dm bietet jetzt Augentests an: Was Sie dazu wissen müssen - und was ein Experte sagt

Bei dm kann man jetzt für nur 15 Euro seine Augen auf diverse Krankheiten testen lassen. Mediziner kritisieren die neue Gesundheitsdienstleistung scharf.
Schnell und ohne Termin die Augen checken lassen? Das will die Drogeriemarktkette dm jetzt möglich machen. Irgendwo zwischen Duschgel, Strumpfhosen und Kindernahrung können Kundinnen und Kunden ihre Augen künftig auf ihr Sehvermögen und verschiedene Augenerkrankungen testen lassen – und das für nur knapp 15 Euro, mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI).
Für die neue Gesundheitsdienstleistung arbeitet dm mit dem Düsseldorfer Startup "Skleo Health" zusammen. Das Unternehmen hat sich laut eigener Website darauf spezialisiert, "digitale Lösungen zu schaffen, die Gesundheitsversorgung niederschwellig und für jeden erreichbar machen." Mediziner hingegen sehen vor allem das Risiko verunsicherter Patientinnen und Patienten und das Potenzial, Betroffenen mit dem Angebot sogar zu schaden.
Wer an einem Augen-Screening im Drogeriemarkt interessiert ist, kann sich laut dm einfach bei den Mitarbeitenden in einem der teilnehmenden Märkte melden. Die "speziell geschulten Mitarbeitenden" führen dann bei Interessierten über 18 Jahren einen Sehtest und eine Netzhautfotografie durch. Das Ganze soll circa sechs Minuten dauern – das Screening wird anschließend mithilfe einer künstlichen Intelligenz ausgewertet und "fachärztlich validiert". Den Ergebnisbericht erhalten die Kundinnen und Kunden dann innerhalb von 24 Stunden per Mail.
Dabei sollen unter anderem drei verbreitete Augenkrankheiten erkannt werden:
- Glaukom (grüner Star): Darunter fallen verschiedene Augenerkrankungen, bei denen der Sehnerv geschädigt ist. Die Erkrankung schränkt das Gesichtsfeld ein, es entstehen „blinde Flecken“ beim Sehen. Da Betroffene häufig keine Schmerzen haben und Einschränkungen oft erst auffallen, wenn der Sehnerv bereits geschädigt ist, bemerken viele die Krankheit lange nicht. Bei frühzeitiger Behandlung lässt sich ein möglicher Sehverlust durch ein Glaukom aufhalten.
- Altersbedingte Makuladegeneration: Bei dieser Krankheit verschlechtert sich die Sehfähigkeit im Bereich des sogenannten gelben Flecks. Dieser befindet sich im Zentrum der Netzhaut und ist für das Sehen in der Mitte des Blickfelds wichtig. Die altersbedingte Makuladegeneration entsteht durch einen gestörten Stoffwechsel in der Netzhaut, der vor allem mit steigendem Alter auftritt.
- Diabetische Retinopathie (DRP): DRP ist ist eine Komplikation des Diabetes mellitus, bei der dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte die Blutgefäße der Netzhaut schädigen. Da die Erkrankung zur Erblindung führen kann, ist ein rechtzeitiges Erkennen und Behandeln wichtig.
Seit August bietet der Düsseldorfer dm-Markt an der Nordstraße (Innenstadt) die Durchführung des Augen-Screenings in einer Pilotphase an. Ab September 2025 sollen laut der Drogeriemarktkette noch weitere, ausgewählte Märkte folgen. Geplant seien Pilotmärkte in Köln, Bad Münstereifel, Aachen und in der Nähe von Karlsruhe.
Der Berufsverband der Augenärzte Deutschland (BVA) kritisiert die neue Dienstleistung im Drogeriemarkt in einer Pressemitteilung deutlich. Zum einen sei unklar, wie genau die Aufnahmen ausgewertet werden. Und das stimmt: Weder dm noch Skleo Health geben auf ihren Websites genauere Informationen darüber, wie genau die KI die Netzhautfotografien analysiert und wer genau die Aufnahmen "ärztlich prüft".
"Der Einsatz von KI ist nicht standardisiert; es gibt keine einheitlichen Vorgaben, die einen fachärztlichen Standard garantieren. Wie genau die Auswertung verläuft, auf welche Metadaten die KI zurückgreift und in welcher Weise diese die Auswertung prägen, ist so nicht zu beurteilen“, warnt deswegen der BVA-Vorsitzende Daniel Pleger.
Auch wenn die Unterstützung von KI hilfreich sein könnte, liefere sie noch keine Garantie für korrekte Ergebnisse und sei auch kein validierter Standard in der Medizin. Eine verbindliche medizinische Augenvorsorge könne nur durch die Untersuchung bei einer Augenärztin oder Augenarzt gewährleistet werden.
Gegenüber FOCUS online betont Sebastian Bayer, als dm-Geschäftsführer verantwortlich für das Ressort Marketing und Beschaffung, daher, dass „alle Netzhautaufnahmen einzeln von Fachärztinnen bzw. Fachärzten für Augenheilkunde überprüft" werden. Das diene zum einen der Absicherung der durch die KI gefundenen Auffälligkeiten. Zudem erweitere die ärztliche Überprüfung das Spektrum erkennbarer Veränderungen im Auge sogar noch weiter.
Erst im Anschluss an diese Prüfung würde die Kundinnen und Kunden eine Handlungsempfehlung durch Skleo Health erhalten. "So wird sichergestellt, dass nur medizinisch relevante Fälle weitergeleitet werden und die Kundinnen und Kunden eine fundierte Rückmeldung erhalten“, resümiert Bayer.
