Apothekerin auf hoher See: »Das Hospitalschiff funktioniert wie ein kleines Dorf«



Die Apothekerin Stephanie Pape aus dem niedersächsischen Stade im Einsatz an Bord eines Hospitalschiffs von Mercy Ships. / © Mercy Ships
PZ: Wie sieht der Alltag in einer Schiffsapotheke aus?
Pape: Die Aufgaben, Arbeitsabläufe und Routinen in der Apotheke eines Hospitalschiffes sind im Grunde vergleichbar mit denen einer Krankenhausapotheke an Land. Apothekenleitung, Apothekerinnen, Apotheker und PTA stellen wochentags zwischen 8 und 17 Uhr die Arzneimittelversorgung der prä-, post-, und vollstationären Patienten und Patientinnen sicher. Das internationale, drei- bis vierköpfige Apothekenteam bearbeitet täglich die Standardbestellungen der Stationen und OP-Säle sowie die patientenindividuellen Verordnungen. Zudem nehmen die Apothekerinnen und Apotheker an den täglichen Visiten teil. Natürlich stehen sie auch zu den übrigen Zeiten für klinisch-pharmazeutische Fragen zur Verfügung. Auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten ist immer ein Approbierter über den Rufbereitschaftsdienst erreichbar.
PZ: Lassen sich Arzneimittel angesichts des geringen Platzangebots auch anfertigen?
Pape: Die Arzneimittelversorgung konzentriert sich zwar auf Fertigarzneimittel, zumeist geliefert als Bulkware aus den USA. Aber die Herstellung findet im geringen Umfang statt, wie etwa die Rekonstitution von Antibiotika-Trockensäften, die Herstellung von Mundspüllösungen oder Lugolscher Lösung vor einer Schilddrüsen-OP. Dermatologische Rezepturen sind eher die Ausnahme als die Regel. Abgetrennte Räumlichkeiten für die labortechnische Kontrolle von Arznei- und Hilfsstoffen oder die Arzneimittelherstellung findet man an Bord allerdings nicht. Aber es gibt einen Abzug und eine kleine Laminar-Airflow-Bank, mit der man zumindest im Kleinen Arzneimittel unter aseptischen Bedingungen anfertigen kann.
PZ: Wie werden Vorrat und Lagerung organisiert?
Pape: Wie in landbasierten Apotheken stehen in den Schiffsapotheken für die Arzneimittellagerung Rollregale, Kühl-, Gefrier- und BtM-Schränke sowie Schwerlastregale zur Verfügung. Da die Räumlichkeiten der Apotheke auf der »Africa Mercy« deutlich kleiner sind als auf der »Global Mercy«, werden Übervorräte oder großvolumige Arzneimittel wie Infusions- oder Spüllösungen in einem klimatisierten Arzneimittel-Container, der wiederum in einem Seecontainer untergebracht ist, außerhalb des klimatisierten Hospitalbereichs gelagert.
Auf den Stationen und in den OP-Sälen erfolgt die Lagerung der Medikamentenvorräte in den Omnicell-Cabinets. Das sind elektronisch überwachte Aufbewahrungsschränke für Medikamente und Medizinprodukte inklusive automatisch generierter Bestellanforderungen. Die Notfallarzneimittel lagern in Notfallwagen und -rucksäcken. Die Bevorratung der Arzneimittel an Bord richtet sich hinsichtlich Art und Menge nach den geplanten Programmen, der Anzahl der zu behandelnden Personen, den vorhandenen Lagerkapazitäten und der Lieferdauer. In der Vorbereitungsphase erhalten die Apotheke und alle Verbrauchsstationen ihren jeweiligen Grundstock. Die Grundbevorratung in der Apotheke basiert auf den Verbrauchsdaten der Vorjahre, verbunden mit einer Adaption hinsichtlich der Programme und jeweiligen Anzahl elektiver Patientinnen und Patienten. Die Vorräte an Bord sichern die Arzneimitteltherapie für mehrere Wochen.
Die Bedarfsermittlung der Arzneimittelverbräuche und Bestellmengen ist eine komplexe Angelegenheit.
Dr. Stephanie Pape,
PZ: Wie lange dauert eine Bestellung? Und wird je nach Bedarf auch geblistert?
