbrennung von organischen Materialien wie Kohle, Öl, Holz und Tabak und werden teilweise als krebserregend eingestuft. Das Institut weist jedoch darauf hin: „Ob mögliche gebundene Kontaminanten in den Zellen von den Partikeln wieder freigesetzt werden können, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt.“
Auch von Bakterien ist bekannt, dass sie sich auf Mikroplastik ansiedeln und so ausbreiten können.
Wie groß genau der gesundheitliche Schaden ist, den das Mikroplastik anrichten kann, können Fachleute derzeit nicht abschätzen. Es ist jedoch bekannt, dass die Partikel, einmal im Körper angelangt, Giftstoffe freisetzen können. Gerade im Darm, „wenn Säure da ist oder auch Gallensäure, dann können natürlich potenziell gebundene Toxine freigesetzt werden und sind dann zur Aufnahme in den Darm oder in den Organismus eher vorhanden als ohne Mikroplastik“, sagte Biochemikerin Fröhlich.
Im Darm, aber auch in anderen Zellen des Körpers kann das Mikroplastik Entzündungen verursachen. „Das ist kein starker Entzündungsprozess, der da stattfindet, nicht vergleichbar mit einer Infektion, sondern so ein schwelender Prozess“, so beschrieb es Kardiologe Grote. Solche Entzündungsreaktionen sind unter anderem aus Blutgefäßen bekannt.
Um die gesundheitliche Gefahr von Mikroplastik abschätzen zu können, braucht es weitere Forschung. „Derzeit liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse zur Wirkung von Mikroplastik auf den Menschen vor“, fasst das BfR zusammen. „Plastikpartikel gelten jedoch als sehr unreaktiv, weshalb akute toxikologische Effekte sehr unwahrscheinlich sind. Über Langzeiteffekte bei chronischer Aufnahme gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Es ist aber davon auszugehen, dass sich der Kenntnisstand zu Mikroplastik in den kommenden Jahren deutlich weiterentwickelt und somit zukünftig eine bessere Bewertung der gesundheitlichen Risiken möglich sein wird.“
In Zellkulturen konnten Kenner und seine Kolleginnen und Kollegen feststellen, dass Mikroplastikpartikel von Prostatakrebszellen aufgenommen werden. „Was für uns erstaunlich war“, sagte der Forscher. „Wer Krebszellen kennt, weiß, dass sie Überlebenskünstler sind. Sie nehmen normalerweise nichts auf, was sie nicht verwenden können.“ Ähnliche Mechanismen zeigten sich auch bei Lungenkarzinomen.
In ihrer Studie konnten die Forschenden zudem nachweisen, dass die Plastikpartikel bei der Zellteilung an die neu entstehenden Zellen weitergegeben werden. „Beim Patienten würde das eventuell darauf hindeuten, dass sich Tumorzellen im Körper schneller ausbreiten können, wenn sie auch Mikroplastik aufnehmen“, sagte Kenner. Ob sich die Studienergebnisse jedoch auf lebende Organismen übertragen lassen, ist zurzeit noch fraglich.
Wie lange Mikroplastik im Körper verbleibt, ist nicht bekannt. „Wir sehen zumindest, wenn wir den Urin von Patienten anschauen, dass da Plastik nachgewiesen wird aus Mikroplastikpartikeln“, sagte Kenner. „Das heißt, irgendwie muss es sein, dass der Körper das Plastik wieder loswird. Aber wie das funktioniert und in welchem Ausmaß der täglichen Aufnahme, das können wir leider derzeit noch nicht sagen.“ Nicht nur im Urin, auch in menschlichem Kot wurden schon Mikroplastikreste gefunden.
Mikroplastik sei eigentlich nur die „Spitze des Eisbergs“, sagte Biochemikerin Fröhlich. Noch gefährlicher für die menschliche Gesundheit könnte Nanoplastik sein. Gemeint sind extrem kleine Kunststoffpartikel mit einer Größe von 1 bis 1000 Nanometern, die tief in den Körper vordringen können. Die Auswirkungen von Nanoplastik sind aber noch weniger verstanden – auch, weil diese Partikel nicht so leicht nachweisbar sind. „Leider fehlt uns für Nanoplastik überhaupt jegliche vernünftige Detektionsweise“, so Fröhlich.
Pathologe Kenner verwies auf die sogenannte O-PTIR-Mikroskopie, die künftig bei der Suche nach Nanoplastik helfen könnte. „Das ist eine Methode, wo wir auch sehr kleine Partikel bis runter zu 500 Nanometern, also schon im Nanopartikelbereich, nachweisen können“, sagte er. „Da sind wir gerade dabei, auch Humanmaterial zu analysieren und dazu hoffen wir bald auch etwas zu publizieren.“
rnd