Das Marketingversprechen, das Gesundheitssystem zu entlasten, können die diversen Augenscreening-Anbieter laut BVA vermutlich aber nicht einhalten. Denn auch, wenn eine ärztliche Prüfung der Aufnahmen erfolgt – sobald Kundinnen und Kunden per Mail ein auffällige Ergebnis erhalten, würden sie dann doch zum Arzt kommen, um Klarheit über das Ergebnis zu erhalten.
Zeigt das Testergebnisse fälschlicherweise keine Auffälligkeiten, etwa durch Fehler im System oder Anwendungsfehler bei der Fotografie, könnte das wiederum erheblichen Schaden für einzelne Personen bedeuten. Diese könnten Personen davon abhalten sich augenärztlich untersuchen zu lassen. Dabei ist gerade bei den Erkrankungen, mit denen der Test wirbt – Glaukom, Altersbedingte Makuladegeneration und Diabetische Retinopathie – eine frühe Erkennung essenziell für die Behandlung.
Gleichzeitig könnten falsch-positive Testergebnisse das Gesundheitssystem sogar doppelt belasten: "Kundinnen und Kunden mit fehlerhaft auffälligen Befunden könnten verunsichert sein und dadurch zusätzliche Termine in den Augenarztpraxen in Anspruch nehmen, die für andere Patienten wichtiger sein könnten", befürchtet Pleger.
Auf Nachfrage von FOCUS online kommentiert Bayer die Bedenken des Verbandchefs wie folgt:„Wir informieren unsere Kundinnen und Kunden im dm-Markt vor der Durchführung des Screenings, dass unser Service keine fachärztliche Untersuchung ersetzen soll." Auch der per Mail zugestellte Ergebnisbericht verweise mit einer Empfehlung zur regelmäßigen augenärztlichen Untersuchung darauf.
Mitarbeitende der Drogeriemarktkette würden darüber hinaus speziell für die Screenings geschult werden. Dazu zählen Grundlagen zu den Erkrankungen, der Bedienung der Geräte oder zur Durchführung des Screenings. "In der Schulungsphase können unsere Kolleginnen und Kollegen in den dm-Märkten jederzeit Fragen stellen und werden bei der Einarbeitung unterstützt. Auch nach der Einarbeitung sind die Mitarbeitenden von Skleo durchgehend telefonisch erreichbar“, sagt Bayer.
Auf eine persönliche Beratung im dm-Markt brauchen sich Betroffene übrigens trotzdem keine Hoffnungen machen: Auf der Website verweist der Drogeriemarkt bei Fragen zum Ergebnisbericht strikt an Skleo Health – dort könne man sich dann per Mail oder Telefon melden.
Das Startup arbeitet bereits seit längerem mit Apotheken und Optikern zusammen und bietet sein Augen-Screening seit Juni zum Beispiel bei der deutschen Optikerkette Mister Spex an. Der Service soll laut eigenen Angaben der Kette mittlerweile in allen 65 Stores deutschlandweit verfügbar sein. Dort kostet der gleiche Test allerdings knapp 50 Euro.
"Unser Ziel ist es, unseren Kundinnen und Kunden hochwertige Services zu einem attraktiven Preis anzubieten. Den Preis für das Augenscreening in den dm-Märkten haben wir mit unserem Partner Skleo Health, darauf aufbauend, vereinbart", kommentiert Bayer diese Diskrepanz. Wo genau der Unterschied zwischen den Tests beim Optiker liegt, bleibt also unklar.
Die Kooperation mit Skleo Health ist nicht die einzige Gesundheitsdienstleistung, die dm neuerdings anbietet.
- Gemeinsam mit "dermanostic" bietet der Drogeriemarkt in Münster, Karlsruhe, Düsseldorf, Berlin und Braunschweig bereits spontan mögliche, KI-gestützte Hautanalyse an. Der "Online-Hautarzt" liefert dann darauf abgestimmte Hautpflege-Empfehlungen.
- In Partnerschaft mit "Aware Health" können dm-Kunden und Kundinnen in Karlsruhe private Bluttests durchführen lassen. Die Blutentnahme erfolgt laut dm "diskret durch medizinisch geschultes Aware-Fachpersonal in einem eigens dafür geschaffenen Bereich im dm-Markt. Dauer: maximal 10 Min." Dieser Service erfordert allerdings einen Termin, das Ergebnis braucht zwei Tage, bis es per App abrufbar ist. Eine telemedizinische Nachbesprechung ist nicht dabei, aber optional buchbar.
"Dieses Angebot hat überhaupt nichts mit sinnvoller medizinischer Versorgung zu tun", sagt der Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Markus Beier, über das dm-Angebot dem "Tagesspiegel Background". Es handele sich um nichts anderes, als den Versuch, mit verzichtbaren Gesundheitsdienstleistungen Geld zu verdienen, bei der man bewusst mit der Verunsicherung der Menschen spiele.
"Einfach jeden zu testen, um im Anschluss unzählige Patientinnen und Patienten zu verunsichern, deren Wert aus meist harmlosen Gründen nicht der Norm entspricht, ist weder verantwortungsbewusst noch sinnvoll", resümiert Beier.
Sowohl Hausarzt Beier als auch BVA-Vorsitzender Pleger kritisieren das enorme wirtschaftliche Interesses der Drogeriekette. "Aus unserer Sicht spielen bei diesen Angeboten wirtschaftliche Interessen eine wesentliche Rolle und man möchte anscheinend schnell einen wirtschaftlichen Markt erschließen", bilanziert Pleger im Kontext des Augen-Screenings.
Und auch Hausarzt Beier warnt im "Tagesspiegel Background": "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier versucht wird, sich seine eigenen Kunden zu schaffen, beispielsweise, um Nahrungsergänzungsmittel oder ähnliche Produkte an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen."
FOCUS