Pape: Von der Auslösung durch die Apotheke bis zum Erhalt der Ware über international tätige Großhändler können Wochen bis Monate vergehen. Daher ist ein enges Monitoring der Lagerbestände der Apotheke und aller Verbrauchsstellen essenziell, um eine kontinuierliche Verfügbarkeit der gelisteten Arzneimittel zu gewährleisten. Nur in Ausnahmefällen tätigt die Apothekenleitung nach Rücksprache mit dem Krankenhausmanagement Arzneimitteleinkäufe im Einsatzland.
Eine maschinelle Verblisterung gibt es an Bord nicht. Damit die Arzneimittel in die Fächer der Omnicell-Cabinets passen, müssen viele Arzneimittel, zumeist feste Peroralia aus den Großgebinden, in kleinere Behältnisse umkonfektioniert werden. Da ist Handarbeit gefragt. Auf den Stationen stellen die Pflegekräfte die benötigten Arzneimittel. Fehlende Arzneimittel werden über eine ärztliche Verordnung für die jeweiligen Patienten in der Apotheke angefordert. Dort wird die verordnete Menge des Arzneimittels in einem geeigneten Behältnis abgefasst, mit den Patienten- und Medikamentenangaben etikettiert und in der Apotheke abgeholt beziehungsweise von dieser ausgeliefert.
PZ: Wie läuft die Belieferung von Arzneimitteln ab?

Check-Liste: Weil der Platz für die Arzneimittellagerung auf den Stationen begrenzt ist, wird häufig nachgefüllt. / © Mercy Ships
Pape: Morgens werden als erstes die Sammelbestellungen der Stationen, OP-Säle und die ambulanten Einrichtungen durch den oder die PTA bearbeitet. Generiert werden diese Arzneimittelbestellungen über das jeweilige Omnicell-Cabinet, welches sich auf jeder Bettenstation, in jedem OP-Saal und in den Vorratsräumen befindet. Nur im Vorratsraum des OP-Bereichs auf der »Africa Mercy« ist noch Handarbeit angesagt. Dort kontrollieren PTA oder Apotheker montags bis freitags vor Ort die Arzneimittelbestände mittels Checklisten. Sind alle Sammelbestellungen kontrolliert und freigegeben, bringt das Apothekenteam die Bestellungen zu den Bestellorten und bestückt unmittelbar die Cabinets. Natürlich muss man im OP-Bereich die Betriebszeiten berücksichtigen, das heißt die Belieferung erfolgt früh morgens oder nach Beendigung des täglichen OP-Betriebs. Weil das Platzangebot für die Arzneimittellagerung auf den Stationen und in den OPs gering ist, werden häufig benötigte Medikamente oft täglich nachgefüllt, wenn definierte Mindestlagermengen unterschritten wurden. Die Arzneimittelbestellungen werden in der Regel automatisch über das Omnicell-System generiert. Die Bedarfsermittlung der Arzneimittelverbräuche und Bestellmengen ist eine komplexe Angelegenheit. Wie an Land unterstützt ein elektronisches Warenwirtschaftssystem dabei.
PZ: Wer kümmert sich um das gesundheitliche Wohlergehen der Besatzung?
Pape: An Bord gibt es auch eine »Crew Clinic« mit einem kleinen Team von Ärzten und Pflegekräften, die sich um die Besatzung kümmern. Tagsüber werden Einzelverordnungen für Patienten und Crewmitglieder bearbeitet. An Bord gibt es auch ein Dentalteam. Und es gibt einen Rehabilitationsbereich, in dem Physio-, Sprach-, Musiktherapeuten, Masseure und weitere Gesundheitsfachkräfte tätig sind. Auch diese Abteilungen fordern regelmäßig Arzneimittel an. Einzelverordnungen für die Patienten werden entweder von den Pflege- oder OP-Kräften abgeholt oder von der Apotheke ausgeliefert. Und natürlich dürfen auch die Crewmitglieder uns besuchen, um verordnete Medikamente abzuholen oder im Rahmen der Selbstmedikation zu kaufen.
Bei so vielen Besatzungsmitgliedern aus verschiedenen Ländern ist die Harmonisierung von Verfahren wesentlich
PZ: Welche Herausforderungen gibt es in puncto Qualitätsmanagement an Bord?
Pape: Wir haben klare Protokolle und gemeinsame Standards, um Konsistenz sicherzustellen. Zudem gibt es an Bord eine ausgeprägte Mentoring-Kultur. Das bedeutet, dass alle voneinander lernen, um höchste Qualitätsstandards zu erreichen. So entsteht ein sicheres, kollaboratives Umfeld, in dem Lernen und Exzellenz Hand in Hand gehen. Ein wirksames Qualitätsmanagement an Bord ist das Fundament für Therapieeffektivität und Patientensicherheit. Denn bei so vielen Besatzungsmitgliedern aus verschiedenen Ländern ist die Harmonisierung von Verfahren wesentlich, um ein risikoarmes Zusammenwirken innerhalb der Teams und auch abteilungsübergreifend für den bestmöglichen Behandlungserfolg zu gewährleisten.
Daher durchläuft man vor den Einsätzen ein Online-Schulungsprogramm, bei dem man auch die Inhalte des elektronischen QM-Handbuches kennenlernt, für den eigenen Aufgabenbereich wie auch für die Abteilungen, mit denen man zusammenarbeitet. Ist man dann an Bord tätig, erfährt man durch die Anwendung verbindlicher Standardverfahrensanweisungen schnell Handlungssicherheit, auch wenn sich die Prozesse an Bord von den eigenen nationalen Normen und Best Practices unterscheiden, wie beispielsweise die Maßeinheiten oder gesetzlichen Vorgaben.
PZ: Gab es bei Ihren Einsätzen auch Situationen, die pharmazeutisches Notfallmanagement erforderten? Wenn ja, welche waren das und was ist dabei konkret zu beachten?

Einzelverordnungen holen die Pflege- oder OP-Kräfte meist direkt in der Bordapotheke ab. / © Mercy Ships
Pape: Ich habe zweimal erlebt, wie ein dringend benötigtes Arzneimittel während komplizierter Operationen knapp wurde. Wenn die Apotheke darüber informiert wird, sind zunächst genaue Informationen über Art, Stärke und Dosierung des Arzneimittels, die benötigte Menge zur Bedarfsdeckung und die Verbrauchsstelle wichtig. Und dann sind Übersicht und Schnelligkeit gefragt. Ein Blick ins Warenwirtschaftssystem gibt Auskunft über die verschiedenen Lagerorte und Bestände. Sind Bestände in anderen OPs verfügbar, kann ein Telefonat mit dem OP-Supervisor in kürzester Zeit die Bedarfslücke schließen. Hat nur die Apotheke das Arzneimittel vorrätig, stellt man die benötigte Menge des Arzneimittels zügig zusammen, verpackt alles bruchsicher in einen Transportbehälter und los geht’s zu Fuß in Richtung OP. Dort angekommen, nimmt entweder an der Schleuse ein Mitglied des OP-Teams das Arzneimittel in Empfang oder man selbst schlüpft geschwind in die OP-Kleidung und läuft den OP-Gang entlang bis zum OP-Saal und gibt es ab.
Es kann aber auch vorkommen, dass die Apotheke alle Bestände verausgabt hat und nur noch die Bettenstationen das Arzneimittel vorrätig haben. Auch hier hilft ein vorbereitender Anruf, damit das Arzneimittel auf der Station schon bereitgestellt werden kann, während man auf dem Weg dorthin ist. Egal wo und zwischen welchen Beteiligten die Übergabe des Arzneimittels erfolgt, sollte die Richtigkeit immer nochmal mit der R-Regel gecheckt werden: Der richtige Patient, das richtige Arzneimittel, die richtige Dosis, die richtige Applikationsform. Besonders wenn man nicht in der Muttersprache kommuniziert und bei der Vielzahl der Englischakzente nicht alle Ausdrücke kennt oder in der Eile akustisch erfasst, ist erneutes Nachfragen und Wiederholen der Informationen essenziell, um Fehler durch sprachliche Restriktionen zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit.
PZ: Wie viele Patientinnen und Patienten kann die Global Mercy gleichzeitig behandeln?
Pape: Unsere Kapazitäten richten sich nach der jeweiligen Personalsituation. Grundsätzlich verfügen wir über sechs Operationssäle, 102 Akutpflegebetten, sieben Intensiv- beziehungsweise Isolationsbetten und 90 Pflegebetten. Unterstützung wird immer gesucht. Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, läuft sicher offene Türen ein.
Die gemeinsame Zeit mit Menschen verschiedener Nationen ist sehr inspirierend, es entstehen neue Freundschaften
PZ: Welchen Stellenwert hat die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei diesen Einsätzen?
Das Schiff funktioniert wie ein kleines Dorf – und wie in jeder funktionierenden Gemeinschaft ist jede Aufgabe wichtig. Gerade dieses gemeinsame Ziel und das starke Miteinander aller Berufsgruppen ermöglichen es uns, chirurgische Hilfe auf höchstem Niveau zu geben, wo sie am meisten gebraucht wird.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist in diesem Umfeld extrem wichtig, um den bestmöglichen Therapieerfolg für jeden Patienten und jede Patientin zu erzielen. Sie verfolgt einen holistischen Ansatz, der neben ärztlichen, pflegerischen, pharmazeutischen und labortechnisch-diagnostischen therapeutischen Fachkräften auch Seelsorger, Verpflegungs- und Reinigungspersonal umfasst. Hierunter sind immer einheimische Kräfte, welche den Patientinnen und Patienten mentale und spirituelle Unterstützung geben, bei Sprachbarrieren behilflich sind und pragmatische Hilfen bei organisatorischen Problemen anbieten. Man kann sich vorstellen, dass es bei den Visiten rund ums Patientenbett manchmal ganz schön voll werden kann.
PZ: An Bord werden auch medizinische Fachkräfte geschult. Haben Sie während Ihrer Einsätze ebenfalls pharmazeutisches Personal fortgebildet?
Pape: Während meines sechswöchigen Einsatzes an Bord der »Africa Mercy« von Oktober bis Dezember 2024 habe ich mit einer jungen madagassischen Apothekerin zusammengearbeitet. Es hat mir viel Freude bereitet, mein Wissen mit ihr zu teilen, Erfahrungen auszutauschen und aus erster Hand Einblicke in das Apothekenwesen und die Gesundheitsversorgung Madagaskars zu erhalten.
PZ: Wann sind Sie das nächste Mal mit der »Global Mercy« unterwegs?
Pape: Es wäre toll, wenn es im Jahr 2026 mit einem erneuten Einsatz auf der »Global Mercy« oder »Africa Mercy« klappen würde. Ob es dazu kommen wird, ist eine Frage des Personalbedarfs an Bord und meiner Verfügbarkeit in den angefragten Zeiträumen.
PZ: Auf welche Weise bereichern solche Vor-Ort-Einsätze Ihr persönliches Leben und die Arbeit einer deutschen Sanitätsoffizierin der Reserve?
Pape: Durch meinen Beruf und meine Weiterbildungen in Public Health und Epidemiologie ist in mir vor einigen Jahren der Wunsch entstanden, meine Fähigkeiten auch ehrenamtlich im Dienste der globalen Gesundheitsversorgung einzusetzen. Das ehrenamtliche Engagement ist für mich eine wertvolle Chance, mich sinnstiftend für das gesundheitliche Wohl von benachteiligten Menschen einzubringen und der Not in dieser Welt mit meiner medizinischen Fachexpertise zu begegnen.
Aber ich persönlich profitiere auch enorm. Nicht nur kann ich neben meiner eigentlichen Arbeitstätigkeit in der ambulanten Patientenversorgung meine klinisch-pharmazeutischen Kenntnisse in der stationären Versorgung auf dem aktuellen Stand halten und weiter vertiefen. Ebenso ermöglichen mir die Einsätze, pharmazeutische und logistische Fähigkeiten an Bord zu trainieren, die ich als Reserveoffizierin im Marinesanitätsdienst der Bundeswehr benötige. Hierbei geht es nicht allein um Fachwissen. Ein wesentlicher Aspekt ist ebenso das »How to«, also das Interagieren in multidisziplinären Teams und eine kontinuierlich verlässliche Interoperabilität hinsichtlich der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen medizinischen Leistungserbringung im multinationalen Setting. Generell ist die gemeinsame Zeit mit Menschen verschiedener Nationen sehr inspirierend, es entstehen neue Freundschaften; Lebenserfahrungen, die ich nicht missen möchte.

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